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TIERSCHUTZ / GRZIMEK Nun Krokodile

aus DER SPIEGEL 40/1967

Im Vogelhaus seines Zoologischen Gartens in Frankfurt hat er das Schopenhauer-Zitat angeschlagen, daß die Menschen Teufel auf Erden, die Tiere hingegen geplagte Seelen seien. Und dankbar schalten 68 Prozent der deutschen Fernsehteilnehmer ihr Gerät ein, wenn Professor Dr. Bernhard Grzimek, 58, philosophiert und plaudert.

Vier Millionen Hunde, drei Millionen Katzen und zehn Millionen Vögel, die in bundesdeutschen Familien leben, stimmen die Seelen ihrer menschlichen Hausgenossen auf das nüchterne Pathos des Tierschützers ein, dessen Bildschirm-Ruhm (Urteilsindex beim Zuschauertest: plus 7 -- ausgezeichnet) Erinnerungen an Tierschriftsteller wie Alfred Brehm und Hermann Löns allmählich verblassen läßt.

Über die Tierliebe der Deutschen gewann der Zoo-Direktor ein solches Ansehen, daß er ungestraft Tabus verletzen darf, ohne daß seine Popularitätskurve sinkt.

Ex-Breslauer kaufen Grzimeks Tierbücher, obwohl ihn Vertriebenen-Blätter rüffelten -- weil er nach einer Ostland-Reise im Fernsehen berichtete, er habe auf der Fahrt durch Schlesien kein einziges Schlagloch gesehen. »Bild«-Leser nehmen den Professor gegen »unsere großen Herren, die nur wehrlose Tiere abschießen wollen«, in Schutz -- obwohl Grzimek Massen-Idole wie Gina Lollobrigida, 39, attackierte, weil der Star nicht abließ, Leoparden-Mäntel zu tragen.

Als der TV-Tierschützer sich im Dezember 1965 dann dem Schulz junger Robben zuwandte, spürte das die deutsche Pelzwirtschaft bald darauf am Umsatzrückgang. Grzimeks Aufrufe gegen das Abhäuten lebender Seehundbabys im St.-Lorenz-Golf brachten dem kanadischen Ministerpräsidenten Lester Pearson 15 000 Protestbriefe aus der Bundesrepublik und der Schweiz ein, in denen eine schärfere Überwachung der Robbenjagd gefordert wurde. Der deutsche Pelzhändler-Verband beteuerte, daß ein Umsatzverlust von vier Millionen Mark zu verzeichnen sei.

Grzimek hatte das Häuten lebender Seehundbabys so eindringlich geschildert, daß Damen auch die Felle erwachsener Robben nicht mehr leiden mochten. Der Frankfurter Pelzhändler Herbert Thierschmann stellte bei seinen Kunden »eine eindeutige Anti-Seehund-Tendenz« fest. In Zürich bespuckten rabiate Eidgenossen Damen, die sich im Seal-Mantel zeigten.

Verzweifelt erwirkte der Verband der deutschen Rauchwaren- und Pelzwirtschaft beim Frankfurter Landgericht eine einstweilige Verfügung, mit der dem Professor verboten wurde, im Fernsehen das Abhäuten junger Seehunde bei lebendigem Leibe so zu schildern, daß »Millionen potentieller Kunden der Pelz-Industrie durch diesen verdeckten Boykott-Aufruf erfaßt und angesprochen werden«.

Über Bernhard Grzimeks Berufung wurde vor dem Oberlandesgericht Frankfurt vorletzte Woche freilich nicht mehr verhandelt: Die streitenden Parteien hatten sich in der Halle des Hotels Frankfurter Hof verglichen und das bereits zusammengetretene Gericht gebeten, auf den Ausgang des Gesprächs zu warten.

Die Pelzhändler stifteten 10 000 Mark, damit im nächsten März zwei Veterinärpathologen die Jagdbräuche an Kanadas Küsten überwachen. Professor Grzimek erklärte, er habe nichts gegen das Tragen von Seehundfellen einzuwenden, wenn die Robben sachgerecht getötet würden. Außerdem verzichtet Grzimek darauf, erneut zum Robbenschutz aufzurufen, bevor die Experten über die nächste Jagd berichtet haben.

Der Tierschützer ist der klare Sieger dieses Vergleichs. Die Robbenjagd wird auf Kosten der Pelzhändler überwacht, und er hat mit seinem Versprechen nur wiederholt, was er schon angekündigt hatte: »Ich werde auf die Seehundbabys erst wieder zurückkommen, wenn die Ergebnisse der Fangsaison 1968 vorliegen.«

In der Zwischenzeit stellt Professor Grzimek andere modische Accessoires in Frage. In seiner letzten Fernsehsendung warnte er, Krokodile dürften der Handtaschen wegen nicht dezimiert werden.

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