»Notrufzentrale für die Welt«
Lee Hamilton, 59, demokratischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus, ist Vorsitzender des Unterausschusses für Europa und den Nahen Osten.
SPIEGEL: Mr. Hamilton, mit dem Einsatz amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien hat George Bush die bislang riskanteste Entscheidung seiner Präsidentschaft getroffen. Sind Sie sicher, daß er die Oberhand behalten und Saddam Hussein der Verlierer sein wird?
HAMILTON: Die Entsendung amerikanischer Streitkräfte in den Nahen Osten ist ein Schlüsselereignis für Bushs Präsidentschaft. Vom Erfolg dieser Entscheidung hängt ungeheuer viel ab. Im Moment kann noch niemand sagen, ob ihm ein Erfolg beschieden sein wird. Zuerst müßte man definieren, was unter »Erfolg« zu verstehen ist.
SPIEGEL: Der Präsident hat gesagt, daß er Saddam Hussein aus Kuweit hinauswerfen will.
HAMILTON: Ob ein bedingungsloser Abzug erzwungen werden kann, bleibt abzuwarten. Wir hoffen es natürlich.
SPIEGEL: Gibt es noch Spielraum für eine diplomatische Lösung?
HAMILTON: Zu diesem Aspekt hat sich der Präsident bisher nicht genau erklärt. Er glaubt, daß Wirtschaftssanktionen und eine Blockade Saddam Hussein so zusetzen werden, daß der sich aus Kuweit zurückziehen wird. Was aber, wenn er nicht abzieht? Um einen solch toten Punkt zu verhindern, muß das Weiße Haus diplomatische Schritte zur Konfliktlösung einleiten.
SPIEGEL: Wie könnte eine solche Diplomatie aussehen?
HAMILTON: Bei der Festlegung unserer Ziele hat der Präsident einen sehr interessanten Satz gesagt: Er hat die Wiedereinsetzung einer legitimen Regierung in Kuweit gefordert. Offensichtlich meint er damit aber nicht, daß wir das alte Emirat wiederherstellen müssen.
SPIEGEL: Sie meinen, eine legitime Regierung könnte aus freien Wahlen hervorgehen, ohne den Emir?
HAMILTON: Ja. Meiner Meinung nach wäre es zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwierig, das Emirat zu restaurieren.
SPIEGEL: Bisher gibt sich Bush aber sehr unnachgiebig. Er stützt sich nur auf Sanktionen und militärische Macht.
HAMILTON: Militärische Macht ist wichtig und in diesem Fall auch angebracht, aber das Problem wird damit _(Das Gespräch führten die Redakteure ) _(Martin Kilian und Romain Leick in ) _(Washington. ) nicht gelöst. Deshalb brauchen wir neben der militärischen Drohung auch die diplomatische Lockung.
SPIEGEL: Für Saddam Hussein wäre es doch günstig, wenn die amerikanischen Truppen für längere Zeit untätig in Saudi-Arabiens Wüsten lägen.
HAMILTON: Das Risiko eines lang andauernden Patts ist nicht von der Hand zu weisen. Dann wird es darauf ankommen, ob wir den internationalen Konsens aufrechterhalten können und ob das amerikanische Volk ein zeitlich unbegrenztes Engagement unterstützen wird. Im Moment steht die Bevölkerung voll hinter dem Präsidenten, wenn auch mit einigem Unbehagen. Dieses Unbehagen wird wachsen, wenn der Auftrag dieser Truppen nicht mehr klar erkennbar ist, etwa wie 1983 im Libanon.
SPIEGEL: Erhöht sich dadurch nicht der Druck, doch eine schnelle militärische Lösung zu suchen?
HAMILTON: Ich glaube nicht, daß die Vereinigten Staaten zuerst zur Waffe greifen oder in Kuweit eindringen werden. Ob geschossen wird, wird von Saddam Hussein abhängen.
SPIEGEL: US-Bürger im Irak könnten als Geiseln festgesetzt werden. Oder Saddam Hussein könnte Vergeltungsmaßnahmen gegen die Blockade ergreifen.
HAMILTON: Sicher hat er mehrere Optionen. Sollte er sich aber für die militärische entscheiden, wird er eine unerbittliche amerikanische Antwort provozieren.
SPIEGEL: Welche Vergeltungsmaßnahmen würde der Präsident wohl androhen, falls Saddam Hussein chemische Waffen einsetzt?
HAMILTON: Der Präsident hat sich sehr klar ausgedrückt: Wir würden nicht unbedingt Gleiches mit Gleichem vergelten, aber unsere Reaktion wäre von äußerster Härte. Ein irakischer Angriff mit chemischen Waffen würde das amerikanische Volk zutiefst erschüttern. Sowohl der Kongreß als auch die Bevölkerung würden die Gegenmaßnahmen des Präsidenten voll unterstützen.
SPIEGEL: Es gibt in den USA derzeit einen breiten öffentlichen Konsens über den Einsatz von US-Truppen im Nahen Osten. Ist das Trauma der amerikanischen Niederlage in Vietnam überwunden?
HAMILTON: Ja, ich glaube, wir haben das Vietnam-Syndrom überwunden. Die Amerikaner unterstützen den Einsatz ihrer Militärmacht, solange sie überzeugt sind, daß dieser Einsatz berechtigt ist.
SPIEGEL: Würde sich das nicht ändern, wenn es in Saudi-Arabien über längere Zeit hinweg schwere Verluste gäbe?
HAMILTON: Das wäre ein wirklicher Testfall. Meinungsumfragen zeigen, daß derzeit 80 Prozent aller Bürger den militärischen Einsatz im Nahen Osten billigen. Das heißt, sie stehen hinter dem Präsidenten, solange es um Luftangriffe oder die Beschießung von Küsten durch Kriegsschiffe geht. Ich glaube, sie sind aber nur für diesen Einsatz, solange es keine Verluste gibt. Müßten unsere Truppen Tag für Tag schwere Verluste hinnehmen, bin ich sicher, daß die Zustimmungsrate dramatisch sinkt.
SPIEGEL: Militäraktionen gegen Potentaten wie Gaddafi oder Noriega haben in der Vergangenheit stets zu patriotischen Ausbrüchen geführt. Davon ist diesmal wenig zu spüren. Wieso?
HAMILTON: Trotz aller Zustimmung gibt es ein Gefühl des Unbehagens; vielen Amerikanern ist nicht klar, warum der Einsatz im Golf notwendig ist. Schließlich sind wir nicht dort um der Demokratie willen. Saudi-Arabien und Kuweit kann man kaum als demokratische Staaten bezeichnen. Der Grund für unseren Einsatz am Golf ist viel alltäglicher: Geld und Öl - und wer die Kontrolle darüber ausübt. Wir wollen natürlich auch einen Aggressor in die Schranken weisen.
SPIEGEL: Vorletzte Woche hat Präsident Bush das viel dramatischer dargestellt. Er warnte vor der »Zerstörung unserer Freiheit«.
HAMILTON: Meiner Ansicht nach versucht der Präsident noch immer eine Antwort auf die Frage zu finden, welches Ziel wir haben, wie lange wir am Golf bleiben und unter welchen Umständen wir wieder abziehen. Es ist bemerkenswert, daß die Regierung sich bislang geweigert hat, diese Frage vor dem Kongreß zu beantworten, obwohl ich und andere sie dazu aufgefordert haben. Das zeigt einen Mangel an Präzision und beweist, daß die amerikanische Position noch nicht ausgearbeitet ist.
SPIEGEL: Fallen die Abstriche am Pentagon-Etat, die vielbeschworene »Friedensdividende«, nun als erstes der Golf-Krise zum Opfer?
HAMILTON: Der Verteidigungshaushalt wird nicht mehr so stark gekürzt werden, wie es ohne den Einmarsch Saddam Husseins in Kuweit möglich gewesen wäre. Der militärische Einsatz im Nahen Osten wird uns teuer zu stehen kommen, wird mehr kosten, als wir bisher angenommen haben.
SPIEGEL: Die US-Politik im Nahen Osten litt in der Vergangenheit unter schweren Fehleinschätzungen. Wird Washington diesmal besser wegkommen?
HAMILTON: Die amerikanische Position in dieser Region ist ungewöhnlich schwierig: Einerseits versuchen wir, freundschaftliche Beziehungen zu den sogenannten gemäßigten Staaten aufrechtzuerhalten. Andererseits unterstützen wir Israel. Unsere Diplomatie ist eine Gratwanderung.
SPIEGEL: Nach acht Kriegsjahren und einem unsicheren Waffenstillstand scheinen sich der Irak und der Iran einander anzunähern. Hätte Amerika angesichts der Gefährlichkeit Saddam Husseins nicht auf eine Verständigung mit dem Iran drängen müssen?
HAMILTON: Mit dem Iran zu verhandeln ist für die Vereinigten Staaten überaus schwierig. Kein Land der Welt hat uns im letzten Jahrzehnt mehr Probleme gemacht. Und solange die Frage der Geiseln im Libanon nicht gelöst ist, kann es keine Normalisierung unseres Verhältnisses geben. Meiner Ansicht nach wäre ein Dialog ohne Zugeständnisse, aber auch ohne Vorbedingungen, von Vorteil für die USA. Die derzeitigen Ereignisse am Golf und die dramatischen Konzessionen Saddam Husseins an den Iran bestätigen das nur.
SPIEGEL: Fürchten Sie nicht, daß das amerikanische Engagement am Golf längerfristig jene Regierungen schwächen wird, die eigentlich gestärkt werden sollen? Kaum war das saudische Hilfsersuchen an Washington ergangen, schimpfte Saddam Hussein die saudischen Herrscher Marionetten des Westens.
HAMILTON: Zweifellos wird es in der arabischen Welt drunter und drüber gehen, und die Gefahr, daß die uns befreundeten Regime geschwächt werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Länder wie Saudi-Arabien und Ägypten, die sich in dieser Krise auf die Seite der USA geschlagen haben, mußten eine schwierige Entscheidung treffen. Deshalb werden wir zu diesen Ländern künftig noch engere Bindungen herstellen.
SPIEGEL: Widersteht Saddam Hussein den USA, wird er der Held Arabiens sein. Wird er aber besiegt oder gestürzt, dürfte er als Märtyrer einer kolonialistischen Verschwörung in die arabische Geschichte eingehen.
HAMILTON: Saddams Tonfall stößt in der Tat auf Resonanz in der arabischen Welt. Er spielt die Reichen und die Habenichtse gegeneinander aus. Außerdem versucht er, Israel hineinzuziehen, was ihn legitimieren würde, den Heiligen Krieg der Araber gegen Israel zu propagieren. Beides findet einen ungeheuren Widerhall in der arabischen Welt und birgt große Risiken für die USA. Deshalb ist es überaus wichtig, daß nicht nur unsere Freunde in Europa und die Weltöffentlichkeit zu uns stehen, sondern auch einige arabische Länder. Wir sind Zeugen einer faszinierenden Entwicklung: Die Landkarte des Nahen Ostens wird niemals mehr so sein, wie sie bislang war.
SPIEGEL: Der Kalte Krieg ist zu Ende, und die Sowjetunion stellt sich derartigen amerikanischen Interventionen nicht mehr in den Weg. Wird Washington jetzt erst recht zur Notrufzentrale für die gesamte Welt?
HAMILTON: Wenn wir''s nicht sind - wer soll es dann sein? Die USA werden natürlich nicht auf jeden Notruf reagieren. Wir werden uns von Fall zu Fall entscheiden müssen, ob unsere nationalen Interessen berührt sind. Aber so, wie die Welt aussieht, müssen wir auf Einsätze wie diesen vorbereitet sein.
SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, daß es in Zukunft noch mehr US-Interventionen geben wird?
HAMILTON: Dem amerikanischen Volk stellt sich im Fall einer Herausforderung die fundamentale Frage, ob die USA auch weiterhin eine Supermacht sein wollen oder die damit verbundenen Belastungen als so schwer empfinden, daß wir künftig auf diese Rolle verzichten wollen. Die Antwort darauf fällt nicht so klar aus, wie ich es mir wünsche. Ich glaube, daß die Vereinigten Staaten auch weiterhin eine Supermacht sein möchten, und daß wir nicht in einen Isolationismus zurückfallen werden. Aber bei manchen Amerikanern hat sich die Überzeugung verstärkt, daß wir die Last schon zu lange getragen haben. Viele US-Bürger wollen nicht mehr.
SPIEGEL: Mr. Hamilton, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führten die Redakteure Martin Kilian und Romain Leickin Washington.