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MARINE-TREFFEN Nur als Kamerad

aus DER SPIEGEL 23/1956

Die 15 000 Fahrensleute - Matrosen, Maate, Feldwebel, Deckoffiziere, Leutnante, Kapitänleutnante, Stabs- und Flaggoffiziere - aus der Kaiserlichen, der Reichs- und der Kriegsmarine, die sich am letzten Wochenende auf Geheiß des Deutschen Marinebundes in Kiel trafen, waren tief enttäuscht. Ein mit Blumen geschmücktes Photo des Großadmirals Dr. honoris causa Erich Raeder sollte sie darüber hinwegtrösten, daß sie ihren vorletzten Oberbefehlshaber, der die Marine von 1928 bis 1943 kommandiert hatte, nicht leibhaftig zu Gesicht bekamen.

Die Motive, die den Großadmiral angeblich bewogen haben, dem Marine-Treffen fernzubleiben, stehen in einem Brief, den Erich Raeder an seinen Kieler Freund, den Generaladmiral außer Diensten Wilhelm Marschall, Ehrenmitglied des Marinebundes, geschickt hatte: Er leide noch an den Folgen der Unterleibsoperation; seine Ärzte hätten ihm deshalb dringend geraten, auf die Reise von Lippstadt, seinem Wohnort, nach Kiel zu verzichten.

Die nach Kiel beorderten Mariner mußten sich mit dieser etwas fadenscheinigen Erklärung zufriedengeben. Es blieb ihnen verborgen, daß der Großadmiral Raeder dem Generaladmiral Marschall zum Thema Marine-Treffen drei Wochen zuvor schon einmal einen Brief geschrieben hatte, in dem das genaue Gegenteil stand: die Operation sei gut überstanden, und er, Raeder, fühle sich kräftig genug, nach Kiel zu kommen, zumal er sich sehr wünsche, die alten Kameraden noch einmal zu sehen.

Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Briefen ist keineswegs klinisch zu erklären. Sie spiegelt die Ungeschicklichkeit wider, die in Bundesdeutschland immer dann sichtbar wird, wenn Politik und Militär

scheinbar aneinandergeraten. Die Furcht wachsamer Demokraten entzündet sich bei solchen Gelegenheiten oftmals erst an der Unsicherheit der Kriegervereins-Funktionäre. So auch im Falle Raeder; Leidtragender ist der alte Mann.

Bis zu dem Tage, an dem Raeder zum erstenmal an Marschall schrieb, gab es im Präsidium des Deutschen Marinebundes keinen Zweifel, daß der Großadmiral In Kiel dabeisein müsse. Die Spitze des Marinebundes - für den in 335 Kameradschaften von 22 000 Mitgliedern Beiträge kassiert werden - hatte beschlossen, einen weich gepolsterten Mercedes 220 nach Lippstadt zu schicken, der Raeder - »den Kameraden, nicht den Großadmiral« - an die Ostsee bringen sollte.

Um mißverständliche Ovationen in den eigenen Reihen und politische Demonstrationen auf der linken Gegenseite zu vermeiden, sollte jedermann vorher davon unterrichtet werden, daß dem Großadmiral »nur in seiner Eigenschaft als Mitglied der Marinekameradschaft Lippstadt« Gelegenheit gegeben werde, mit Kameraden zusammenzusitzen. »Er sollte die Gewißheit erlangen, daß seine Kameraden ihn nicht vergessen haben.« So der Admiral außer Diensten Gottfried Hansen, Ehrenpräsident des Verbandes Deutscher Soldaten.-Der Fregattenkapitän Otto Kretzschmer, einst neben Prien und Schepke Star der großdeutschen U-Boot-Waffe, nach dem Kriege erster Präsident des Marinebundes und heute in der Bundesmarine wieder aktiv, dachte nur an jene kameradschaftlichen Absichten, als er vorsorglich im Bonner Innen- und Außenministerium und bei »anderen hohen und höchsten Stellen« anfragte, ob gegen den Auftritt des Großadmirals in Kiel Bedenken bestünden. Kretzschmer heute: »Raeder wird bei uns nie mehr eine politische Rolle spielen. Wir betrachten und behandeln ihn als einen unserer Kameraden.«

Bonn hatte keine Bedenken, der Kieler Oberbürgermeister Dr. Müthling auch nicht. Sogar der SPD-Fraktionschef Käber im Kieler Landtag fand nichts dabei, daß Raeder in Kiel erscheinen würde.

Der Regierungsdirektor Tieschke, Präsident des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutz-Amtes, sicherte das Marine-Unternehmen gegen Linksaußen. Er ließ die Kommunisten ausfragen, ob sie etwa Störaktionen planen, falls Raeder in Kiel aufkreuzt. Die Kommunisten gaben zu verstehen, sie würden stillhalten. Daß sie Angst davor hätten, handfeste Seeleute könnten die Demonstranten zusammenhauen, fügten die Kommunisten nicht ausdrücklich hinzu. Der Teilnahme des Großadmirals Raeder am Treffen des Deutschen Marinebundes In Kiel schien nichts mehr Im Wege zu stehen.

Da türmte sich unversehens ein neues Hindernis auf, das die ohnehin vorsichtigen Gemüter im Präsidium des Marinebundes vollends verstörte. Eine kleine Gruppe Kieler SPD-Funktionäre fühlte sich an die Zustimmung ihres Chefs Käber nicht gebunden. Diese Sozialdemokraten wählten den gleichen Weg, auf dem sie schon einmal, beim Streit um Raeders Kieler Ehrenbürgerbrief, ihr Ziel erreicht hatten. Sie steckten sich hinter skandinavische Zeitungsleute.

Während also die offiziellen SPD-Organe mit Rücksicht auf potentielle Marinewähler diesmal - im Gegensatz zum Ehrenbürgerstreit - freundlich schwiegen, brachte die skandinavische Presse aufs neue Meditationen über den Norwegenfeldzug des Jahres 1940, den Raeder gefordert und vorbereitet hatte. Das sogenannte Politikum Raeder war wieder einmal perfekt.

Die unsicheren Admirale in der Spitze des Marinebundes strichen die Segel. Dabei kam ihnen ein Umstand zu Hilfe, der schon in den Offiziersmessen der Kriegsmarine bekannt gewesen war: Der Großadmiral hat das Glück, mit einer Frau verheiratet zu sein, die nicht passiv an der Seite ihres Gatten dahinlebt, sondern tätigen Anteil an dessen Tun und Lassen nimmt.

Für Frau Raeder war denn auch die Gesundheit ihres Mannes wertvoller als die beschwerliche Reise nach Kiel, von der im voraus alle Beteiligten - der Marinebund, die Behörden und die Opposition - mehr Aufhebens gemacht hatten, als angemessen war. Der Großadmiral sagte ab.

Eheleute Raeder: Nachfragen bei hohen und höchsten Stellen

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