»Nimm deine Prämie und hau ab«
Am Freitag vorletzter Woche empfing Liselotte Funcke, Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, in ihrer Hagener Wohnung den Journalisten Kajo Schmidt zu einem Hintergrundgespräch. Was tags darauf in der »Westfalenpost« stand, war Stoff fürs Sommerloch.
An der wachsenden Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik, faßte das Blatt die Bemerkungen der FDP-Politikerin zusammen, seien die Regierenden in Bonn nicht schuldlos. Besonders Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann liefere mit seinen rigorosen Plänen und Bemerkungen zur Ausländerpolitik »den Rechtsradikalen täglich Futter«.
Aus dem Hause Zimmermann erscholl der Ruf nach Frau Funckes Rücktritt. Vor der Bundespressekonferenz kanzelte Regierungssprecher Jürgen Sudhoff die Beauftragte ab. Die wiederum dementierte in einem Brief an Zimmermann das ihr zugeschriebene Zitat, während die »Westfalenpost« auf ihrer Darstellung beharrte.
Wie auch immer: Daß Liselotte Funcke so denkt, belegt ein Brief, den sie schon im April an Bundeskanzler Helmut Kohl schrieb. Verantwortlich für die Nöte und Ängste der Gastarbeiter seien nicht nur jene Bundesbürger, so heißt es da, die mit »ausländerfeindlichen Parolen und Aktionen« Stimmung machten, sondern auch jene Politiker, die mit »täglich neuen Vorschlägen« auf »Zurückdrängung, Begrenzung oder Abschiebung« zielten.
In der Sache weiß sich die Liberale mit linksliberalen Parteifreunden wie Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, aber auch mit dem FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher einig. Sie alle verfolgen mit wachsendem Zorn die ausländerpolitischen Aktivitäten des christsozialen Innenministers: Er tut so, als vertrete er längst beschlossene Positionen des Koalitionskabinetts. Zimmermann bei seinem Türkei-Besuch vor fünf Wochen: »Ich muß das durchsetzen, was ich und meine Regierung für richtig halten.«
Diesmal wollen die Freidemokraten, die bei der Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts vor Zimmermann noch eingeknickt waren, gegenhalten. Intern gab Genscher die Parole aus: »Das Demonstrationsrecht war vereinbart, aber jetzt ist Schluß.« Ein FDP-Präside: »Bei uns wächst der Wunsch, Herrn Zimmermann mal seine Grenzen zu zeigen.«
Millionen Gastarbeiter warten auf ein Zeichen. Bei ihnen verbreitet sich Furcht, seit im einstigen Wunderland darüber diskutiert wird, wie man die Fremdlinge, die zum Teil mit Viehhändler-Methoden angeworben worden waren, wieder los wird.
Zwar gibt es auch bei den regierenden Unionschristen, denen in der Oppositionszeit keine Restriktionsmaßnahme der Schmidt-Regierung scharf genug war, besonnene Leute, die sich einer Trendwende in der Ausländerpolitik entgegenstemmen. Da ist zum Beispiel Familienminister Heiner Geißler, der Stammtisch-Strategen vor dem »Trugschluß« warnt, »man brauche nur die Gastarbeiter in ihre Heimatländer zurückzuschieben, um allen Deutschen wieder zu einem Arbeitsplatz zu verhelfen«. Geißler: »Ohne ausländische Arbeitnehmer würden in vielen Städten die Müllabfuhr zusammenbrechen, die Räder der Fördertürme stocken und die Gaststätten veröden.«
Da ist Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der tapfer verkündet, mit ihm werde es keine Abschiebepolitik geben. Und da ist Berlins Regierender Bürgermeister Richard von Weizsäcker, der im April von einem Türkei-Besuch mit der Erkenntnis zurückkam, eine größere Welle von Rückwanderern könne das Land aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht vertragen.
Weizsäckers Folgerung: »Die Türken sind auf unseren und ihren Wunsch zu uns gekommen. Sie befinden sich jetzt bei uns, und daher tragen wir die politische Verantwortung für ihre Lebenschancen.« Jetzt gelte es, den Gästen »das Gefühl der Unsicherheit zu nehmen« und ihnen die »Voraussetzungen für einen lebenslangen Aufenthalt zu schaffen«.
Besser aber scheinen Hardliner wie der CDU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger die Stimmungslage von Partei und Volk zu treffen. Noch als Oppositionspolitiker hatte er die schlagende These erfunden, daß die Familienzusammenführung bei Ausländern vorzugsweise in deren Heimatland stattzufinden habe. Und wie damals faselt Dregger auch heute, zuletzt in den Koalitionsverhandlungen nach dem 6. März, unverdrossen von der »kulturellen Überfremdung«, die dem deutschen Volke drohe.
Doch da sei Friedrich Zimmermann vor. Bonns Innenminister läßt keinen Zweifel daran, daß er es vor allem auf die türkischen Gastarbeiter abgesehen hat. Denn das seien hauptsächlich »Moslems«, so Zimmermann, die »in Wirklichkeit ja nicht auf Dauer bleiben wollen, sich nicht integrieren wollen, auch nicht deutsche Staatsbürger werden wollen, sondern mit dem erkennbaren Willen einreisen, hier Geld zu verdienen und dann wieder zurückzugehen« (SPIEGEL 28/1983).
Weil die Freidemokraten das Türken-Problem differenzierter sehen, konnten sich die Koalitions-Unterhändler über den Kurs in der Ausländerpolitik nicht einigen. Aber die Unionschristen setzten in der Vereinbarung einen Passus durch, der schärfere Maßnahmen gegen den Familiennachzug ankündigt, falls die Politik der Rückkehrförderung nicht greift.
»Nur restriktive Aussagen« enthalte das Koalitionspapier, kritisierte Liselotte Funcke in ihrem Brief an Kohl: »Kein Wort zur Integration oder zur Sicherung
des Aufenthalts für langjährig bei uns lebende und arbeitende Ausländer.«
Damit hat Zimmermann auch gar nichts im Sinn. Nur verbal hält er sich, wie etwa in seiner Grundsatzrede vor dem Bundestags-Innenausschuß, noch an die von den Sozialliberalen übernommenen drei Eckwerte der Ausländerpolitik, nämlich *___"Integration der seit längerem bei uns lebenden ____ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien, *___Begrenzung des weiteren Zuzugs und *___Förderung der Rückkehrbereitschaft«.
Wo die neuen Bonner Regenten die Prioritäten setzen, erläuterte Ende Juni sein Parlamentarischer Staatssekretär Carl-Dieter Spranger auf einer Fachtagung der christsozialen Hanns-Seidel-Stiftung: Bei ihm rutschte das Stichwort Integration an die letzte Stelle.
Was Spranger sonst noch zum Thema Gastarbeiter beisteuert, klingt, als seien die Südländer nur durch einen Gnadenakt in die Bundesrepublik gekommen und nicht, weil die deutsche Wirtschaft dringend Arbeitskräfte brauchte. Der CSU-Mann großzügig: »Wir haben mehrere Millionen Ausländer aufgenommen.«
Nun sollen sie, wenn''s irgend geht, in die Heimat zurück. Als erstes beschloß die Bundesregierung Ende Juni finanzielle Rückkehrhilfen für arbeitslose Gastarbeiter aus den Anwerbestaaten.
Gern hätte Norbert Blüm allen Ausländern ohne Beschäftigung - derzeit rund 300 000, davon gut 120 000 Türken - ein solches Angebot gemacht. Doch die dafür erforderlichen Milliardenbeträge gibt Finanzminister Gerhard Stoltenbergs Sparetat nicht her.
So blieb ein bis Mitte nächsten Jahres befristetes Abschiedsgeld von 10 500 Mark (plus 1500 Mark je heimkehrendes Kind) für jene Gastarbeiter, die während der Laufzeit des Gesetzes durch Konkurs oder Stillegung ihres Betriebes arbeitslos werden oder mindestens ein halbes Jahr kurzgearbeitet haben.
Daß eine Entscheidung über Rückkehrhilfen für deutschlandmüde Ausländer überfällig war, räumen auch die Freidemokraten ein. Noch in der alten Koalition hatten sie mit den Sozialdemokraten nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, damit aber, so FDP-Innenexperte Burkhard Hirsch, »falsche Hoffnungen geweckt«. Weil sie auf Beträge bis zu 50 000 Mark spekulierten, blieben zwischen 60 000 und 80 000 rückkehrwillige Ausländer erst mal auf ihren gepackten Koffern sitzen.
Sie alle gehen bei Blüms Gesetz leer aus. Aber nicht nur deshalb haben sensible Liberale ein starkes Gefühl des Unbehagens. Ex-Innenminister Gerhart Baum: »Wir betonen die Freiwilligkeit des Angebots, aber in Wahrheit steckt dahinter die Aufforderung: Nimm doch deine Prämie, und hau endlich ab.«
Blüm hatte denn auch einen schweren Stand, als er Anfang Juni in Ankara die Bonner Rückkehrhilfen erläuterte. Immer wieder mußte der Arbeitsminister beteuern, daß diejenigen Gastarbeiter, die von der Geldofferte keinen Gebrauch machen und bleiben, »nicht ein Jota ihres sozialen Schutzes verlieren«.
Daß seine Gesprächspartner gleichwohl kritisch blieben, hat Blüm sich selbst zuzuschreiben. Um sein Gesetz publikumswirksam zu verkaufen, hatte er in Bonn vorgerechnet, welch ein glänzendes Geschäft die ganze Sache für die Deutschen ist.
Schon bei der Rückkehrhilfe, so die Kalkulation, stehen den erwarteten Kosten von 220 Millionen Mark 1983/84 Entlastungen beim Kinder- und Arbeitslosengeld in Höhe von 320 Millionen bis 1987 gegenüber. Dieser Betrag erhöht sich weiter um »nicht quantifizierbare« (Blüm) Einsparungen bei Sozialhilfe und Wohngeld.
Einen noch größeren Reibach macht Bonn mit jenen Ausländern, die sich ihre Beiträge zur Rentenversicherung auszahlen lassen. Geschätzte Kosten 1983/ 84: 680 Millionen Mark; langfristige Entlastung bei den Rentenleistungen: zwei bis 2,5 Milliarden Mark.
Da die Maßnahmen befristet sind, rechnen die Bonner aber nicht mit einer großen Abwanderungswelle. Die erwartete Zahl von 20 000 arbeitslosen Rückkehrhilfe-Empfängern weist eher auf die voraussichtliche Entwicklung der Pleiten hin als auf die Bereitschaft der Gastarbeiter, wieder in ihre Heimat zu gehen. Jene schätzungsweise 45 000 Ausländer eingeschlossen, die sich ihre Rentenbeiträge erstatten lassen, dürften inklusive Kinder nur rund 100 000 Ausländer vom Blüm-Gesetz Gebrauch machen und das Land verlassen - für Begrenzungspolitiker eine Enttäuschung angesichts einer Fremdenpopulation von 4,615 Millionen Wahl-Deutschen, davon 1,59 Millionen Türken.
Diejenigen, die gehen, erwartet in der Regel ein ungewisses Schicksal. Nachgerade unverantwortlich ist es, wenn Blüm suggeriert, 10 500 Mark Heimkehrhilfe nebst Kinderzuschlägen plus durchschnittlich 10 000 Mark aus der Rentenkasse _(Neben einer Büste des türkischen ) _(Staatsgründers Kemal Atatürk im ) _(Außenministerium in Ankara. )
seien »doch schon etwas, mit dem man was anfangen kann«.
Wohl kaum. Die Rückkehrprämie, erklärten evangelische Auslandspfarrer, reiche im Normalfall gerade aus, um die Kosten für Umzug, Zoll und Eingewöhnung im Heimatland zu decken. Ein Beitrag zur Existenzgründung, »ein Stück wirtschaftlicher Entwicklungshilfe«, wie der Arbeitsminister meint, sind die Abschiedspräsente jedenfalls nicht. Genau das aber ist die Crux der westdeutschen Rückkehrförderungs-Politik: »Es fehlt die individuelle Hilfe bei der Wiedereingliederung«, so der SPD-Experte Wolfgang Bodenbender, »das ist eine völlig offene Flanke.«
Daß ausgerechnet der christdemokratische Sparkommissar Gerhard Stoltenberg diese Mittel bereitstellt, ist unwahrscheinlich. Schon bei den Sozialdemokraten gab es eine »unheilige Allianz« (Bodenbender) zwischen dem Finanzminister, der für die Existenzgründung von Heimkehrern keine zusätzliche Mark herausrücken wollte, und dem Entwicklungshilfeminister, der seinen Haushalt nicht umschichten mochte.
Bisher hat Bonn in der Türkei vor allem die sogenannten Arbeitnehmer-Gesellschaften gefördert - kleine bis mittelgroße Unternehmen auf Aktienbasis, in die viele Gastarbeiter investiert haben. Die rund 80 Millionen Mark, die in den vergangenen zehn Jahren aus dem Bonner Entwicklungshilfe-Etat in den zur anderen Hälfte von Ankara gespeisten Kreditsonderfonds flossen, waren aber offenbar nicht gut angelegt, wie eine kürzlich abgeschlossene Evaluierung der Arbeitnehmer-Firmen zeigte: Mißmanagement und der weitgehende Zusammenbruch des türkischen Binnenmarktes haben die meisten Betriebe tief in die roten Zahlen getrieben.
Die Misere der Arbeitnehmer-Gesellschaften kommt den Intentionen der Bundesregierung entgegen. Sie wollte schon immer, auch zu sozialliberalen Zeiten, den Akzent stärker auf die Förderung von Kleinbetrieben legen. Der im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zuständige Beamte Franz Josef Micha: »Das Interesse der meisten türkischen Heimkehrer richtet sich auf einen eigenen Betrieb, das Interesse an Beteiligungen ist deutlich gesunken.«
In Ankara glaubt Micha auf »Verständnis« für den Bonner Wunsch zu treffen. Freilich macht die bisher auf Arbeitnehmer-Gesellschaften fixierte türkische Regierung einen nicht unerheblichen Vorbehalt: Stärkere Hilfen für Familienbetriebe müßten mit den türkischen Entwicklungszielen übereinstimmen. Was das bedeutet, erläutert ein deutscher Diplomat in Ankara so: »Einzelexistenzen passen nicht ins Konzept der türkischen Planer - die wollen viel lieber Großprojekte von uns.«
Gerade der vom Ersparten aufgebaute kleine Familienbetrieb aber ist für viele Heimkehrer die einzige Chance. Nach Jahren der Schufterei in Westdeutschland wollen sie daheim nur ungern abhängig beschäftigt sein, ohnehin sind die Aussichten auf einen solchen Job bei einer Arbeitslosenquote von über 20 Prozent in der Türkei äußerst gering.
Der Weg in die Selbständigkeit ist freilich voller Widrigkeiten. Allzu viele Rückwanderer drängen ins Dienstleistungsgewerbe der Großstädte und damit in einen hoffnungslosen Konkurrenzkampf. Das Taxi-Gewimmel auf den Straßen Ankaras und Istanbuls ist der rollende Beweis.
Nicht minder dornenreich verläuft in der Regel auch die Gründung kleiner Produktionsbetriebe. Der Hamburger Soziologe Hanns Thomä-Venske kam nach einem Forschungsaufenthalt in Nordgriechenland zu dem tristen Ergebnis, daß die Heimkehrer »aufgrund ihrer langen Abwesenheit« häufig »nicht über die notwendigen Beziehungen und Kenntnisse des einheimischen Geschäftslebens« verfügen, »so daß viele dieser Kleinunternehmen nach einiger Zeit unter Verlust des investierten Kapitals aufgeben müssen«.
Wie das im einzelnen funktioniert, schildert der Direktor einer griechischen Arbeitnehmer-Gesellschaft: _____« Der Firma war es nicht erlaubt, Maschinen oder » _____« Rohstoffe direkt in der BRD zu kaufen, ohne zahlreiche » _____« Devisenformalitäten für diesen Kauf erledigen zu müssen, » _____« darunter z. B., daß wir unser deutsches Geld erst einmal » _____« von Deutschland nach Griechenland transferieren und es » _____« hier in Drachmen umwechseln mußten, es dann aber wieder » _____« in DM eintauschen und erst nach Genehmigung von Bank, » _____« Handelskammer und Industrieministerium wieder nach » _____« Deutschland ausführen konnten, um damit die Maschinen zu » _____« kaufen. » _____« Die anfänglichen Versprechungen »Sie werden auch » _____« Darlehen bekommen«, »Sie werden viele Gelder bekommen« » _____« waren dazu bestimmt, uns tagelang mit Diskussionen, dem » _____« Ausfüllen von Anträgen und Formularen, Vorlegung von » _____« Kostenvoranschlägen zu beschäftigen. Am Ende hieß es » _____« immer: »Warten Sie noch ein bißchen, jetzt haben wir » _____« keine Gelder.« Damit bezweckten sie, uns durch » _____« Verausgabung unseres Kapitals in eine schwache » _____« Verhandlungsposition zu versetzen, damit sie uns ihre » _____« Bedingungen aufzwingen könnten. Für ein Darlehen in Höhe » _____« von 600 000 Drachmen mußten wir im Endeffekt 2,5 » _____« Millionen Drachmen aufbringen ... » _____« Als wir soweit waren, die Produktion aufzunehmen, war » _____« unser Kapital verbraucht und die Gesellschaft » _____« verschuldet. Es gelang allen, denen wir nicht gefällig » _____« waren, nämlich den Banken, den politischen Parteien und » _____« den Konkurrenzbetrieben, unsere Entwicklung zu » _____« verhindern. »
Die Firma ist inzwischen geschlossen.
Im Bakschisch-Staat Türkei dürfte es noch rauher zugehen. »Da kommt zuerst Allah«, weiß Blüm-Staatssekretär Manfred Baden, »dann ganz lange nichts und dann der türkische Zoll.« Die Zeitung »Tercüman« über die Gebräuche am Heimkehrer-Grenzübergang Kapikule: »Zahlt man den Zöllnern keine Bestechung, so ist Kapikule wie Canakkale _(Vor der Abfahrt in Köln. )
1915 für die Flotte der Briten: Man kommt nicht durch.«
Selbst wenn es Bonn in Zusammenarbeit mit Ankara gelänge, Heimkehrern gezielter als bisher bei der Existenzgründung zu helfen - eine ins Gewicht fallende Wanderungsbewegung würde ebensowenig ausgelöst wie mit den Staatshilfen für Arbeitnehmer-Gesellschaften. Bei denen ist, so Micha vom BMZ, »der Rückkehreffekt sehr bescheiden«.
So soll es nach dem Willen der türkischen Regierung auch bleiben. Zwar pokerten Blüms Gesprächspartner hart um deutsche Devisen - die geplanten Rückkehrhilfen, so ihr ständiges Monitum, seien viel zu niedrig. Im gleichen Atemzug aber machten sie ihr wahres Interesse deutlich. Blüm: »Der Knackepunkt ist, daß die überhaupt keine Rückkehr wollen.«
Zu Recht, findet Rudolf Dreßler, Vorsitzender der Arbeitsgruppe »Ausländische Arbeitnehmer« der SPD-Bundestagsfraktion: »Wir müssen uns damit abfinden, daß angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Situation in den Heimatländern für die Masse der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien keine reale Möglichkeit gegeben ist, in ihre Heimat zurückzuwandern.«
Und SPD-Bodenbender ist sicher: »Wie man es auch dreht und wendet, es gibt keine Alternative zur Integration der hier lebenden Ausländer.«
Das hatte schon die verflossene Regierung erkannt. Doch gesetzgeberische Maßnahmen ließen auf sich warten - gefragt waren Ad-hoc-Aktionen mit dem Ziel, die trotz Anwerbestopp weiter steigenden Ausländerzahlen zu begrenzen.
So wurde zum Beispiel die sogenannte Ehebestandsdauer eingeführt: Gastarbeiter der zweiten Generation und ihre Kinder, die in ihrem Heimatland heiraten, dürfen seitdem ihren Partner erst in die Bundesrepublik nachholen, wenn die Ehe seit mindestens einem Jahr besteht. Bayern und Baden-Württemberg erhöhten die Frist sogar auf drei Jahre.
Mit ihrer neuen Vorschrift wollten die Deutschen auch jenen Ausländern beikommen, die nur zum Schein heiraten, um so weiteren Landsleuten zum Aufenthalt in der Bundesrepublik zu verhelfen. Doch getroffen wurden oft andere als die Adressaten. Einen besonders krassen Fall erzählte Liselotte Funcke auf dem diesjährigen Evangelischen Kirchentag in Hannover: _____« Da hat ein in Baden-Württemberg lebender Jugoslawe » _____« seine Frau verloren und steht mit zwei Kindern ohne » _____« nähere Verwandte da. Er heiratet eine Bekannte aus seiner » _____« Heimat und hofft damit auf ein neues geordnetes » _____« Familienleben und auf eine Mutter für seine Kinder. Aber » _____« das Ausländeramt verweigert der Frau den Aufenthalt - sie » _____« soll erst drei Jahre warten. »
Auf Intervention der Ausländerbeauftragten revidierte Stuttgarts Innenminister Roman Herzog kürzlich die Behördenentscheidung, die der Liberale Hirsch sarkastisch kommentiert: »Eine dreijährige Trennung ist nach deutschem Recht der unwiderlegbare Beweis, daß eine Ehe zerrüttet ist.«
Ständig neue Begrenzungsmaßnahmen, die von Land zu Land, von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedliche Behördenpraxis, dazu die wirtschaftlichen Probleme und die wachsende Ausländerfeindlichkeit - all das hat in den vergangenen Jahren auch jene Gastarbeiter verunsichert, die zum Bleiben entschlossen sind, auch wenn sie es nicht offen auszusprechen wagen.
Dem Innenminister ist das noch lange nicht genug. Im Schweinsgalopp will er die Ausländerfrage bewältigen. Kaum im Amt, rief der Christsoziale eine Kommission mit Vertretern aus Bund, Ländern und Gemeinden ins Leben. Die hörte zwar deutsche Sachverständige an, nicht aber die Ausländer.
Der Ende Februar vorgelegte Kommissionsbericht mit seinen zahlreichen restriktiven Empfehlungen, so weiß Frau Funcke, »hat die Unruhe bei den Ausländern beträchtlich verstärkt«. Es werde deshalb, schrieb sie an den Kanzler, »sehr darauf ankommen, wie der Bericht tatsächlich umgesetzt wird«.
Ganz gewiß nicht im Sinne der Liberalen. Sein Entwurf für ein neues Ausländergesetz, ließ Zimmermann durch Spranger verkünden, werde »in den Einzelfragen weitgehend die Vorschläge übernehmen, die bei der Kommissionsarbeit vom Bundesminister des Innern vertreten worden sind«. Dort gehörten die Beamten des Wende-Ministers stets zur Fraktion der Begrenzer.
Besonders dringlich erscheint es Zimmermann, das Alter, bis zu dem Ausländerkinder nachkommen dürfen, von derzeit 16 auf sechs Jahre zu senken - zwar mit Härtefallklauseln, aber ohne die vom Justizminister geforderte Übergangsregelung.
Für den Zimmermann-Plan sprechen die besseren Integrationschancen der Kinder. So ergab eine vierjährige Untersuchung in Frankfurt, daß insgesamt 32 Prozent der ausländischen Schüler keinen Hauptschulabschluß erreichen (Deutsche: 14 Prozent). Aber: Ausländerkinder, die neun Jahre lang die deutsche Hauptschule besuchten, schafften zu 88 Prozent den Abschluß.
Gegen die auf den ersten Blick vernünftige Absicht stehen freilich schwere Bedenken. »Kein vergleichbares Land in Europa oder Nordamerika«, so Frau _(Mit geschenkten Geldscheinen. Das Geld ) _(wird nach heimischer Sitte Braut und ) _(Bräutigam angeheftet. )
Funcke, »bringt nach meiner Feststellung Verständnis für einen solchen als familienfeindlich angesehenen Vorschlag auf.« Zudem wäre die Altersgrenze eine Art Ausnahmerecht gegen Jugoslawen und Türken. Denn Kinder aus EG-Staaten, von Asylberechtigten und Ostblock-Einwanderern dürften auch künftig als »Seiteneinsteiger« in die Bundesrepublik kommen.
Obendrein wären Kindergärten, Schulen, Ausbildungsstellen und soziale Dienste überhaupt nicht auf den Schub eingerichtet, der entstünde, wenn viele Ausländer noch kurz vor Toresschluß ihre Kinder nachkommen ließen. Und »mit Grauen« denkt FDP-Hirsch daran, »was hier wohl los sein wird, wenn wir ein älteres Kind, das seine Eltern ja besuchen kann, zwangsweise in die Heimat zurückverfrachten«.
Auch diesen Fall hat Zimmermann bedacht. Er will die Eltern gesetzlich verpflichten, minderjährige Kinder, die sich unerlaubt im Bundesgebiet aufhalten, ins Ausland zurückzubringen. Weigern sie sich, sollen sie selbst gleich mit ausgewiesen werden. Wenigstens die Vertreter des Bundeslandes Bremen und Frau Funcke durchschauten in der Ausländer-Kommission den Trick: Einer solchen Regelung, beharrten sie, könnten sie nur zustimmen, wenn die Sechs-Jahres-Grenze nicht eingeführt werde.
Weil der Innenminister beim Streit um das Nachzugsalter nicht nur den Koalitionspartner FDP, sondern auch den christdemokratischen Arbeitsminister Blüm ("So etwas entspricht nicht meiner Vorstellung von Familienpolitik") gegen sich hat, sinnt er vorsorglich auf Auswege. So will er durchsetzen, daß alle Kinder über sechs Jahre eine Aufenthaltserlaubnis benötigen. Hirsch argwöhnt, daß mit diesem Dreh »Zuzugsbeschränkungen für minderjährige Kinder im Wege einer Verordnung eingeführt werden könnten«.
Auch sonst ähneln Zimmermanns Vorhaben einem ausgeklügelten Hindernis-Parcours - erdacht, um möglichst viele Gastarbeiter straucheln zu lassen.
So soll Ausländern der zweiten Generation und ihren Kindern die Einbürgerung künftig zwar erleichtert werden - freilich ohne Rechtsanspruch. Wer von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, dem will der Innenminister einen sicheren Aufenthaltsstatus (unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsberechtigung) verweigern: Der Ausländer muß also immer wieder einen neuen Antrag auf Daseinsberechtigung in der Bundesrepublik stellen. Verlängert werden soll eine befristete Aufenthaltserlaubnis künftig nur, wenn der Lebensunterhalt gesichert und eine »ordnungsgemäße, nicht unzureichende« Wohnung vorhanden ist und wenn der Wahl-Bundesbürger keine größeren Gesetzes-Verstöße begangen hat.
In der Praxis würden diese neuen Bestimmungen wie eine Guillotine wirken. Denn Zimmermann will künftig bei Ausländern, die keine langfristig gültige Aufenthaltsbewilligung besitzen, den Bezug von Sozialhilfe zum Ausweisungsgrund erheben. Abgeschoben werden können soll auch, wer seit mehr als einem Jahr Arbeitslosenhilfe bezieht.
Vertrackter noch ist der geforderte Wohnungsnachweis, mit dem schon heute Ausländer schikaniert werden. Das Ordnungsamt Salzgitter etwa verweigerte Anfang des Jahres dem Türken Ali Kaya die beantragte Aufenthaltsberechtigung. Kaya lebte mit Frau und drei Kindern in einer Werkswohnung von 57,61 Quadratmetern. Gefordert sind aber zwölf Quadratmeter je Person. Die »Einfügung in das soziale Leben in der Bundesrepublik«, schrieb die Behörde, sei mithin »nicht erfüllt": Der Familie Kaya fehlten 2,39 Quadratmeter Wohnfläche.
Gewiß ziehen viele Ausländer - vor allem Türken - Billigquartiere in den Fremden-Gettos vor, weil sie hoffen, so ihr Sparziel am schnellsten zu erreichen. Ebenso sicher ist aber auch, daß diejenigen, die sich um bessere Behausungen bemühen und damit ihren Willen zum Bleiben dokumentieren, auf dem engen Wohnungsmarkt bei deutschen Vermietern an hinterster Stelle rangieren.
Frau Funcke und die FDP wollen, daß diese Zwangslage der Ausländer bei der Gesetzesnovelle berücksichtigt wird. Ihr Vorschlag: Die Aufenthaltserlaubnis darf wegen unzureichender Wohnverhältnisse nur dann nicht verlängert werden, wenn die »zuständige Behörde dartut, daß entsprechender Wohnraum vorhanden ist«, jedoch vom Ausländer »aus in seiner Person liegenden Gründen nicht nachgewiesen wird«.
Die Liberalen halten eine faire Regelung in diesem Punkt für besonders wichtig, weil angemessener Wohnraum auch eine Voraussetzung für den Kindernachzug ist. Hirsch: »Ein Teufelskreis - da sollen unsere Ausländer ihre Kinder frühzeitig zu sich holen, aber wenn die keine vernünftige Wohnung finden, soll es ihnen verweigert werden.«
Auch gegen andere Pläne Zimmermanns laufen die Freidemokraten Sturm. So will der Abschiebeminister straffällig gewordene Ausländer künftig schon vor einer Verurteilung ausweisen können. Und als zusätzlicher Abschiebegrund soll »Abhängigkeit von Heroin oder anderen harten Drogen« eingeführt werden - statt Hilfe also Strafe für diejenigen, die Opfer der auch von den Deutschen mitzuverantwortenden Ausländer-Gettos geworden sind.
Noch liegt Zimmermanns Gesetzentwurf nicht vor, noch ist nicht ausgemacht, ob der Christsoziale sich gegen die Liberalen durchsetzen wird - in den Behörden vor Ort indes wird die harte Linie schon vorsorglich geübt.
»Die Länder schikanieren die Ausländer nach ihrem Ermessen«, schrieb Liselotte Funcke unlängst einem Parteifreund. Zum Beleg führte sie auch diese Beispiele an: »Da wurden Diktatfehler zum Kriterium für die Ablehnung von Anträgen auf verfestigten Aufenthaltsstatus, da werden immer mehr Barrieren vor einer Einbürgerung aufgetürmt, und da wird gar angeregt, durch zwangsweise Röntgenuntersuchungen festzustellen, ob das angegebene Alter stimmt.«
Die Folgen auch solcher Praktiken passen in Zimmermanns Konzept: Weil zwischen September 1982 und März 1983 mehr Gastarbeiter in die Heimat zurückkehrten als nachzogen, nahm die Ausländerbevölkerung erstmals nach 1977 wieder ab - um 51 500 auf 4,615 Millionen.
Neben einer Büste des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk imAußenministerium in Ankara.Vor der Abfahrt in Köln.Mit geschenkten Geldscheinen. Das Geld wird nach heimischer SitteBraut und Bräutigam angeheftet.