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IG METALL Nieten-Brenner

aus DER SPIEGEL 14/1961

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, Otto Brenner, 53, jagte Anfang vergangener Woche die Spitzengremien seiner Organisation drei Tage lang durch Konferenzen: Am Montag tagte der Geschäftsführeride Vorstand, am Dienstag der Erweiterte Vorstand und am Mittwoch der Beirat der IG Metall, das höchste beschlußfassende Gremium, das zwischen den alle zwei Jahre stattfindenden Metallarbeiter-Kongressen angerufen werden kann.

Die hundert Funktionäre der zahlenstärksten - Gewerkschaft der Welt (1,7 Millionen Mitglieder) saßen in Frankfurt zu einem Scherbengericht über ihr Vorstandsmitglied Kuno Brandel beisammen, den »einzigen , profilierten - Vertreter der modernen Gewerkschaftsauffassungen im Geschäftsführenden Vorstand der IG Metall« ("Frankfurter Rundschau"). Ihm wurde »gewerkschaftsschädigendes Verhalten« vorgeworfen. Ankläger Brenner verlangte Brandels Ausschluß.

Bereits am 14. März hatte der Beschuldigte seine Ämter als Pressechef der IG, Metall und als Chefredakteur ihrer Zeitschriften eingebüßt. Die Verlautbarung des Vorstands darüber war nur schlecht kaschiert. Es hieß, die Pressearbeit der IG werde neu organisiert, und im Zuge dieser »weiteren Verbesserung der organisatorischen Arbeit« habe Otto Brenner die Pressebetreuung selbst übernommen. Dem bisherigen Pressechef und Chefredakteur seien andere Aufgaben zugewiesen worden.

Brandel machte die Flunkerei nicht mit; er bezeichnete die gewerkschaftsamtliche Darstellung als unrichtig. Mit dem Mut eines Mannes, der nicht mehr viel zu verlieren hat, bestätigte er Journalisten, daß er vom Metall-Vorstand regelrecht abgesetzt worden sei. Er habe eine politische Diskussion innerhalb der Gewerkschaft angeregt und sei dafür das Opfer der »ersten politischen Maßregelung in der deutschen Gewerkschaftsbewegung« geworden.

Diese Flucht in die Öffentlichkeit aber wertete Boß Brenner wiederum als Gewerkschaftsschädigung, die mit einem Ausschluß geahndet werden müsse.

Dem ehemaligen Nieten-Presser aus Hannover kam die Entwicklung sehr gelegen. Brenner gilt als kontaktarmer Mann, der sich so altmarxistisch gebärdet, daß er nach Meinung mancher Genossen »links von sich selbst« steht.

Die gesellschaftspolitischen Veränderungen im Nachkriegs-Deutschland gingen an dem Metallarbeiterführer, der seit seinem dreizehnten Lebensjahr bei den Sozialdemokraten eingeschrieben ist, spurlos vorüber. Er fordert noch stets die Überführung aller Schlüsselindustrien in Gemeineigentum und lehnt eine Partnerschaft mit den Unternehmern ab.

Kuno Brandel, 54, Mechaniker aus dem Stuttgarter Raum, ist auch seit Kindesbeinen in der Gewerkschaft. Der ehemalige Kommunist emigrierte 1933 und kam im Jahre 1950 als geläuterter Sozialist aus Amerika zurück. Seit 1954 gehörte er dem Vorstand der Gewerkschaft an. Seine Blätter »Metall« und »Der Gewerkschafter« gelten als die am besten redigierten Gewerkschaftszeitungen.

Im Gegensatz zu dem-Linksmarxisten Brenner plädiert Brandel für eine sachliche, fast amerikanische Gewerkschaftspolitik und für eine Bejahung des Bonner Staates. Viele radikale Äußerungen seines Chefs gab er in den IG-Zeitungen nur abgeschwächt wieder.

Bei vielen Funktionären galt Brandel als der Mann, der Brenner eines Tages vom Vorstandssitz verdrängen werde. Im Gegensatz zu dem IG-Vorsitzenden hat Kuno Brandel gute Kontakte zu den fortschrittlicheren Gewerkschaftsführern Gutermuth, Kummernuß und Leber sowie zu den »Reformern in der SPD«, den Genossen Wehrler und Deist. Brenners Kritiker äußerten, die Ansicht, dem Otto sei manche Niete unter den Funktionären lieber als der Intellektuelle Brandel. Brenner, so heißt es, spähte seit Jahren nach einer Blöße seines Widersachers, um ihn kaltstellen zu können.

Diese Chance ergab sich, als Kuno Brandel am 21. Februar dieses Jahres einen Brief an seine Vorstandskollegen schrieb, in dem er Kritik an der Politik der IG Metall übte und Verbesserungsvorschläge unterbreitete. Brandels Briefthesen lauteten:

- Die IG Metall ist durch ihre politische Haltung »in der Öffentlichkeit in ein gewisses Zwielicht« geraten. Sie hat die Öffentlichkeit »leider nicht« davon überzeugen können, daß sie »den heutigen Staat als die unantastbare Grundlage unseres staatlichen Lebens« betrachtet.

- Die sture Kontra-Stellung hat dazu geführt, daß die IG Metall sich jeder Möglichkeit beraubte, »ohne die Gefahr politischer Mißdeutung« gegen gewisse Bonner Gesetzgebungspläne wie das Notstandsgesetz und die Krankenkassenreform anzugehen.

- Obwohl die IG Metall für eine Verteidigung der Demokratie eintritt, lehnt sie jedweden Verteidigungsbeitrag ab. Diese Widersprüchlichkeit ist »bedenklich und erschwert die Position der IG Metall in der Öffentlichkeit«.

Kuno Brandel schlug vor, aus diesen Tatsachen Schlußfolgerungen zu ziehen. Er forderte, die IG Metall solle die unklare Situation »in freimütiger, sachlicher und gründlicher Diskussion« bereinigen. Er riet davon ab, weiter in die bisherige »Demonstrationspolitik« abzugleiten.

Anstatt sich um so nebulöse Projekte wie die Verstaatlichung von Industriezweigen zu bemühen, solle die IG sich Gedanken um erreichbare und genau umrissene Nahziele machen und dem Geschehen in den Industriebetrieben größere Aufmerksamkeit widmen. Gewerkschaftler Brandel hatte mit dem Brief von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Otto Brenner indes lehnte Brandels Vorschläge nicht nur ab; er forderte den Reformer überdies auf, aus den Meinungsverschiedenheiten persönliche Konsequenzen zu ziehen. Als Brandel den Rücktritt verweigerte, feuerte ihn Brenner aus seinem bisherigen Geschäftsbereich Presse, Funk und Werbung.

Um den unbequemen Widersacher vollends loszuwerden, drängte Otto Brenner auch noch auf Brandels Ausschluß. Das höchste Gremium der »größten, aber auch isoliertesten Gewerkschaft im DGB« ("Frankfurter Rundschau") jedoch bestätigte am vergangenen Mittwoch zwar mit 72 gegen zwei Stimmen Brandels Absetzung, brach aber nicht zuletzt auf Anraten des SPD-Parteivorstands das Ausschlußverfahren ab. Brandel wird seitdem bei der IG Metall als Vorstandsmitglied ohne Geschäftsbereich geführt.

Abgesetzter Funktionär Brandel

Rechts vom Boß

Brandel-Gegner Brenner

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