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RÜSTUNG Noch nie näher

Der von Bonn und Washington angestrebte deutsch-amerikanische Gemeinschaftspanzer hat kaum Chancen. Die Deutschen wollen künftig mit den Engländern zusammenarbeiten.
aus DER SPIEGEL 29/1976

Der deutsche Verteidigungsminister gab sich vergeßlich. Er könne sich einfach nicht vorstellen, daß irgend jemand ernsthaft daran geglaubt habe, die USA würden einen deutschen Panzer in ihrer Armee einführen, dozierte Georg Leber am Freitag vorletzter Woche in Washington. Leber: »Die Tatsache, daß die Amerikaner mit großen Kosten zwei eigene Modelle entwickelt haben, ist doch ein klares Indiz dafür. daß sie nie bereit gewesen wären, den Leopard zu kaufen oder zu bauen.«

Vor anderthalb Jahren las es sich anders. Im Dezember 1974 hatten Washingtons Pentagon und Bonns Hardthöhe in einem »Memorandum of understanding« die Notwendigkeit einer Standardisierung beschworen und eine dreimonatige harte Vergleichserprobung zwischen dem amerikanischen XM 1 und dem deutschen Leopard 2 vereinbart. Der beste Panzer sollte dann -- so jedenfalls die Bonner Auslegung -- für die Streitkräfte beider Länder rollen.

Vergessen war plötzlich auch, daß die Münchener Panzerbauer von Krauss-Maffai bei einer amerikanischen Firma schon eine Kostenstudie für die Lizenzfertigung ihres Leopard 2 in den USA bestellt und die Brüsseler Nato-Militärs Expertisen über die Vorteile eines Einheitstanks gefertigt hatten. Nach Einführung des deutschen Kampfwagens werde endlich, so das Fazit der Experten, mehr als die Hälfte der Panzer- und Panzerabwehrsysteme bei den Nato-Verbündeten in Europa austauschbar sein.

Die Vergleichstests in den USA werden zwar im September beginnen. Aber in dem Scheingefecht wird es weder Sieger noch Besiegte geben. Um keinem der Konkurrenten zu schaden, sollen nicht einmal die Ergebnisse veröffentlicht werden. Unter diesen Umständen ist das neue Protokoll, das Georg Leber bei seinem USA-Besuch dem Kollegen Donald Rumsfeld abtrotzte, wenig wert.

Die vage »Absichtserklärung« legt nämlich lediglich fest, daß beide Seiten sich bemühen wollen, wenigstens die wichtigsten Baugruppen -- Panzerkanone, Motor mit Getriebe und Laufwerk mit Ketten -- zu vereinheitlichen. Vertraglich gebunden hat sich keiner. Denn schließlich geht es nicht nur um nationales Prestige, sondern vor allem ums Geschäft: Der internationale Markt ist groß, und XM 1 und Leo 2 werden, wenn sie Ende der siebziger Jahre in Serie gehen, mindestens 2,5 Millionen Mark pro Stück kosten.

Die Amerikaner wollen nicht nur 3312 Panzer für ihre eigene Armee bauen, sondern weitere zehntausend, die sie in den achtziger Jahren nach einer Marktanalyse in die bisher mit ihren M 48 und M 60 belieferten reichen Öl-Staaten und die prestige-bewußten asiatischen und afrikanischen Entwicklungsländer verkaufen können.

Die Deutschen rechnen zwar zunächst nur mit 1000 Leo 2 für die noch in der Bundeswehr fahrenden M 48. Aber auch sie machen sich Hoffnungen auf weitere Käufer. Sie sehen ihre potentiellen Kunden in den europäischen Nato-Verbündeten, die ihren Leo-1-Panzer-Park im nächsten Jahrzehnt durch ein neues Modell ergänzen oder ersetzen müssen.

Bevor die amerikanische Administration mit den Deutschen überhaupt über einheitliche Baugruppen reden kann, muß sie noch entscheiden, welchem der Konkurrenten im eigenen Lande sie den Zuschlag geben soll: Chrysler oder General Motors, die beide dringend neue Rüstungs-Auf träge brauchen.

Beide Firmen haben, wie das Pentagon es forderte, ihre Prototypen mit einer 105-mm-Kanone bestückt, Panzerung und Fahreigenschaften unterscheiden sich kaum. Doch während General Motors zum Antrieb (wie Krauss-Maffai) einen herkömmlichen Zwölf-Zylinder-Dieselmotor (1500 PS) verwendet, baute Chrysler in seinen Versuchswagen eine 1500-PS-Turbine ein, die für eine bei Panzern bisher unbekannte rasante Beschleunigung sorgt.

Diese Neukonstruktion war für die bundesdeutschen Fachleute bisher die einzige Überraschung. Ob die Amerikaner weitere in petto haben, wird sich erst in den Tests herausstellen. Bisher haben sie sich aus Konkurrenzgründen kaum in die Karten blicken lassen. Ein Krauss-Maffai-Sprecher: »Wir gehen davon aus, daß die Leistungen nicht weit auseinanderliegen.«

Nach dem neuen Leber/Rumsfeld-Protokoll wollen die Deutschen den Einbau des Chrysler-Triebwerks in den Leo 2 prüfen. Bei Verwendung der Turbine müßten zwar Wanne und Fahrwerk erheblich verändert werden, unlösbar aber erscheint das Problem den Ingenieuren nicht.

Keinesfalls verzichten möchten die Deutschen auf die von Rheinmetall entwickelte 120-mm-Kanone. Sie allein, so die Hardthöhen-Experten, könne die neuen sowjetischen Panzertypen erfolgreich bekämpfen, vor allem den T 64 mit seiner 122-mm-Kanone. Mit diesem von den USA favorisierten Geschütz sei im nächsten Jahrzehnt kein Krieg mehr zu gewinnen, auch wenn man sie mit Stabilisierungsanlagen, Laser-Entfernungsmessern und Wärmebildgeräten für den Tag- und Nachtkampf treffsicherer und mit Hartkernmunition durchschlagkräftiger mache. Ein Major vom Panzerversuchs-Bataillon in Munster: »Die 105 ist am Ende.«

Ob die Amerikaner bereit sein werden, dem XM 1 eine deutsche 120-mm-Kanone zu verpassen, wenn die Deutschen ihrem Leo ein Chrysler-Triebwerk einbauen, erscheint jedoch mehr als fraglich. Die bisherigen Debatten zwischen Technikern und Offizieren sind allesamt ergebnislos verlaufen. Zu unterschiedlich waren die Auffassungen beider Seiten über Aufgaben und Möglichkeiten einer modernen Panzertruppe.

Georg Lebers Optimismus ("Noch nie in 20 Jahren sind wir einer wirklichen Standardisierung eines wichtigen Waffensystems näher gewesen") wird daher in Bonn und Washington angezweifelt. Die Anfang August beginnenden deutsch-amerikanischen Expertengespräche, so die vorherrschende Meinung, dienten wohl mehr dem Zweck, die Beerdigung eines einst großangekündigten Projektes wenigstens bis nach den Wahlen in der Bundesrepublik und in den USA zu verschieben.

Auch die Industrie scheint dem »Leo X«, wie Leber den erstrebten Kompromiß-Tank hintersinnig nannte, nur noch wenig Chancen zu geben. Die Firmen untersuchen in aller Stille bereits, ob man statt dessen den erfolgreichen Leo 1 durch Einbau einer 120-mm-Kanone, eines stärkeren Motors und einer Zusatzpanzerung weiter verbessern kann.

Schon heute arbeiten Militärs und Ingenieure zudem am Nachfolger des umstrittenen Nachfolgers, am »Projekt Kampfpanzer 3«. Bei diesem Vorhaben wollen es die Deutschen nicht mehr mit den Amerikanern, sondern mit den Engländern versuchen.

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