VIETNAM / VERHANDLUNGEN Noch viel Blut
Ein halbes Hundert Friedens-Fühler hatte in drei Jahren keinen Schritt näher zum Frieden in Vietnam geführt. Nach jedem gescheiterten Kontaktversuch zwischen Washington und Hanoi wurde der Kampf schärfer.
In den letzten zwei Wochen tasteten sich die Dschungel-Kämpfer Ho Tschi-minh und Lyndon B. Johnson gleich mehrere Schritte näher aneinander heran. Johnsons partieller Bombenstopp, sein Verhandlungsangebot, gekrönt durch die Ankündigung seines Abtritts, brachen den Bann; beide Seiten verzichteten auf vorher »unabdingbare« Positionen:
Die USA stellten den Bombenkrieg im nördlichen Teil der roten Republik ohne Vorbedingungen ein -- und gaben damit die Im vorigen Herbst von Präsident Johnson im texanischen San Antonio verkündete Verhandlungsposition auf. Hanoi willigte in Gespräche ein -- und ging damit von seinem Vier-Punkte-Programm ab, das für Verhandlungen einen bedingungslosen Bombenstopp und Abzug der Amerikaner aus Vietnam verlangt hatte.
In rascher Folge spielten die beiden Regierungen, die drei Jahre lang nicht miteinander gesprochen hatten, letzte Woche die Bälle hin und zurück.
Johnson ernannte nach Hanois Ja zu Gesprächen seinen Spitzen-Diplomaten Averell Harriman und den Moskau-Botschafter Liewellyn Thompson zu Friedens-Gesandten, bot an, sie zu Gesprächen an »jeden Ort« zu schicken, und ließ durchblicken, daß ihm Genf -- Schauplatz der Indochinakonferenz von 1954 -- am sympathischsten. sei.
Hanoi reagierte mit dem Vorschlag, die ersten Kontakte auf Botschafter-Ebene zu führen. Als Tagungsort sei Pnom Penh genehm, die Hauptstadt des Vietnam-Nachbarn Kambodscha. Eine Welle von Friedens-Euphorie lief um die Welt. Uno-Generalsekretär U Thant, selbst als Vietnam-Vermittler ein dutzendmal gescheitert, freute sich: »Ein positiver erster Schritt.« Charles de Gaulle sah in den Kontakten einen »Akt der Vernunft«.
Er war es -- aber zur Euphorie gesellte sich Ernüchterung. Denn bald wurde klar, daß in Vietnam nicht schon morgen Waffenruhe eintreten würde, daß die Bereitschaft zu Gesprächen nur ein erster Schritt auf einem Weg von tausend Meilen ist.
Während Johnsons Rückhalt bei seinen Bürgern nach der Friedensposaune von 38 auf 57 Prozent hinaufschnellte, meldeten sich auf beiden Seiten zunehmend auch jene Kräfte zu Wort, denen die Friedens-Fühler ein Ärgernis sind.
Amerikas Kriegsfalken befürchten einen nie wieder gutzumachenden Prestigeverlust der USA in Asien und in der Welt. Amerikas Generäle warnen vor katastrophalen Folgen für die Moral der Streitkräfte. Sie wollen es nicht stillschweigend hinnehmen, daß die Politiker den ergebnislosen Abnutzungskrieg im Dschungel als erste Niederlage amerikanischer Waffen in der Geschichte der Nation akzeptieren.
Am lautesten rief Südvietnams Generalsjunta Verrat. Das auf amerikanische Bajonette gestützte Militärregime in Saigon fürchtet, von den Amerikanern verkauft zu werden. Mehrmals täglich suchte Amerikas Botschafter Ellsworth Bunker den südvietnamesischen Generalspräsidenten Thieu auf, um ihm Johnsons Pläne zu erläutern. Beruhigen konnte er ihn nicht, zumal Thieu doppelt erbittert war, weil Johnson ihn nicht konsultiert hatte.
Saigons Generäle fühlten sich auch vom Feind im eigenen Land gefoppt. Bei Johnsons Bombenstopp hatten sie zunächst an einen Propagandatrick gedacht. Als sie mit der Abtrittsankündigung des US-Präsidenten den Ernst des Angebots erkannten, hofften sie auf die Sturheit ihrer kommunistischen Landsleute im Norden. Als aber auch Hanoi prompt beidrehte, stöhnte ein Minister In Saigon: »Sind sie denn verrückt, diese Nordvietnamesen? Warum haben sie es denn so eilig?«
Jetzt konzentriert sich der Widerstand der Saigon-Militärs darauf, jene Kompromiß-Lösung zu vermauern, die als einzige möglich scheint: eine Beteiligung der kommunistischen Nationalen Befreiungsfront (NLF) an einer Koalitionsregierung in Südvietnam.
Präsident Thieu lehnte einen derartigen Kompromiß strikt ab. Sein Vize Ky, zum erstenmal mit ihm einig, tönte: »Wenn wir das Stadium erreicht haben, in dem wir unter amerikanischer Erpressung eine Koalitionsregierung akzeptieren müßten und damit das Land preisgeben, dann ist es besser, es kämpfend zu verlieren.«
Aber auch die Befreiungsfront war nicht begeistert -- denn von ihrer Beteiligung an den Gesprächen zwischen Hanoi und Washington war bisher nicht die Rede.
Amerikas übrige asiatischen Freunde beschlich gleichfalls das Zittern vor einer Kapitulation der großen Schutzmacht. Korea-Präsident Park verlangte von Johnson Konsultationen, Thailand-Premier Marschall Kittikachorn warnte: »Wenn die USA jetzt ihre Politik in Asien ändern, wird ihnen niemand mehr trauen.«
Offen feindselig zeigten sich die Rotchinesen, die immer schon wünschten, daß in Vietnam bis zum letzten Vietnamesen gekämpft werde. Sie warnten Hanoi vor »Johnsons Gaunertricks«, forderten Kampf bis zum Ende und drohten, kompromißwilligen Genossen den Nachschub zu kürzen.
Nicht nur die Saboteure auf beiden Seiten, auch die konträren Verhandlungsziele der Partner lassen befürchten, daß in Vietnam noch viel Blut fließen wird,
Die Amerikaner suchen ihre Ausgangsposition zu verbessern, indem sie das düstere Ergebnis ihrer Bestandsaufnahme in Sachen Vietnam durch starke Worte verschleiern. Präsident Johnson verkündete letzten Montag nach einem Gespräch mit seinem Vietnam-Oberbefehlshaber auf Zeit, Westmoreland: »Wir haben die Initiative in Vietnam zurückgewonnen.« Westy prahlte wie gehabt: »Militärisch waren wir nie in besseren Positionen.«
Nordvietnam wiederum geht davon aus, daß Amerika nur verhandeln will, weil es bereits geschlagen ist. Hanoi erstrebt die Maximal-Lösung: die Einheit Vietnams unter roter Fahne.
110 will vorerst auch gar nicht über Frieden sprechen. Vielmehr sollen die US-Unterhändler, so Hanois Außenminister Trinh, beim ersten Treffen erklären, »wann die bedingungslose Einstellung aller Bombenangriffe und aller weiteren Kriegshandlungen gegen die Volksrepublik Vietnam in Kraft treten soll«.
Und nach dem Willen der Roten sollen sie das in Pnom Penh tun. Nach Genf wollen die Nordvietnamesen nicht, weil es zu weit von der heimatlichen Befehlszentrale entfernt liegt.
Pnom Penh wiederum paßt den Amerikanern aus verschiedenen Gründen nicht: Kambodschas Kapitale hat nur eine Stunde täglich, und das nur von Montag bis Freitag, internationale Telephonverbindungen, sein Telegraph tickert nur 18 Stunden pro Tag. Die USA haben ihre Botschaft in Pnom Penh vor drei Jahren im Zorn geschlossen. Da sie sich aber an das Johnson-Wort gebunden fühlen, »überall« zu verhandeln, boten sie als Kompromiß die laotische Hauptstadt Vientiane an -- mit einer stark besetzten Filiale des US-Geheimdienstes.
»Um Gottes willen«, stöhnte ein Johnson-Berater letzte Woche vor Journalisten, »erzählen Sie den Leuten nicht, daß morgen der Frieden ausbrechen wird.«
Noch wird in Vietnam geschossen. Zwar stießen 20 000 US-Soldaten, die nach 76 Tagen Belagerung die Mariner-Festung Khe Sanh entsetzten, nur auf symbolischen Widerstand der Nordvietnamesen. Das Gros der roten Divisionen war verschwunden -- aber nicht zurück nach Nordvietnam, stellte sich wenig später heraus.
Die Roten waren in neue Ausgangsstellungen marschiert, von denen aus sie den Stützpunkt Da Nang und die zerstörte Kaiserstadt Hué bedrohen -- Objekte, die ungleich wichtiger sind als Khe Sanh.
So ist zwar kaum noch ein Friedensschimmer in Vietnam zu sehen, wohl aber eine Ahnung vom Ende zu spüren: Der Kriegsgewinnler-Boom in Saigon ging jäh zu Ende, die Preise für Grundstücke in der Stadt sanken um 40 Prozent, Besitzer von Plantagen und Fabriken suchen ihre Objekte zu verschleudern: In einem roten Vietnam würden sie enteignet werden.