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KIRCHE / JESUITEN Noch zu brav

aus DER SPIEGEL 18/1969

Vor der Jesuiten-Zentrale im Borgo Santo Spirito zu Rom fuhr ein weißer Ford mit Züricher Kennzeichen vor. Ihm entstieg ein hoher Jesuit in Zivil, der hier vier Jahre lang zu Hause war: der Schweizer Dr. Mario Schoenenberger, 49, Assistent des Jesuitengenerals für das deutschsprachige Europa, Holland und Ungarn.

Im vierten Stock empfing ihn -- um 14.30 Uhr am Dienstag vergangener Woche -- der spanische Jesuitengeneral Pedro Arrupe. Der General und sein Assistent sprachen spanisch miteinander. Es war vermutlich ihre letzte Begegnung: Schoenenberger bat um seine Entlassung aus dem Orden und sorgte damit für eine Sensation. Noch nie in der 435jährigen Ordensgeschichte hat ein Mitglied des römischen General-Stabes die »Gesellschaft Jesu« (lateinisch: »Societas Jesu«, abgekürzt SJ) verlassen.

Der General in der Soutane bat um Diskretion. Doch dafür war es zu spät. Kurz zuvor hatte Schoenenberger über 200 Briefe an Bekannte abgesandt und ihnen seinen Austritts-Antrag mitgeteilt.

Das gestand er dem »schwarzen Papst«, wie jeder Jesuitengeneral wegen seines Habits und wegen seiner Machtfülle genannt wird. Er verschwieg ihm aber, daß er für 16 Uhr den Roten Saal des Hilton-Hotels für eine Pressekonferenz gemietet hatte.

Getrennt voneinander sorgten der Jesuitengeneral und sein Ex-Assistent für Schlagzeilen in der Weltpresse. Arrupe gab sogleich den Namen des Nachfolgers bekannt: Es ist der österreichische Professor Dr. Johannes Schasching, bislang Rektor des römischen »Germanicum«. Und Schoenenberger machte die Gründung einer neuen Gemeinschaft publik: des »Forum Oggi« ("Forum heute"). Er handelt bereits als Ex-Jesuit, obwohl er dem Buchstaben des Kirchenrechts nach dem Jesuitenorden noch angehört, bis die Formalitäten seines Ausscheidens abgewickelt sind.

Die Affäre Schoenenberger ist symptomatisch für die Krise der Kirche im allgemeinen (siehe Titelgeschichte Seite 162) wie für die Krise des Jesuitenordens im besonderen. Der in Bedrängnis geratene Papst hofft auf die Hilfe der Jesuiten, die jahrhundertelang wegen ihres blinden Gehorsams und ihrer Papstergebenheit eher berüchtigt als berühmt waren. Zuletzt wandte er sich am Tag vor Schoenenbergers Bruch mit der SJ an die Jesuiten: »Helft der Kirche!« Und: »Die Kirche braucht innere Zustimmung, organische Brüderlichkeit, liebevolle Eintracht.« Doch heute fordern, wie der Fall Schoenenberger deutlicher als andere offenbart, der weiße und der schwarze Papst Gehorsam und Eintracht selbst von den Jesuiten oft vergebens.

Gegen die konservative Linie Pauls VI. und Arrupes hatte der progressive Schoenenberger einen Wechsel des SJ-Kurses erzwingen wollen. Zu ersten ernsten Differenzen mit dem General kam es im Jahre 1968 -- um die »progressive Haltung und den modernen Lebensstil« des Assistenten, wie es Schoenenberger heute formuliert.

Sein Lebensstil hatte in der Tat mit den herkömmlichen Jesuiten-Riten nur noch wenig gemein. Schoenenberger, der vor seiner SJ-Zeit Volkswirtschaft studiert, als Exportkaufmann gearbeitet und vermögende Schweizer als Freunde gewonnen hat, ließ sich von ihnen ein Fünf-Zimmer-Appartement in Rom zur Verfügung stellen, das er neben seinem kargen Arbeits- und Schlafraum im Jesuiten-Generalat benutzte. Gratis erhielt er auch, immer wenn er telephonisch darum bat, aus der Schweiz Sekretärinnen geschickt -- im Laufe der letzten zwölf Monate »ein halbes Dutzend« (Schoenenberger).

Etwa die Hälfte seiner Zeit verbrachte der Spitzen-Jesuit, der sechs Sprachen beherrscht, auf Reisen. Überall suchte er Kontakt mit Jesuiten. Die Reisekosten -- jährlich etwa 25 000 Schweizer Franken -- deckte er nicht aus der Ordenskasse, sondern aus den Schatullen seiner Gönner.

Im Generalat war Schoenenberger um Neuerungen bemüht, um technische wie um kirchenpolitische. Er schloß die SJ-Zentrale, in der bis vor wenigen Jahren Latein die Umgangssprache war, an das Fernschreibnetz an. Vor allem aber förderte und schützte er Neuerer, wo immer sie auftraten: Alt-Jesuiten in Holland, die an Jungfrauengeburt und Zölibat öffentlich zweifelten, ebenso wie Jung-Jesuiten, die in München außerhalb ihres Ordenshauses eine »Kommune« gründeten (SPIEGEL 15/1969).

Als sich die Differenzen mit dem General im Januar zuspitzten, bot Schoenenberger seinen Rücktritt an. Doch er blieb noch im Amt und wurde hineingezogen in den Konflikt der prominentesten holländischen Jesuiten mit der Ordenszentrale.

Als der Amsterdamer Studentenpfarrer Jos Vrijburg sich verlobte und aus dem Orden austrat, wollten drei der vier anderen SJ-Studentenpfarrer ihm seinen Priesterberuf erhalten. Sie stellten der Kirche ein Ultimatum: Entweder dürfe Vrijburg weiter predigen, oder sie würden mit ihm zusammen eine katholische Gemeinde außerhalb der kirchlichen Jurisdiktion gründen. Arrupe reagierte scharf. In einem Offenen Brief wetterte er dagegen, daß hier der »Gehorsam mit Füßen getreten« werde, und forderte »öffentliche Wiedergutmachung«.

Nun scheute sich Schoenenberger nicht mehr, die Gegensätze zwischen dem General und ihm publik zu machen. Er aktivierte seine Kontakte zum SPIEGEL, die er (wie andere Jesuiten) bis dahin diskret gehalten hatte, und führte ein SPIEGEL-Gespräch auf neutralem römischem Boden: in einem Hotel. Dem General verschwieg er, daß er dieses Interview gab, dem SPIEGEL, daß er zwei Monate zuvor seinen Rücktritt angeboten hatte.

In dem Interview solidarisierte sich Schoenenberger mit den holländischen Neuerem. Er mißbilligte das Pillen-Verbot Pauls VI. und übte Kritik am General -- was bis dahin kein Jesuit öffentlich getan hatte.

Zur selben Zeit, als Schoenenberger so redete, teilte Arrupe den Amsterdamern Studentenpfarrern Huub Oosterhuis und Ton van der Stap mit, daß sie aus dem Orden ausgeschlossen würden. In der Karwoche scheiterte in Amsterdam der Versuch zu einem Kompromiß zwischen den beiden progressiven Patres und dem Orden zu kommen. Daraufhin trat der ranghöchste holländische Jesuit, der Provinzial Jan Hermans, von seinem Amt zurück.

Mehr noch als über die Holländer wurde von den Jesuiten im deutschsprachigen Europa über Schoenenberger debattiert, als am Ostermontag sein SPIEGEL-Gespräch veröffentlicht wurde.

Wie fast immer, wenn ein Priester gegen Obere aufbegehrt, kam ein Gerücht auf, das in diesem Fall nicht der Wahrheit entsprach: Schoenenberger gehe es nicht um die Kirche, sondern um eine Witwe, mit der er zusammenlebe und die er heiraten wolle.

Schoenenberger reiste nach Chur, Frankfurt und München. Er wurde gewahr, daß viele Jesuiten ihm seine Flucht in die Öffentlichkeit verübelten. Aber er hörte auch »viel Zustimmung«. Und nun nahm er von Frankfurt aus per Fernschreiben sein Rücktrittsgesuch vom Januar zurück.

Unterdes mutmaßten italienische Blätter, ob etwa gar Arrupe den konservativen Papst-Kurs nicht länger unterstützen wolle. Anlaß dazu bot ein neuer Brief an die holländischen Jesuiten, in dem Arrupe sie zur Reformfreude mahnte:« Fürchtet nicht, daß ich Euren Dynamismus und Eure Erfindungskraft bremsen möchte.«

Doch Arrupe blieb bei seinem harten Kurs. Trotz der Unruhe im Orden schloß er nach den Holländern noch einen Italiener aus dem Orden aus: den Mailänder Universitätsdozenten Vincenzo Barbieri, der eine Kontaktstelle für freiwillige Entwicklungshelfer eröffnet und sich an einem Vietnam-Friedensmarsch beteiligt hatte.

Und erfolglos blieben die Versuche Arrupes und Schoenenbergers, sich noch zu verständigen. Anders, als Schoenenberger zunächst angenommen hatte« war durch das SPIEGEL-Gespräch »meine Ablösung unausweichlich geworden«, wie er heute weiß. Er bedauert es trotzdem sowenig wie seine anderen Aktionen, denn: »Die Situation in ·der Kirche ist eigentlich so ernst, daß ich mein Verhalten immer noch als zu brav empfinde.«

Über seine neue Gesellschaft »Forum Oggi« die auch Nichtkatholiken offensteht, machte Schoenenberger bislang nur Andeutungen. Die Namen der Mitglieder -- bislang sieben -- hält er ebenso geheim wie seine Geldquellen. Schoenenberger will Priester bleiben und nicht heiraten ("Der Zölibat ist für mich kein Problem"), aber sich keinem konservativen Oberen beugen. Mit dem Jesuitenorden strebt er gute Beziehungen an, möchte aber zugleich Jesuiten und anderen helfen, »die an den Rand der kirchlichen Existenz abgedrängt werden«.

Zum Ziel des »Forum Oggi« gibt es nur einen vagen Kernsatz seines Gründers: »Menschen verschiedenster Herkunft können sich hier im Suchen nach den großen Fragen, die uns heute aufgegeben sind, begegnen und zur Gestaltung einer besseren Zukunft verbinden.«

Vorerst ist nur an eine lose Gemeinschaft gedacht. Ob »Forum Oggi« je ein Orden wird, weiß Schoenenberger noch nicht sicher zu sagen: »Aber wenn, dann ganz anders als bestehende Orden. Viel freier.«

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