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AFFÄREN Noch eine Null

Aus Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die ehemalige FDP-Angestellte Gertrud Rech geht hervor: Die Spenden-Affäre um Bauernminister Ertl weitet sich zu einem Skandal der Freidemokraten aus.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Eigentlich hatten die Genossen, berichtet der SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve, den liberalen Landwirtschaftsminister Josef Ertl schon als »politische Leiche« angesehen. Jetzt aber, nach Rückkehr der Parlamentarier aus den Winterferien, »wundern sich alle, den gibt''s ja immer noch«.

»Unter normalen Verhältnissen und in normalen Zeiten«, sinnierte auch ein enger Berater von Kanzler Helmut Schmidt, »wäre der Ertl längst erledigt.«

Doch die Zeiten und die Verhältnisse sind nicht so. Sieben Jahre lang hat der FDP-Bauernminister eine 30 000-Mark-Spende, die der FDP zugedacht war, nicht an die Partei weitergeleitet. Doch er blieb im Amt.

Obendrein muß der Vorsitzende des FDP-Landesverbandes Bayern verantworten, daß entgegen den Bestimmungen des Parteiengesetzes fünfstellige Spendenbeträge nicht in den Rechenschaftsberichten der FDP veröffentlicht worden sind. Ertl blieb ungeschoren.

Die Sozialdemokraten unter Kanzler Schmidt, seit Wochen über Rüstungsexporte und Kernenergie zerstritten, versagen es sich, den Spezi Ertl aus dem Kabinett zu drängen. Sie wollen das ohnehin angeschlagene sozialliberale Bündnis nicht auch noch mit einer Personalaffäre belasten.

Die Freidemokraten unter Hans-Dietrich Genscher halten an Bruder Josef fest, weil sie das Bild draußen nicht verschatten möchten, die FDP habe mit den Regierungskrisen in Bonn und Berlin nur beiläufig zu tun. Außerdem besteht die Gefahr, daß Ertl seine Drohung, einmal auszupacken, tatsächlich wahrmachen und womöglich prominente Parteifreunde bloßstellen könnte.

Die Unionschristen verzichten im Sündenfall Ertl aufs Opponieren, möchte es sich doch der Vorsitzende Helmut Kohl nicht mit Ertls Anhang auf dem rechten FDP-Flügel verderben. Dort vermutet er die Wegbereiter eines Koalitionswechsels der liberalen Partei.

Mit der Komplizenschaft der Bundestagsparteien mag es bald vorbei sein. Je mehr über die ressortfremden Aktivitäten des FDP-Landwirtschaftsministers nach draußen dringt, desto klarer weitet sich der Fall Ertl zu einem Skandal der FDP und ihrer Führungsriege aus.

Die Freidemokraten, die so tun, als zögerten sie mit ihrem Ja zu dem vom Kanzler gewollten Export der Leopard2-Panzer an Saudi-Arabien, sind selber tief in umfangreiche Rüstungsexportgeschäfte in Spannungsgebiete verstrickt. Schlimmer noch: Die Liberalen haben obendrein noch Kasse machen wollen. S.91 Ins Gerede geraten war die FDP kurz vor den letzten Bundestagswahlen durch die ehemalige FDP-Sekretärin Johanna Gertrud Rech, 54, zuletzt Mitarbeiterin im Büro des FDP-Bundestagsabgeordneten Hans H. Gattermann, des Schatzmeisters der Liberalen in Nordrhein-Westfalen.

In einer eidesstattlichen Versicherung vor einem Bonner Notar gab Frau Rech an, Ertl und andere FDP-Größen hätten gegen Geld zweifelhaften, der offiziellen Bonner Embargo-Politik zuwiderlaufenden Rüstungsgeschäften nach Nahost den Weg geebnet. So sei dem Bonner Waffenlieferanten Gerhard Mertins 1976/77 geholfen worden, beim damaligen FDP-Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs die Genehmigung für den Export einer Maschinengewehrfabrik der Düsseldorfer Firma Rheinmetall nach Saudi-Arabien zu ergattern.

Nach Angaben von Frau Rech hat sich Mertins mit 100 000 Mark erkenntlich gezeigt. 25 000 Mark habe sie als Vermittlerin einbehalten, 25 000 Mark seien an Gattermann gegangen. 50 000 Mark habe sie in einem kartonierten Kuvert mit dem Fahrdienst des Bundestages an Minister Ertl geschickt, »in bar, ohne Quittung«.

Gattermann bestreitet, das Geld von Frau Rech erhalten zu haben. Ertl ("Alles erstunken und erlogen") hat die aussagefreudige Ex-Angestellte der Partei gar wegen Verleumdung verklagt.

Doch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bonn haben, peinlich für Ertl und die FDP, bis jetzt schon ergeben, daß Frau Rech so liederlich mit der Wahrheit anscheinend nicht umgegangen ist.

Unter dem Aktenzeichen 40 Js 340/80 nahm die Bonner Staatsanwaltschaft eine Aussage des Waffenhändlers Mertins zu »rotokoll. Darin heißt es: Etwa im Jahre 1976 erschienen bei mir » » außer dem früheren Bundesminister Höcherl dessen persönlicher » » Referent Eduard Schlipf ... Anläßlich dieses Gesprächs ... » » wurde mir bedeutet, daß mögliche Probleme bei » » Exportgenehmigungen aus der Welt geschafft werden könnten. » » Das könne Frau Rech machen, allerdings koste das etwas. »

Frau Rech, erinnert sich Mertins, habe ihm dann als Gesprächspartner den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry empfohlen, der als Bundesschatzmeister der FDP laut Frau Rech »die Schlüsselfigur« sei bei Exportgenehmigungen für militärisches Gerät, die von der Bundesregierung, jedenfalls in der Vergangenheit, nur äußerst zurückhaltend erteilt wurden.

Ein heißer, aber angeblich zuweilen teurer Tip. Denn es gehörte, so jedenfalls will Mertins es von Frau Rech erfahren haben, zu den Gepflogenheiten des Schatzmeisters, Geschäftspartner daran zu erinnern, daß »vor einer Genehmigung« bezüglich der Spendenzahlung S.92 »noch eine Null angefügt werden« müsse.

Profi Mertins war einverstanden. Er bat seinen Partner Meinhardt Kunz, Geschäftsführer einer »United Ordnance Procurement S. A. Luxembourg«, das Gespräch mit dem FDP-Kassierer Karry zu suchen. Die beiden Herren unterhielten sich dann im Dezember 1976 über die Schwierigkeiten der Firma Rheinmetall, ihren Antrag auf Export einer Maschinengewehrfabrik für das MG 3 nach Saudi-Arabien in Bonn durchzukommen.

Mertins: »Nach diesem Gespräch, ich meine, es wären sogar nur wenige Tage gewesen, wurde die Genehmigung erteilt. Nach meinem Dafürhalten müssen folgende Personen aus dem Bereich der FDP daran beteiligt gewesen sein: Frau Rech und die Herren Karry, Genscher und Friderichs.«

Und auch Ertl, so scheint es, hatte seinen Anteil an dem Geschäft mit den Waffen-Beschaffern. Auf Vorschlag von Frau Rech, so Mertins, war nämlich auch Ertls Parteifreund Leonhard Trapp, damals FDP-Schatzmeister im Bezirk Franken, als Vermittler eingeschaltet worden.

Trapp erinnert sich, Mertins habe schon bei einem ersten Gespräch »Bargeld für die Hilfestellung bei der Beschaffung der Exportgenehmigung« angeboten. Er habe dem Waffenhändler damals gesagt: »Wenn, dann aber nur für die Partei.« Die Mertins-Antwort: »Das ist mir egal, wenn Sie das so wollen.«

Trapp lag nach eigenem Bekunden daran, eine stattliche Portion der ausgelobten fetten Spende seiner bayrischen FDP unter ihrem Landesherrn Ertl zuzuschanzen.

Der fränkische Liberale wandte sich zunächst an Max Salzberger, den damaligen Parlamentsreferenten des Landwirtschaftsministers. Salzberger, so die Trapp-Erinnerung, entschied kurzerhand: »Das kann der Doktor machen.« Gemeint war Dr. Erich Prochaska-Lachnit, seit 1969 Persönlicher Referent Ertls in Bonn und »graue Eminenz« im Ministerium.

Ertl und Prochaska kennen sich aus gemeinsamen Kampftagen für ein freies Südtirol. Einst unterstützten die beiden die Separatisten; und die wiederum rebellierten zuweilen mit Sprengstoffattentaten gegen die italienische Obrigkeit. Prochaska-Lachnit war vor seinem Wechsel nach Bonn Geschäftsführer des »Kulturwerkes für Südtirol«; damaliger Vorsitzender des Kulturwerks: Josef Ertl.

Der »Doktor« machte mit -- laut Trapp; Prochaska habe Kontakte zwischen Bundesregierung und Rheinmetall geknüpft und dafür gesorgt, daß sich sein Minister engagierte. »Ertl war der einzige«, zitiert Trapp seinen Gesprächspartner Prochaska aus der Erinnerung, »der sich intensiv darum gekümmert hat.«

Aber erst das Eingreifen des hessischen Wirtschaftsministers Karry empfanden die Unterhändler, wie Trapp es darstellt, als »eigentlichen Durchbruch«. Spät abends »gegen 23 Uhr«, sagte Mertins vor den Bonner Staatsanwälten aus, sei er Ende 1976 »von einem Ministerialrat im Wirtschaftsministerium über die Erteilung der Genehmigung informiert« worden.

Doch nun hatten die Saudis über dem Gerangel um die Genehmigung plötzlich das Interesse an der MG-Fabrik made in Germany verloren. Die freidemokratischen Helfershelfer des Waffenhändlers Mertins fürchteten schon um den versprochenen Lohn.

Die Liberalen hatten sich aber abgesichert. Sie pochten auf eine schriftliche Abmachung, in der sich die Mertins-Partner verpflichtet hatten, »die exportfördernde Transaktion« (Vertragstext) fürstlich zu honorieren.

Unter der Überschrift »An den Inhaber dieses Dokuments« heißt es in der Vereinbarung vom 6. Januar 1977: »Hiermit wird bestätigt, daß eine Kommission von DM 300 000, -- oder der Gegenwert in US-Dollar für seine geleisteten Dienste gezahlt werden« -- und Raten a 100 000 und 200 000 Mark.

Als Mertins sich bei der Cash-und-Karry-Aktion sträubte, weil ja der verabredete Saudi-Handel geplatzt war, blieben die Freidemokraten stur. Zahlungsaufforderungen verbanden sie mit dem Hinweis, sie hätten doch mit der Erteilung der Exportgenehmigung ihren Part des Waffen-Deals erfüllt.

Vor der Staatsanwaltschaft berichtete Mertins von Schilderungern seiner Mitarbeiter, wonach »Frau Rech mehrfach erschienen sei und wegen der Zahlung des Geldes an die FDP Druck gemacht habe. Insbesondere soll sie geäußert haben, daß Herr Karry wegen des Wahlkampfes das Geld benötige«.

Gegenüber dem SPIEGEL ergänzte Mertins seine Aussage: Auch Trapp habe mehrfach bei seiner Firma angerufen und auf Auszahlung des Geldes gedrängt, weil er unter Druck Ertls stehe, der endlich Geld sehen wolle.

Nach eigenem Bekunden hatte Schatzmeister Trapp von Anfang an Wert darauf gelegt, daß auch die bayrische FDP ihren Anteil an der Spendensumme erhalte. Immer wieder habe er gegenüber dem Ertl-Vertrauten Prochaska gesagt: »Bayern muß auch was davon haben.« 1978 habe er Ertl persönlich darauf angesprochen, »daß da aus dem Rheinmetall-Geschäft auf Bayern ja noch was zukommt«. Der Ernährungsminister habe genickt und sich informiert gezeigt.

Und Gertrud Rech bestätigt, die Ertl-Mitarbeiter Prochaska und Salzberger hätten immer wieder nachgefragt, wo denn die Mertins-Gelder blieben.

Vor der Staatsanwaltschaft wertete der Bonner Waffen-Exporteur die massiven Zahlungsaufforderungen »schlicht als Erpressung«. Er hatte aber schließlich gezahlt, mit zwei Schecks über jeweils 50 000 Mark, ausgestellt am 9. August 1978 und am 13. September 1979.

Daß die Einlassungen der FDP-Spitze, man habe mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun, so nicht stimmen können, belegen schriftliche Unterlagen. Heißt es doch unter dem Datum des 26. Oktober 1976 in einem Geschäftsbrief der mit Händler Mertins verbundenen Luxemburger Firma »United Ordnance Procurement«, dem Wunsch »nach weiteren Unterlagen für S.94 Herrn Dr. Prochaska« werde man nachkommen.

So gelangte auch die Bonner Staatsanwaltschaft am 12. Dezember 1980 nach »Beurteilung dieses Sachverhalts« zu dem Schluß, daß die Minister Ertl und Karry zwar »Amtsträger im Sinne der Bestechungstatbestände« waren, hinsichtlich der angestrebten Ausfuhrgenehmigung aber »keine Ressortzuständigkeit« besaßen.

Mit deutlich süffisantem Unterton vermerken die Ermittler, daß ein »dienstlicher Charakter« bei den Aktivitäten der beiden Freidemokraten »nicht ersichtlich« sei. Vielmehr sei »davon auszugehen«, daß beide Minister, wenn Frau Rech die Wahrheit sagt, »lediglich ihren Einfluß als gewichtige FDP-Politiker gegenüber den ihrer Partei angehörenden, in dieser Angelegenheit zuständigen Fachministern geltend machen sollten«.

Wie spendenwillige Geschäftsleute auf diese Weise bei ihren Zuwendungen an die Parteien den »verschlungenen Weg durch den strafrechtlichen Schatten einerseits und die steuerliche Abzugs-Sonnenseite andererseits« (so der Kölner Steueranwalt Günther Felix in der Februar-Ausgabe der »Finanz-Rundschau") finden können, hat die Staatsanwaltschaft mit ihrer Wertung des Minister-Verhaltens festgeschrieben.

Behördliche Verwaltungsakte wie etwa Exportgenehmigungen für Waffenfabriken können demnach »ohne strafrechtliche Kollision«, so Felix, »erreicht werden, wenn Empfänger der Zuwendung ein Minister ist, dessen Ressort nicht zuständig ist, der aber -- auch wegen der Geldzuwendung -den entscheidenden Einfluß auf seinen, derselben Partei angehörenden Minister-Kollegen nimmt«.

Das Verfahren gehört womöglich schon seit langem zur Praxis im Bonner Parteien-Alltag; und auch die Liberalen profitieren wohl davon.

So versichert die ehemalige FDP-Mitarbeiterin Rech an Eides Statt, daß sich auch die Waffenfabrik Heckler & Koch aus Oberndorf (Neckar) mit 20 000 Mark für die FDP-Kasse erkenntlich gezeigt habe, nachdem die Firma letztes Jahr in dem vom Freidemokraten Otto Graf Lambsdorff verwalteten Wirtschaftsministerium um eine Genehmigung für den Export von Gewehrteilen für eine Waffenfabrik, wiederum in Saudi-Arabien, eingekommen war.

Mehr als 100 000 Mark, gab Gertrud Rech zu Protokoll, seien dem Agrarminister Ertl in den Jahren 1974/75 auch von dem Rüstungsfabrikanten Karl Diehl aus Nürnberg zugesteckt worden.

In jenen Jahren erhielt die Firma Diehl in dem damals von dem Freidemokraten Hans Friderichs geführten Bundeswirtschaftsministerium die Genehmigung für die Ausfuhr eines Eisengießerei-Komplexes -- Spezialität Panzerketten -- in den Iran.

Zufall?

S.91

Etwa im Jahre 1976 erschienen bei mir außer dem früheren

Bundesminister Höcherl dessen persönlicher Referent Eduard Schlipf

... Anläßlich dieses Gesprächs ... wurde mir bedeutet, daß mögliche

Probleme bei Exportgenehmigungen aus der Welt geschafft werden

könnten. Das könne Frau Rech machen, allerdings koste das etwas.

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S.90BESTÄTIGUNG Betrifft: Anlagen-Projekt Saudi-ArabienRheinmetall/U.O.P. ProjektAn den Inhaber dieses Dokumentes:Hiermit wird bestätigt, daß eine Kommission von DM 300 000,-- oderder Gegenwert in US-Dollar für seine geleisteten Dienste gezahltwerden, vorausgesetzt, daß das Projekt ausgeführt wird und dieBehörden der Bundesrepublik Deutschland ihre Exportgenehmigung bisspätestens 12. Januar 1977 geben.Das Gesamtprojekt ist in 2 Abschnitte unterteilt und dementsprechendwird die Kommission wie folgt in zwei Teilen ausbezahlt:Erste Zahlung: DM 100 000,--, fällig nach Ausführung von fünfzigProzent des Auftragsvolumens, das sich auf 49,9 Mio beläuft.Zweite Zahlung: DM 200 000,--, fällig nach Ausführung von fünfzigProzent des Auftragsvolumens, d. h. DM 480 Mio.Die Zahlungen erfolgen an jedem von dem Begünstigten genannten Ort.Auf Wunsch wird eine Bankbestätigung bei einer Bank in Deutschlandoder in jedem anderen Land, nach der Wahl des Inhabers, gegenVorlage dieser Bestätigung gegeben.Die Firma Rheinmetall hat diesen Zahlungen zugestimmt und hat dieseexportfördernde Transaktion an U. O. P. als Exporteur übertragen.Sie werden die Betragswerte entsprechend der obigen Ratenaufstellungfreigeben.*

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