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LAMBSDORFF Noch was?

Der neue Wirtschaftsminister schreckt seine Beamten mit ungewöhnlichem Arbeitstempo.
aus DER SPIEGEL 20/1978

In seinem Arbeitszimmer im Bonner Wirtschaftsministerium hörte sich Otto Graf Lambsdorff schon geraume Zeit die Wünsche von Regierungsvertretern eines osteuropäischen Landes an. Sie wollten des Grafen Unterstützung; der hatte ihnen seine Meinung dazu kurz, aber deutlich gesagt.

Nun war eigentlich nichts mehr zu besprechen -- die Herren blieben dennoch und redeten weiter.

Plötzlich zog der Minister sein Taschenmesser. Gespannt beobachteten Mitarbeiter, wie der Chef, ohne seine Gäste weiter zu beachten, das Gerät aufklappte. Vorsichtig nahm er seine Brille ab, faßte sie mit der linken Hand an einem Bügel und begann, mit einem winzigen Schraubenzieher intensiv und ausdauernd ein Schräubchen nachzuziehen. Die Unterredung war beendet.

Seither wissen die Ministerialen, was passiert, wenn der Graf das Messer zieht.

Der Trick mit dem lockeren Schräubchen ist Lambsdorffs vornehmste Art, unnötiges Gerede zu unterbrechen. Seinen Beamten brachte er die Konzentration aufs Wesentliche gleich vom ersten Tag an unverblümt hei. Anerkennend stöhnt einer seiner Mitarbeiter nach sieben Monaten Lambsdorff-Regime: »Er kam, setzte sich hin, und es ging alles so weiter wie bei Hans Friderichs -- nur viel, viel schneller.«

Es beginnt früh morgens. Als vielbeschäftigter Einzelkämpfer in der FDP-Fraktion gewohnt, zeitig aufzustehen, erschien der Minister auch an der Amtspforte in Duisdorf überpünktlich. Verwundert neben sich die leitenden Beamten, die gemächlichere Gangart schätzen, in der ersten Zeit die Augen -stets war, wenn sie gegen 8.30 Uhr ihre Büros betraten, der Boß schon da.

Doch so leicht lassen sich deutsche Beamte nicht aus ihrem Rhythmus bringen. Als sie merkten, daß der frühe Arbeitsbeginn nicht nur mit erstem Übereifer des Neuen zu entschuldigen war, eröffnete Staatssekretär Otto Schlecht dem Minister, es sei ihm natürlich unbenommen, so früh zu kommen. Seine Mitarbeiter aber würden weiterhin um halb neun erscheinen.

Es ist freilich nicht nur das Frühaufstehen, das den Beamten Ärger macht. Wenn der kriegsversehrte Adlige morgens sein Arbeitszimmer betritt, dann hat er bereits die wichtigsten Zeitungen gelesen und wünscht manchmal auch, mit seinem Pressereferenten Dieter Vogel über den einen oder den anderen Leitartikel kurz zu sprechen. Nur: Zeitung wird in Bonn gemeinhin während der Dienstzeit gelesen.

Auch Vogels Kollegen haben inzwischen die Umlaufgeschwindigkeit ihres Chefs fürchten gelernt. Schicken Beamte Vorlagen ans Ministerbüro im schönen Glauben, nun einige Tage auf dem Geleisteten ausruhen zu können, werden sie häufig noch am selben Tag wieder wachgerüttelt. Der Minister ruft mittags an und spricht mit ihnen über die Arbeit, die sie vormittags abgeliefert haben.

Baß erstaunt lernten Ministeriale: »Der bat einen gewaltigen Lesehunger, dem kann man schicken, soviel man will.«

Das Ergebnis: Lambsdorff weiß meist genausogut in den Akten Bescheid wie seine Sachbearbeiter. Um so unnützer erscheint es ihm, auf Reisen von dem üblichen Beamten-Troß begleitet zu werden. Da kommt es dann auch schon einmal vor, daß er auf dem Flughafen einen seiner Leute anbrummt: »Was wollen Sie denn hier?« Und der so Begrüßte verdattert antwortet: »Aber Herr Minister, ich bin doch der zuständige Abteilungsleiter.«

Lambsdorff hat sich inzwischen daran gewöhnt, daß ein Ressortchef mit sachkundiger Begleitung zu reisen hat. Aber immer noch ist er gelinde erstaunt, wenn er einen Abteilungsleiter zum Gespräch ins Ministerbüro bittet und der wie selbstverständlich drei Referenten im Schlepptau nach sich zieht.

Doch kürzer als sein Vorgänger macht der Minister es bei solchen Gelegenheiten allemal. Während sich bei Vorgänger Hans Friderichs ein einstündiger Termin nicht selten bei Plausch und Wein auf das Doppelte hinzog, schafft der Graf es in 30 Minuten -- ohne Plausch und auch ohne Wein. Seine Devise: »Saufen darf man in diesem Beruf nicht.«

Zu Hilfe kommt dem Wirtschaftsminister die Fähigkeit, schnell und präzise zu sprechen. Fragen beantwortet er bereitwillig und freundlich -- wenn auch so rasch, daß dem Fragenden häufig nicht rechtzeitig die nächste Replik einfällt. Dann entstehen peinliche Pausen, die allerdings nie lang werden.

In solchen Fällen pflegt der Minister selbst die Frage zu stellen. Sie ist nur kurz und lautet: »Noch was?« Meist ist dann nichts mehr.

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