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NUR DURCH KRIEG ZU ERFÜLLEN

aus DER SPIEGEL 48/1961

Englands bekannter Reporter Sefton Delmer hat nach seinem Ausscheiden aus dem deutschfeindlichen Beaverbrook-Blatt »Daily Express« eine Autobiographie geschrieben, deren erster Band soeben In London veröffentlicht wurde*. Im letzten Kapitel, »Die neue deutsche Gefahr«, schreibt Delmer über den deutschen »Drang nach Osten":

Ich wünschte eigentlich, daß die Deutschen jetzt kuriert sind. Aber leider gibt es Anzeichen dafür, daß einige Illusionisten in Deutschland schon wieder ein gewagtes Spiel treiben und nur darauf warten, ihr Glück ein drittes Mal versuchen zu können - in der Hoffnung, diesmal, unterstützt durch die Amerikaner und uns, bei den Siegern zu sein.

Diese Anzeichen sind so alarmierend, daß ich mich verpflichtet fühle, jetzt vor der Gefahr zu warnen, daß diese neuen Illusionen unwidersprochen und zügellos weiterwuchern.

Deutschlands betagter Kanzler Adenauer und seine Minister lassen keine Rede aus, ohne an den alten deutschen Chauvinismus zu appellieren, ohne lautstark zu verkünden, daß ihre Regierung sich weigert, die neuen Grenzen Deutschlands im Osten anzuerkennen. Sie fordern die Rückgabe der verlorenen Gebiete und, schlimmer noch, versprechen den Deutschen, daß sie all ihre Ziele mit der Unterstützung des Westens erreichen werden. Adenauer gibt dieses Versprechen, obwohl ihm klar sein muß, daß er es nur durch einen Krieg einlösen kann.

Für mich ist diese deutsche revisionistische Bewegung eine schwere Enttäuschung. Ich hatte gehofft, daß Konrad Adenauer, der Katholik aus dem Rheinland und langjährige Gegner Hitlers und Preußens, alles daransetzen würde, die Bereitschaft seines Landes zur Buße für die Untaten gegenüber den östlichen Nachbarn zu demonstrieren. Ich hatte von ihm erwartet, daß er mit staatsmännischer Vernunft und Mäßigung den Verlust jener Gebiete akzeptieren würde, die zum großen Teil erst in den letzten 200 Jahren von Preußen erobert worden sind; ihre Abtrennung war durch die Niederlage Hitlers unvermeidbar geworden. Statt dessen machte sich Adenauer, selbstzufrieden über die Unterstützung aus Amerika, zum Anführer jener aggressiven, kompromißlosen Politik gegenüber dem Ostblock.

Alle diese Reden und Beteuerungen aber wecken außerordentlich gefährliche Illusionen bei den leicht zu beeinflussenden Deutschen, und wir

sollten alles tun, um diese Illusionen zu zerstören. Wie? Indem wir dem Beispiel General de Gaulles folgen und noch unmißverständlicher als er erklären, daß wir nicht beabsichtigen, die bestehenden Grenzen in Osteuropa in Frage zu stellen oder zu revidieren, sondern daß wir sie anerkennen, so wie sie sind.

Einige westliche Politiker und Diplomaten, mit denen ich über diesen Vorschlag sprach, meinten allerdings, wir sollten diese »Konzession« an die Kommunisten nur machen, wenn wir eine andere Konzession von ihrer Seite dafür einhandeln. Sie argumentieren, man dürfe nichts tun, um die Position des Westens bei Verhandlungen über einen deutschen Friedensvertrag zu »schwächen«.

Ich stimme damit nicht überein; denn dies ist keine Konzession an den Kreml, sondern eine Garantie für unsere früheren Alliierten, die Völker Polens und der Tschechoslowakei, daß wir nicht die Absicht haben, einen neuen deutschen Angriff gegen sie zu unterstützen. Wir brauchen keine Gegen-Konzession von Moskau, denn eine solche Erklärung des Westens wird sich von allein bezahlt machen: Wenn wir die Polen und Tschechen von der Furcht vor einem neuen deutschen Angriff befreien, dann befreien wir diese

unterdrückten Nationen gleichzeitig von der einzigen gefühlsmäßigen Bindung, die sie noch an ihre sowjetischen Herren fesselt - von der Angst, daß die deutsche Wehrmacht, unterstützt durch die gewaltige Streitmacht des Westens, eines Tages wiederkommen könnte, um die Eroberung zu vollziehen, an der Hitler scheiterte.

Auch für die Deutschen selbst würde eine solche Grenzgarantie eine Erleichterung bedeuten: Mit dieser Erklärung - die deutsche Regierung muß ihr zustimmen, wenn sie sich nicht isolieren will - würden die Deutschen endlich aus dem Bann des toten Diktators Hitler befreit, der ihre Ostpolitik immer noch beeinflußt.

Dann kann Deutschland das werden, was ich ihm immer gewünscht habe: ein auf richtiges Mitglied der westlichen Allianz, ein mächtiges Land ohne territoriale Ambitionen, ohne das lebhafte Interesse am Fortbestehen der Ost-West-Spannung. Dann endlich werden wir die Gewähr haben, daß wir uns bei einer Bedrohung Deutschlands aus dem Osten

- in Westberlin zum Beispiel - für

die Verteidigung eines insgesamt friedlichen, nicht aggressiven, nicht expansiven Westens einsetzen und nicht versehentlich zum Werkzeug eines neuen deutschen »Drangs nach Osten« werden.

* Sefton Delmer: »Trail Sinister«. Verlag Secker & Warburg, London; 1961; 424 Selten; 30 Shilling. Deutsche Ausgabe demnächst im Henri-Nannen-Verlag, Hamburg.

Delmer

Sefton Delmer
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