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VERKEHR Niesen ohne Reue

aus DER SPIEGEL 9/1963

Der Sekt-Agent Theo Mahler fuhr mit seinem VW 1500 gerade nach Buxtehude hinein, als ihn - wie das örtliche Amtsgericht später ermittelte - »ein besonders stark ausgeprägter Niesreiz« überkam, der zunächst einen Verkehrsunfall und später grundlegende Betrachtungen des Oberlandesgerichts Celle nach sich zog.

Mahlers nasale Entladung war ungewöhnlich folgenschwer: Das Lenkrad des Wagens schlug aus, wodurch Mahlers VW aus der Fahrtrichtung geriet und mit dem Automobil eines Landwirts namens Maack kollidierte. Sachschaden an den beiden Fahrzeugen: 1900 Mark.

Der Unfall wurde von dem Buxtehuder Polizei-Hauptwachtmeister Mucks aufgenommen, der aufgrund des Augenscheins gegen Mahler Strafanzeige wegen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung erstattete.

Amtsgerichtsrat Konopka in Buxtehude verhängte gegen den Sektmann eine Geldstrafe von 50 Mark und begründete diesen Spruch mit dem Hinweis, Mahlers Niesen sei nicht etwa »vornehm zurückhaltend«, sondern »ein mit Explosivität sich entladender Niesausbruch« gewesen. Ein so arger Niesreiz aber müsse die Fahrweise beeinträchtigen: »Damit mußte der Angeklagte rechnen. Er hätte sein Fahrzeug rechts heransteuern und anhalten müssen, um den Niesanfall abzuwarten.«

Allerdings, so räumte der Amtsgerichtsrat ein, habe nicht geklärt werden können, ob es auf der linken oder auf der rechten Fahrbahn zur Kollision gekommen sei und ob nicht vielleicht auch ein böiger Seitenwind zu dem Unfall beigetragen habe.

Nicht nur dem Nieser Mahler kam das Urteil ungereimt vor. Auch das Oberlandesgericht Celle, bei dem der Handelsvertreter die Revision beantragte, mokierte sich darüber, daß der Buxtehuder Amtsrichter den Niesreiz, den Niesausbruch und den böigen Seitenwind miteinander vermengt hatte, so daß es dem Senat unmöglich erschien, »nachzuprüfen, ob der Amtsrichter das Recht richtig angewandt hat«. Zweifelsfrei festgestellt habe Amtsrichter Konopka lediglich, daß Mahler »stark niesen mußte": »Das aber reicht zu einer Verurteilung nicht aus.«

Andererseits entschied der Celler Strafsenat, ein Kraftfahrer, der die eruptiven Kräfte seiner Nase kenne, müsse auch damit rechnen,

- daß er »infolge eines solchen Niesens in der Beherrschung seines Kraftwagens beeinträchtigt werden kann« und

- daß er »jedenfalls dann, wenn vorher ein besonders stark ausgeprägter Niesreiz einen Niesausbruch ankündigt, sofort alles tun muß, um eine Behinderung oder Gefährdung des Straßenverkehrs zu vermeiden«.

Derart veranlagte Kraftfahrer, so dekretierte der Senat, müßten - »unter Beachtung des nachfolgenden Verkehrs«

- nach rechts heranfahren, halten und

niesen. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit entfalle lediglich dann, wenn der Niesausbruch den Kraftfahrer »plötzlich ohne jede vorherige Ankündigung« überfällt und er dadurch »von der Fahrbahn abkommt oder andere schädigt«.

Gleichwohl hoben die Celler Oberrichter das Urteil auf und gaben die Sache dem Amtsrichter Konopka zurück, weil in diesem Fall die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts nicht zu Lasten des Angeklagten gehen dürfe.

Der Buxtehuder Rechtswahrer bedachte den Nieser Mahler daraufhin auf Kosten der Staatskasse mit einem Freispruch mangels Beweises. Denn: Wie der medizinische Sachverständige bestätigte, war dem Angeklagten nicht zu widerlegen, daß sein Niesen »ganz plötzlich ohne vorherige Ankündigung und erstmalig an diesem Tag erfolgte«.

Mahler wird seine Nies-Bräuche allerdings kaum ungeschoren fortsetzen können: Die Celler Richter gaben der Verwaltungsbehörde zu überlegen, ob ein Kraftfahrer, »bei dem die Niesausbrüche sich gemeinhin mit einer ziemlichen Explosivität entladen, im Besitz der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge bleiben kann«.

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