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IRLAND Niemals gewinnen

Hoffnung für Nordirland? Die Regierungschefs aus London und Dublin unterzeichneten ein Abkommen, das die Lage auf der Insel entspannen soll. Doch Iren in Nord und Süd wollen dagegen kämpfen. *
aus DER SPIEGEL 47/1985

In Irland ist Mord eine verzeihliche Sünde«, schrieb der englische Theologe John Wesley vor über 200 Jahren. Heute nennt der britische Labour-Abgeordnete und frühere Minister für Nordirland, Merlyn Rees, Gewalt »die irische Krankheit«.

Die irische Krankheit entlädt sich im Bürgerkrieg zwischen Protestanten und Katholiken, sie forderte seit 1969 schon über 2500 Todesopfer. Die katholische Untergrundarmee IRA (Irish Republican Army) bekennt sich zum Terror als legitimer Waffe. Protestantische Organisationen schlagen mit Gegenterror zurück.

Die protestantische Mehrheit (eine Million von 1,6 Millionen Einwohnern) in Nordirland, der britischen Provinz Ulster, Hauptstadt Belfast, will auf ewig getrennt bleiben vom Rest der Insel. Die katholische Mehrheit in der Republik Irland (95 Prozent von 3,6 Millionen Einwohnern), Hauptstadt Dublin, fordert die Wiedervereinigung.

Nun hat ein Premier der Republik das Dogma durchbrochen. »Unsere nationalen Hoffnungen und Wünsche«, verkündete Garret FitzGerald, »werde ich nie aufgeben, aber sie müssen zunächst einmal an die zweite Stelle rücken.« FitzGerald will versuchen, die Lage zu entspannen und die Lebensbedingungen für alle Iren zu verbessern.

Der Taoiseach - gälisch für »Häuptling«, so der offizielle Titel des irischen Premiers - verzichtete deshalb auf das übliche alles oder nichts und handelte mit der britischen Regierung ein Abkommen aus, das den katholischen Mehrheits-Iren zwar nicht den Norden heim in die Republik bringt, wohl aber ein Mitspracherecht in Ulster - für London eine schwere Konzession: *___Eine anglo-irische Kommission nach dem Vorbild des ____EG-Ministerrats soll unter britischem Vorsitz und mit ____Politikern aus der Republik wie aus Ulster ____Angelegenheiten diskutieren, welche das ganze Land ____beschäftigen - etwa die Lage der Katholiken im Norden, ____die Verfolgung von Gesetzesbrechern, den ____Waffenschmuggel. *___Ein ständiges Sekretariat mit Beamten aus der Republik ____und aus Ulster soll Empfehlungen der Kommission in die ____Praxis umsetzen.

Letzte Woche hatten die Regierungen Großbritanniens und der Republik Irland nach 15monatigen Verhandlungen ein solches Vertragswerk abgeschlossen. Die Kabinette in London und Dublin billigten es am Donnerstag; Freitag unterzeichneten Margaret Thatcher und Garret FitzGerald das Abkommen auf Schloß Hillsborough bei Belfast. Ort und Termin waren aus Sicherheitserwägungen bis zuletzt geheimgehalten worden.

Mit gutem Grund. Denn während die Welt das Abkommen als Hoffnungsschimmer für das Ende von Europas gegenwärtig blutigstem Bürgerkrieg begrüßte, machten Iren in Nord und Süd dagegen mobil.

Militante in der Republik, aber auch die Oppositionspartei Fianna Fail des

FitzGerald-Vorgängers als Premier, Charles Haughey, warfen dem Regierungschef Verrat am Wiedervereinigungsgebot der irischen Verfassung vor.

Auf der anderen Seite der Grenze witterten Ulsters Protestanten den Ausverkauf durch London. Denn Nordirland, so der konservative britische Abgeordnete Matthew Parris, sei zwar eine »Kolonie«, jedoch eine, »deren Mehrheit bei den Briten bleiben möchte«.

Und der rabiate Protestantenführer Ian Paisley dröhnte: »Margaret mag Argentiniens General Galtieri und den britischen Bergarbeiterboß Arthur Scargill besiegt haben.« Einen »Krieg gegen das Volk von Ulster« aber könne sie »niemals gewinnen«.

Der Widerstand formierte sich. Hausfrauen im Norden begannen, ihre Vorräte aufzustocken. Die paramilitärische Ulster Defence Association intensivierte ihre Ausbildungsabende, über 100 000 Schußwaffen in Privatbesitz in Ulster gehören überwiegend Protestanten. Zum Waffengeklirr kündigten ihre Führer auch noch politische und juristische Schritte an.

Die protestantischen Nordiren empört besonders, daß das im Vertrag vorgesehene Sekretariat seinen Sitz in Belfast nehmen soll. Südliche Funktionäre im Norden - das wäre der »Anfang auf dem Weg nach Dublin«. »Wenn sie irische Beamte hierher bringen wollen«, drohte der Pastor Paisley düster, »dann werden sie die mit dem Hubschrauber absetzen müssen.«

Für die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung in Nordirland ist neben dem 6500 Mann starken britisch kommandierten Ulster Defence Regiment die Royal Ulster Constabulary zuständig, eine paramilitärische Polizeitruppe von 13 000 Mann. Beide Einheiten rekrutieren ihre Mitglieder, fast ausschließlich Protestanten, aus der Region. Viele der Männer könnten im Falle einer ernsten Krise mit ihren Waffen zu den illegalen protestantischen Kampfbünden desertieren.

Angesichts der sich abzeichnenden neuen Eskalation in Nordirland mokierte sich die Londoner »Sunday Times« in englischer Arroganz über die irischen Protestanten: Wenn sie schon britisch sein wollten, müßten sie, wie die Briten, dem »Kompromiß eine Chance geben«.

Der Kompromiß hat offenbar auch in der Republik keine große Chance. Die Regierungskoalition des mutigen Premiers FitzGerald rutschte 19 Punkte hinter die oppositionelle Fianna-Fail-Partei. Schon sagte der konservative englische »Spectator« FitzGeralds »Sturz noch vor Weihnachten« voraus.

Dabei genießt FitzGerald viele Sympathien. »Ich wünsche Garret alles Gute«, schrieb Irlands Weltpolitiker, Hochschullehrer und Autor Conor Cruise O'Brien, »und ich zittere um ihn, wenn ich sehe, wie er zu dem nebelumwaberten Gipfel schlafwandelt.«

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