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IMMUNITÄT Nur eine Bagatelle

aus DER SPIEGEL 4/1952

Schleswig-Holsteins Landtagsabgeordnete haben diese Woche darüber zu befinden, ob der Rechtsanwalt und Notar Dr. Max Meinicke-Pusch sich vor dem Richter zu den Aeußerungen des Konkursverwalters der Metallwarenfabrik Schwertfeger & Stumm über ihn wird äußern müssen. Der Konkursverwalter behauptet: »Rechtsanwalt Meinicke-Pusch hat Beihilfe zum Betrug begangen.«

Die Sache wäre wahrscheinlich längst geregelt, wenn Max Meinicke-Pusch nicht

*) Auch eine Formalbeleidigung wie »bundesministerieller Schmutzfink« kann strafrechtlich nicht geahndet werden, da der Immunitätsartikel 46 des Grundgesetzes Formalbeleidigungen und üble Nachrede von der strafrechtlichen Verfolgung kategorisch ausschließt, sofern sie im Bundestag begangen werden. auch noch FDP-Landtagsabgeordneter und Fraktionsvorsitzender des »Deutschen Wahlblocks« (CDU-FDP-DP) wäre. Nun hat die Deihilfe zum Betrug, dessen Max Meinicke-Pusch beschuldigt wird, mit seiner Eigenschaft als Landtagsabgeordneter überhaupt nichts zu tun. Landtags- und Bundestagsabgeordnete sind aber immun und dürfen auch in solchen Fällen ohne Genehmigung des Parlaments nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Ob es nun wohl richtig wäre, Meinicke-Puschs Immunität in diesem Falle aufzuheben, worüber im Kieler Landtag diese Woche abgestimmt werden soll, das zu entscheiden ist für die Abgeordneten ein schwieriges Unterfangen: ihnen ist überhaupt nicht bekannt, welche Vorgänge eigentlich zu den Vorwürfen gegen Meinicke-Pusch geführt haben.

Als das Thema im November 1951 schon einmal auf dem Tapet war, hatte Geschäftsordnungs-Ausschuß-Vorsitzender Dr. Paul Rohloff nur summarisch erklärt: »Es handelt sich hier um einen Antrag des Generalstaatsanwalts auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Meinicke-Pusch wegen einer Berufspflichtverletzung.« Und: »Der Ausschuß hat einstimmig beschlossen, dem Landtag vorzuschlagen, die Immunität nicht aufzuheben.« Ohne überhaupt zu wissen, welcher Art denn die Berufspflichtverletzung wohl gewesen sein könnte - die Sitzungen des Ausschusses sind nicht öffentlich - , schloß sich das Plenum des Landtags mit Mehrheit der Ausschußansicht an.*) Auch diese Woche, in der sie noch einmal abstimmen sollen, wissen die

*) Als Meinicke-Puschs Immunität schon einmal aufgehoben werden sollte, weil er einen Autounfall hatte, bei dem sein Mitfahrer Amtsgerichtsrat Wollner tödlich verunglückte, hatte der Geschäftsordnungsausschuß ebenfalls empfohlen, die Immunität nicht aufzuheben. Das Plenum entschied dann aber anders als jetzt und hob die Immunität auf. Abgeordneten noch nichts Genaues über die ganze Geschichte, die sich so verhält:

Die Metallwarenfabrik Schwertfeger & Stumm, 1946 neu gegründet (nachdem sie 1857 bis 1937 schon einmal bestanden hatte), war mit ihrem Zweigbetrieb in Neumünster nach der Währungsreform in Schwierigkeiten gekommen. Es wurde ein Konkursverwalter eingesetzt, der ermittelte: »Ab November-Dezember 1948 stellte dieser Zweigbetrieb seine Zahlungen ein.«

Die Gläubiger waren drauf und dran, sich an die Sachwerte eines der beiden Gesellschafter, des Richard Rückert, heute Hamburg-Volksdorf, Heinrich-Göbel-Straße 16, zu halten, da mußten sie auf einmal feststellen, daß dieser Rückert sich durch einen Auseinandersetzungsvertrag, der vom 28. Juni 1948 datiert war, abgesetzt hatte.

Er hatte das gegen Zahlung von 38 000 DM an ihn auszuzahlen in nicht pfändbarer Höhe von monatlichen Raten zu je DM 150,-, getan. Mit Gegenklausel: Rückert kann in die Gesellschaft jederzeit zurückkehren, wobei dann der restliche an ihn noch nicht ausgezahlte Betrag als Einlage gelten sollte.

Die Richter der zweiten Strafkammer des Landgerichts Kiel sahen das als Betrug an. Sie stellten fest: dieser vom 28. Juni 1948 datierte Vertrag war in Wirklichkeit erst am Heiligabend 1948 abgeschlossen und dann rückdatiert worden, um, wie der Konkursverwalter formuliert, »den Anschein zu erwecken, daß Rückert bereits vor Beginn der Zahlungsunfähigkeit (der Firma) ausgeschieden sei.«

Aus den Aussagen und dem Urteil ergibt sich: Rechtsanwalt und Notar Dr. Meinicke-Pusch hatte den betrügerischen Vertrag aufgesetzt. Darin wird die »Beihilfe« erblickt. Rückert bekam ein Jahr Gefängnis und DM 500, - Geldstrafe, der andere Teilhaber sechs Monate Gefängnis - die gerade noch unter die Amnestie fielen.

Meinicke-Pusch, der als Zeuge geladen war, folgte der Vorladung des Gerichts nicht. Er war wenige Monate vorher zum Landtagsabgeordneten gewählt und somit immun geworden.

Der Abgeordnete nennt das, was der Generalstaatsanwalt als »Berufspflichtverletzung« eines Notars, also eines unmittelbaren Staatsbeamten, bezeichnet, »eine Bagatelle« und vertritt den Standpunkt: »Nicht nur politische Dinge, sondern auch Bagatellen sind Gründe, um eine Immunität nicht aufzuheben. In einem Strafverfahren ist ja die Unhaltbarkeit der Anschuldigung bereits erwiesen worden. Mein Mandant wurde freigesprochen.« Was insofern nicht ganz stimmt, als sein Mandant nicht freigesprochen, sondern formal zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde und dann eben nur durch die Amnestie um die Strafe kam.

Ob das nun wirklich »eine Bagatelle« ist, werden Schleswig-Holsteins Abgeordnete diese Woche entscheiden, wobei sie freilich dadurch behindert sind, daß sie diese ganzen Vorgänge nicht kennen.

Meint Schleswig-Holsteins amtsenthobener Wirtschaftsminister Dr. Hermann Andersen: »Die FDP ist der Ansicht, daß die Immunität der Landtagsabgeordneten nur dann nicht aufzuheben ist, wenn politische Dinge vorliegen. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß sich ein Abgeordneter bei privaten Strafverfahren hinter seiner Immunität verschanzt.«

[Grafiktext]

Welche Partei steht Ihren
Ansichten am nächsten?

fragte das Institut für Demoskopie
einen repräsentativen
Querschnitt der Bevölkerung
im Bundesgebiet
und in Westberlin. Von den
Befragten antworteten:

[GrafiktextEnde]

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