Zur Ausgabe
Artikel 5 / 79

NS-Kartei künftig in Bonner Obhut

aus DER SPIEGEL 6/1979

Nach einem zwölf Jahre dauernden Hin und Her hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, das West-Berliner Document Center, in dem unter US-Obhut die Personalakten ehemaliger Nationalsozialisten lagern, in deutsche Verwaltung zu übernehmen.

Die Amerikaner wollten das NS-Archiv schon seit 1967 abtreten; doch Bonn winkte immer wieder ab -- aus Angst vor einer neuen Entnazifizierungsdebatte und vor Ärger mit den Sowjets, die argwöhnisch darüber wachen, daß die Bundespräsenz in West-Berlin nicht ausgebaut wird.

Jetzt sind die Bonner auf eine Lösung verfallen, die diplomatische Verwicklungen mit Moskau gar nicht erst aufkommen läßt: Das künftige deutsche Dokumentationszentrum soll weder eine selbständige Bundesbehörde werden, noch ist eine Angliederung an das thematisch zuständige Bundesinnenministerium geplant. Träger des NS-Archivs soll vielmehr das Bundesverwaltungsamt sein, das sich schon lange in West-Berlin befindet. Die Sowjets hahen ihr Einverständnis mit dieser Lösung signalisiert.

Offen ist allerdings noch, ob jeder wißbegierige Bürger in dem Hundert-Millionen-Blatt-Archiv nachforschen kann oder ob die künftige Benutzungsordnung die gleichen Einschränkungen enthält wie bisher: Unter US-Regie durften nur »anerkannte Wissenschaftler aus befreundeten westlichen Ländern« -- so Archivleiter Daniel Simon -- die Akten auswerten.

Die Amerikaner haben jetzt gefordert, das Document Center soweit wie möglich allen Interessenten zu öffnen. Ohnedies sollen Mikrofilme sämtlicher Dokumente künftig im Washingtoner Nationalarchiv jedem zugänglich sein.

Damit hätte ein achtjähriger Kampf des linken SPD-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Hansen ein erfolgreiches Ende gefunden. Der Genosse war letztes Jahr offiziell von seiner Fraktion gerügt worden, weil er im britischen Fernsehen der Bundesregierung vorgeworfen hatte, sie wolle »frühere Nazis decken, die in peinliche Verlegenheit kommen, wenn gewisse Dokumente veröffentlicht würden«.

Denn in Berlin lagern der größte Teil der NSDAP-Mitgliederkartei, der Personalunterlagen von SS und Waffen-SS sowie Millionen von Briefen und Ergebenheitsadressen damaliger Pg's.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 5 / 79
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren