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KRIMINALITÄT Nimmer jeder Krampf

War die Oetker-Entführung gar nicht das exakt berechnete, von kaltblütigen Intelligenzlern ausgeübte Verbrechen, wie viele Fahnder glaubten -- sondern mittelmäßige Räuberei?
aus DER SPIEGEL 6/1979

Helmut Trometer, Präsident des bayrischen Landeskriminalamtes (LKA), fuhr seinem Dackel liebevoll durchs Rauhhaar: »So, Wastl, jetzt hammas.« Eingeweihte schlossen aus der Schmuserei zwischen Herr und Hund, die auch im Dienst unzertrennlich sind, daß sich der Chef seiner Sache diesmal »absolut sicher« ist.

Denn die Beamten einer »Sonderkommission Oetker« konnten nach mehr als zwei Jahren vergeblicher Fahndung, bei der rund 15 000 Zeugen vernommen wurden und die letzten November in einer bisher einmaligen öffentlichen Fahndung über Funk, Fernsehen und Fernsprechansagedienst gipfelte, letzte Woche einen ersten mutmaßlichen Täter anbieten: Dieter Zlof, 37, einen arbeitslosen Betriebswirt und Hobby-Mechaniker, der beim Eintausch eines der registrierten Tausender aus dem Lösegeld erwischt wurde.

Zlof soll nach den Erkundungen der Polizei den Schaumstoff besorgt haben, mit dem die Holzkiste für den entführten Richard Oetker ausgekleidet war. Und zehn Tage vor der Tat hat er, so die Fahnder, den Opel Commodore gekauft, in dem das schwerverletzte Opfer aufgefunden wurde. Auch soll Zlof einen VW-Kastenwagen des Typs besessen haben, in dem Oetker zeitweise gefangen war.

Statt des vorerst spurlos verschwundenen Lieferwagens stieß die Sonderkommission letzte Woche unverhofft auf einen VW-Pritschenwagen aus dem Besitz des Festgenommenen. In die Ladefläche des Fahrzeugs war ein Behältnis eingeschweißt worden, in das exakt der Alukoffer paßt, mit dem die 21 Millionen Mark Lösegeld abtransportiert wurden.

Auch sonst scheint sich nun Stein für Stein zu fügen in diesem langwierigen Kriminal-Puzzle, an dem sich neben den Profis von der Sonderkommission auch zahlreiche Amateure versucht hatten, etwa die »amtlich anerkannte« Heilseherin Berta Klare, die mit ihrem inneren Auge »das Geld im Wald vergraben« sah, oder der Psychotherapeut Günther Krapf, der das »katathyme Bilderleben« von Richard Oetker auszuforschen versuchte.

Die LKA-Fahnder hatten schon wenige Monate nach der Tat den Münchner Westen als die heißeste Ecke ausgemacht und sich zeitweilig sogar auf ein Straßengeviert in München-Laim konzentriert. Die Wohnung Zlofs, ein Reihenhaus in München-Pasing, liegt nun tatsächlich nur ein paar Ecken weiter. Ebenso eine kleine Mechanikerwerkstatt des Festgenommenen, die inzwischen abgerissen wurde, aber zur Tatzeit genauso ebenerdig und so zurückversetzt von einer lebhaften Durchgangsstraße stand, wie das Opfer es in Erinnerung behalten hatte.

Schließlich steht auch ein Kirchturm nahebei, dessen Geläut Oetker ebenso im Ohr hatte wie das Gebell eines kräftigen Hundes, den es damals in der Nachbarschaft Zlofs gab. Präsident Trometer über den ersten Erfolg: »Ein Quantum Glück gehört dazu.«

Sollte sich Zlof, der von Rechtsanwalt Rolf Bossi vertreten wird und bislang jede Tatbeteiligung bestreitet, als einer der Täter erweisen, so müßten freilich alle Theorien von einer großen Konspiration fallengelassen werden, die zeitweise sogar im Landeskriminalamt entwickelt worden waren.

Während einige Fahnder nach den ersten in Kufstein aufgetauchten Tausendern aus der Beute vorsichtig von einer zwischen Kitzbühel und München pendelnden »Gangster-Schickeria« sprachen, rannten Landeskripo-Beamte hinter einem Mafia-Phantom her, bei dem sie am Ende außer Schaden auch noch den Spott ertragen mußten: Im »Holiday-Inn« ließen sie sich von ein paar Italienern statt Gold, angeblich aus der Oetker-Beute gekauft, einige Köfferchen mit Bleibarren andrehen. Illusion sind vorerst auch Kombinationen, es könne sich bei den Oetker-Entführern nur um intelligent planende Terroristen handeln (SPIEGEL 5/1979), wie es der Präsident des Bundeskriminalamts Horst Herold in einer Expertise ausgeführt und seinem Kollegen Trometer zugänglich gemacht hatte.

Der Tathergang kurz vor Weihnachten 1976 hatte ja wohl auch professionelle Handschrift suggeriert -- vom offenbar exakt ausbaldowerten Stundenplan des Agrarstudenten Richard Oetker, der nach dem letzten Abendseminar gefangen und in einer mit elektrischen Marteranlagen ausgerüsteten Kiste versteckt wurde; bis zu dem wie von unsichtbarer Hand ferngesteuerten Bruder August, der in einem Koffer die 21 Millionen Mark anschleppte und von einem Hotel zum anderen, dann zum abfahrbereiten Rom-Expreß, von da zu einem Schließfach, schließlich zur Bahnhofstoilette gelotst wurde -- bis er im Stachus-Untergeschoß vor der berüchtigten Türe landete, aus der sich eine Täterhand hervorschob und blitzschnell den Koffer ergriff. Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber bescheinigte damals den Unbekannten »beträchtliche kriminelle Energie« und verglich das Oetker-Kidnapping mit dem britischen Postraub.

Nach dem gegenwärtigen Fahndungsstand freilich scheint es sich in München um eine Entführung mit eher durchschnittlichen Merkmalen gehandelt zu haben. Der Kriminologe Wolf Middendorff vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht: »Mittlere Intelligenz, mittlere Vorbereitung, mittlere Tatausführung.«

Solches Mittelmaß, so erweist jedenfalls die Kriminalstatistik, läßt sich frü-

* Mit den Nummern der 1000-Mark-Scheine, die an die Oetker-Entführer gezahlt wurden.

her oder später allemal polizeilich ausmachen. Von den drei Dutzend Entführungsfällen seit Mitte der fünfziger Jahre, so hat Polizeieinsatzreferent Hermann Häring vom bayrischen Innenministerium nachgerechnet, sind immerhin 84,8 Prozent geklärt worden. Und Sonderkommissionschef Helmut Bauer hält die verstreichende Zeit für einen positiven Faktor der Fahndung -- weil man entfernter von der Tat »nimmer jedem Krampf nachlaufen muß«.

Oetker-Sprecher Peter von Eckardt, der nach der Verhaftung hofft, »daß sie nun dran sind«, hält die Beamten der Sonderkommission schon längst für »gewichste Jungs«, bescheinigt aber auch den Tätern ein hohes Maß an Raffinesse: »Zwei Jahre unentdeckt zu bleiben zeugt doch schon von einer immensen Intelligenz.«

Doch auch Intelligenz, das erweist ebenfalls die Kriminalgeschichte, schützt in diesem Zweig der Kriminalität vor Entdeckung nicht. Der bislang wohl intelligenteste Entführer, der amerikanische Institutsangestellte Gary Steven Krist (Intelligenzquotient 144), der das unterirdische Gefängnis der Millionärstochter Barbara Mackle nicht nur mit exakt berechneten Lebensmittelvorräten (30 000 Kalorien), sondern auch mit einer chemischen Toilette ausrüstete, wurde samt dem Lösegeld von einer halben Million Dollar wegen einer Lappalie geschnappt.

Auf seiner Flucht mit dem Motorboot war er nur durch den überdimensionalen Benzinbedarf aufgefallen.

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