»Niemand wußte, wohin er ging«
Es war zehn Uhr früh in der verschlafenen bolivianischen Provinzhauptstadt Santa Cruz de la Sierra, als ein metallicfarbener Toyota-Land-Cruiser auf den Platz der Heiligen Gottesmutter von Fatima fuhr.
Plötzlich drängte ein weißer Lada den Geländewagen ab und brachte ihn vor der Kirche zum Halten. Mehrere Männer sprangen heraus, es fiel ein Schuß.
Die Kugel traf den 28jährigen italienischen Rechtsextremisten Pierluigi Pagliai, genannt »Cherubino«, in den Nacken. Im tiefen Koma wurde er abtransportiert und in einem nach Bolivien umgeleiteten Charterflug der Alitalia nach Rom gebracht. Er starb am 16. Oktober 1982, ohne noch einmal aufgewacht zu sein. Der seit langem gesuchte, vom italienischen Geheimdienst mit großem Aufwand in Bolivien gestellte Terrorist hatte kein Wort mehr aussagen können.
Ein mutmaßlicher Kumpan sitzt in Paris im Gefängnis. Doch Olivier Danet spricht nur, um alles zu bestreiten. Er will nur ein paar Sammler- und Jagdwaffen »für Freunde in Afrika« gekauft haben. Die französische Polizei verhaftete ihn im Oktober 1981 wegen illegalen Waffenimportes aus Belgien.
»Eine Lappalie«, meinte die Tageszeitung »Le Monde«, die eine so lange Untersuchungshaft kaum rechtfertige. Tatsächlich sind Danets Mitangeklagte schon längst auf freiem Fuß. Doch der 28jährige Söldner, Verkehrspilot und Präsidentenleibwächter unter Valery Giscard d'Estaing kommt nicht aus der Zelle heraus. Denn weitere Untersuchungen sollen Gewichtiges enthüllen.
Auch Maurizio Giorgi, 28, Neofaschist und Ex-Agent des chilenischen Geheimdienstes Dina, sitzt schon seit neun Monaten in römischer Untersuchungshaft. Sein Adreßbuch lieferte der italienischen Polizei die Spur zum vierten im Bunde:
Joachim Fiebelkorn, 35jähriger Neo-Nazi, wurde am 13. Januar in Eppstein im Taunus verhaftet. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Drogentransports in Bolivien, Anstiftung zum Drogenschmuggel in die USA sowie Mißhandlung eines 17jährigen Dienstmädchens. Weitere Ermittlungen, so Oberstaatsanwalt Reinhard Rochus, sind »im Gange«.
Nur einer fehlt noch, der Anführer: Stefano Delle Chiaie, seit den 60er Jahren eine Hauptfigur des rechten Terrors in Europa und Lateinamerika, ist frei - wahrscheinlich zu Gast bei einem argentinischen Obristen.
Diese fünf Männer beschuldigt die italienische Staatsanwaltschaft, am 2. S.124 August 1980 das blutigste Attentat seit Kriegsende verübt zu haben: 85 Menschen kamen ums Leben, als eine Bombe den Bahnhof von Bologna in die Luft sprengte. Danet soll den Sprengkörper hergestellt, Fiebelkorn ihn gelegt haben. Die »Strategie der Spannung« - durch offenbar sinnlose Mordtaten wie in Bologna den demokratischen Staat destabilisieren, um ihn indirekt in die gewünschte Richtung zu lenken - ist eine altbewährte Taktik der europäischen Neofaschisten.
Scheinbar wahl- und sinnlos schlägt die »Schwarze Internationale« zu, sei es gegen die Synagoge an der Pariser Rue Copernic, sei es auf dem Münchner Oktoberfest, sei es, immer wieder, in Italien. Und was die Bürger verunsichern soll, ist meist das Werk derselben Personen, Organisationen, Ideologen.
Stefano Delle Chiaie, 40, war schon dabei, als am 12. Dezember 1969 eine Bombe an der Piazza Fontana in Mailand 16 Personen tötete. Er arbeitete in Spanien mit Rechtsextremisten zusammen, denen das Franco-Regime zu lasch wurde, gründete in Italien die neofaschistische »Avanguardia Nazionale«, und bereitete mit Prinz Junio Valerio Borghese einen Rechtsputsch in Rom vor.
Der italienische Geheimdienst gehörte zu Delle Chiaies Förderern, wie auch die Militärdiktatoren in Chile, Bolivien oder Argentinien, die ihm und seinen Kumpanen bereitwillig Unterschlupf, Geld und Reisepässe zur Verfügung stellten.
Doch wer die Hintermänner der faschistischen Internationale sind, wer die Aufträge ausgibt und finanziert, blieb meist im dunkeln - keines der großen Attentate von rechts in Italien ist in den letzten zwölf Jahren aufgeklärt worden.
Nur im Falle Bologna hofft die italienische Justiz nun auf einen Durchbruch. Denn ein in der Schweiz wegen Betruges inhaftierter Geheimagent, der 36jährige Florentiner Elio Ciolini, trat im vergangenen September als Kronzeuge auf.
Ob er tatsächlich enthüllt oder desinformiert, um die wirklichen Tatbestände zu verschleiern, ist noch ungewiß. Seine Geschichte, die von Monte Carlo über Bolivien nach Bologna führt, besticht aber durch ihre Kohärenz.
Laut Ciolini gab der Großmeister der italienischen Geheimloge Propaganda 2 (P 2), Licio Gelli, den Auftrag für das Attentat von Bologna. Der zwielichtige Finanzier, heute in Schweizer Untersuchungshaft, hatte schon lange davon geschwärmt, in Italien »das Steuer herumzuwerfen« und »mit allen Mitteln« eine starke Präsidialrepublik herbeizuführen.
Seine Geheimloge P 2 schien das ideale Mittel dazu zu sein. Auf einer Sitzung des »Exekutivkomitees der Freimaurer« in Monte Carlo - offenbar das Lenkungsorgan der P 2 - wünschte Gelli nach der Aussage Ciolinis am 11. April 1980 ein »Ablenkungsmanöver«. Geheimagent Ciolini war anwesend und berichtet, daß Gellis Logenbrüder zustimmten - der Auftrag ging an Delle Chiaie.
Für Stefano Delle Chiaie war dies schon Routine. Wie so oft zuvor, suchte er seine Mitarbeiter im weiten Feld des Neofaschismus, diesmal im fernen Bolivien. Denn in der Drogenhauptstadt Santa Cruz de la Sierra laufen alle Fäden zusammen: im »Bavaria«, der Kneipe des Deutschen Joachim Fiebelkorn.
Hier trafen sich deutsche Abenteurer, die es in den fernen Ort verschlagen hatte, zu nostalgischen Abenden: Man sang »Es zittern die morschen Knochen« und hob den Arm zum Hitler-Gruß. An den Wänden des Hinterzimmers hingen Bilder von Nazi-Größen. Gastgeber Fiebelkorn legte zuweilen SS-Uniform an.
Fiebelkorn sieht darin nur Spielereien eines »Abenteurers mit nationalistischem Rechtsdrall«. Als er im vergangenen September hörte, daß ihn die italienische Justiz beschuldige, die Bombe von Bologna gelegt zu haben, stellte er sich selbstsicher in Hofheim der Polizei.
Trotz Klagen der Italiener mußte die Frankfurter Staatsanwaltschaft Fiebelkorn wieder laufen lassen: Die Beweise aus Bologna waren ungenügend, 800 Seiten weiterer Akten konnten so schnell nicht übersetzt werden.
Und auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden soll seine Freilassung befürwortet haben: Fiebelkorn, so die »Frankfurter Rundschau«, sei als V-Mann in Sachen Rauschgift tätig gewesen. In Wiesbaden schweigt man sich dazu aus: »Wir geben grundsätzlich keine Angaben dieser Art.«
So konnte Fiebelkorn auf einer Pressekonferenz noch triumphierend über sein Alibi berichten: Er sei zur Zeit des Attentats von Bologna als Kommandant einer paramilitärischen Gruppe in Bolivien gewesen und habe sich am Militärputsch des Generals Garcia Meza beteiligt.
Dieses freimütige Geständnis dürfte er heute wohl bereuen - denn gerade seine Aktivitäten in Bolivien werden heute von den Frankfurter Staatsanwälten untersucht. Und längst haben ehemalige Mitstreiter Fiebelkorns berichtet, was seine paramilitärische Organisation in Bolivien alles angestellt hat. Der drahtige junge Mann mit dem flotten Schnurrbart ist danach nicht nur ein Abenteurer, sondern ein überzeugter Neonazi.
Schon sein Vater war, glaubt man seinen Prahlereien aus Santa Cruz, ein hoher Nazi. »Fiebelkorn zeigte uns immer wieder persönliche Briefe von Dönitz an seinen Vater«, berichtet ein ehemaliger Anhänger. Und ein anderer S.125 Mitkämpfer: »Joachim war ein Fanatiker.«
Wie Olivier Danet, Pierluigi Pagliai oder Stefano Delle Chiaie hat Joachim Fiebelkorn schon eine bewegte, farbige Biographie, typisch vielleicht für die Söldner, Rechtsterroristen und Geheimdienstler, die auf den Krisenplätzen der Erde immer wieder zusammenfinden.
Nach einer Karosseriemechanikerlehre in Frankfurt zog es Fiebelkorn 1969 nach Nordafrika, in die damals noch in der spanischen Sahara stationierte spanische Legion. Die Legionärshymne inspirierte ihn später, seiner Privattruppe in Santa Cruz den Namen »Verlobte des Todes« zu geben.
Schon 1970 war er jedoch wieder in der Bundesrepublik, eröffnete ein Abschleppunternehmen, bis er zur Bundeswehr eingezogen wurde. Ein Versuch in der Landwirtschaft blieb ohne Erfolg, Zuhälterei im Frankfurter Raum dagegen soll ihm »viel Geld eingebracht haben«, erzählte ein Mitkämpfer aus Bolivien der italienischen Zeitschrift »Panorama«.
Den Sprung nach Südamerika tat Fiebelkorn Ende der 70er Jahre - nach Paraguay. Er kaufte dort 100 Hektar Land für 700 Dollar: »Es sah alles schön aus, Seen, grünes Land«, schwärmte er. Doch die Dürre trocknete seine Begeisterung für die Landwirtschaft rasch aus.
Dafür lebte er sich gut ein in den Kreisen der Alt- und Neonazis in Paraguay. »Joachim schaffte sich einen guten Ruf unter den Deutschen in Asuncion, die alle mehr oder weniger Hitler-Nostalgiker sind«, berichtet ein einstiger Waffenbruder: »Er wohnte im Hotel Guarani, ging in die besten Bordelle wie 'Der rote Pfeil', 'Casa Mami', 'Imperial' oder das '741'. Er kam nachts, zu Pferd, mit einer Pistole am Gürtel.«
Eines Nachts jedoch wurde es den paraguayischen Behörden zu viel: Fiebelkorn spielte im »Roten Pfeil« Russisches Roulett mit einem 63jährigen ehemaligen SS-Mann. Der schoß sich in den Kopf, Fiebelkorn wurde abgeschoben.
Nun machte Fiebelkorn im Nachbarland Bolivien Karriere. Denn hier traf er den Altnazi Klaus Altmann-Barbie, den »Schlächter von Lyon«, der seit langen Jahren als Sicherheitsberater in Bolivien lebte. Unter Altmanns Führung organisierte Fiebelkorn eine schlagkräftige kleine Truppe.
Vor allem Hans Stellfeld, einst bei der Gestapo, stand ihm dabei zur Seite. Es war offenbar nicht schwer, in Santa Cruz geeignete Kandidaten aufzutreiben. Da gab es etwa einen österreichischen Surfbrett-Segler, einen ehemaligen Mittelgewichtsboxer oder einen alkoholisierten ehemaligen Bundesbahnelektriker namens »Hans-Jürgen«.
Da fand sich Herbert Kopplin ein, 52jähriger Berliner, oder Manfred Kuhlmann, ein deutscher Minentechniker aus Rhodesien, der in Santa Cruz vom Bergbau aufs Abenteuer umstieg.
Und natürlich ließ Fiebelkorn auch Frauen aus der Bundesrepublik einfliegen - sein Liebling war ein Pornostarlet namens Gerlinde. »Für uns war im 'Bavaria' alles gratis«, freute sich ein Ex-Mitglied der »Verlobten des Todes«.
Arbeitgeber war anfangs Roberto Suarez, der größte Kokainhändler Boliviens. Mit einer Flotte von Kleinflugzeugen flog er Paste aus Kokablättern in die entlegene Provinz Beni. Dort übernahmen Kolumbianer die Ware und raffinierten sie zu Kokain.
Doch die Kolumbianer machten Schwierigkeiten: Sie übergaben öfter zusammengebundene Packen von Dollarscheinen, die in der Mitte vor allem aus Zeitungspapier bestanden. Fiebelkorn ließ Bazookas am Rand der Flugpiste aufstellen - nun bezahlten die Kolumbianer ihre Rechnungen.
Erst 1980 wurden die Einsätze politisch. »Die Zeit ist gekommen«, erklärte Altmann der Truppe, »wir müssen diese Regierung stürzen, bevor sie Bolivien in ein großes Kuba verwandelt.« Denn Präsidentin Lidia Gueiler wollte die Macht verfassungsmäßig dem linksliberalen Wahlsieger Hernan Siles Zuazo übergeben.
Argentinien lieferte Militärberater, die Drogenhändler gaben das Geld, um zögernde Militärs umzustimmen. Mit den Argentiniern kamen Pierluigi Pagliai, nach einem Bericht des US-Geheimdienstes CIA ein »international bekannter Folterer«, und Stefano Delle Chiaie.
Der Putsch vom 17. Juli 1980 verlief in Santa Cruz unblutig - Fiebelkorn prahlte später noch gerne, daß die Stadt »ohne S.128 einen Schuß« gefallen sei. Doch in der Hauptstadt wurde die Opposition brutal verfolgt. Pagliai soll den sozialistischen Politiker Quiroga Santa Cruz erschossen und einen Finger des Opfers in sein Haus nach Santa Cruz mitgenommen haben.
Nach dem Putsch gerieten die »Verlobten des Todes« unter die direkte Kontrolle der Militärs. Denn die »Kokain-Putschisten« des Generals Garcia Meza beteiligten sich zusehends selber am einträglichen Geschäft. Fiebelkorn und seine Leute bekamen Ausweise der bolivianischen Polizei und hoben reihenweise die Laboratorien kleinerer Kokainproduzenten aus.
Das Rauschgift mußten sie ihren uniformierten Arbeitgebern abgeben - alles andere galt als Kriegsbeute. »Während der ersten Monate des Jahres 1981 waren wir die Herren von Santa Cruz«, schwärmt Fiebelkorns Ex-Genosse in »Panorama«, »wir brachen in Häuser ein, verhafteten nach Belieben. Wir hatten 20 Luxuswagen requiriert und 300 000 Dollar kassiert.«
Doch unter dem Druck einer von den USA geführten Wirtschaftsblockade fiel Diktator Garcia Meza, interne Streitigkeiten brachen aus zwischen den Drogenhändlern von Santa Cruz. Fiebelkorn geriet auf die falsche Seite und mußte, von wenigen Getreuen begleitet, nach Brasilien fliehen.
Die brasilianische Polizei von Campo Grande ließ den Neonazi laufen - er kehrte zurück in seine Heimat im Taunus. »Ich will wieder nach Bolivien«, erklärte er im vergangenen Oktober dem Wiener Magazin »Profil«. »Ich habe damit gerechnet, daß ich den nächsten Putsch noch mitmache.«
Dazu wird es wohl kaum mehr kommen. Denn die neue demokratische Regierung Boliviens unter dem Präsidenten Siles Zuazo scheint nun endlich gegen die immer putschfreudigen Militärs vorgehen zu wollen. Altnazi Klaus Altmann-Barbie, Berater mancher Putschisten, wurde letzte Woche in La Paz festgenommen. Beschuldigt wird er des Betruges und der Organisation einer paramilitärischen Einheit. Alte Auslieferungsanträge der Bundesrepublik und Frankreichs sollen geprüft werden.
Auch Fiebelkorn wird sich kaum wieder an einem Staatsstreich beteiligen können. Denn die italienischen Untersuchungsrichter glauben fest, daß sie den Beweis für seine Beteiligung am Bologna-Attentat erbringen können. »Joachim verschwand von Zeit zu Zeit auf geheimnisvollen Reisen«, erzählte der ehemalige Todesverlobte in »Panorama«. »Niemand wußte, wohin er ging.«
Die Untersuchungsrichter in Frankfurt sind zuversichtlich, das noch ans Licht zu bringen. Damit würden sie die im vergangenen September abgewiesene Beschuldigung der Italiener rechtfertigen.
»Mir wäre lieber«, klagte dennoch der italienische Untersuchungsrichter Sergio Cornia, »er würde mir ausgeliefert.«