Japan Nur Gewehre
Die Gier nach blauem Dunst wurde Hiroko Nagata, 27, und drei Kommilitonen zum Verhängnis: Als die vier Mitglieder der linksradikalen »Vereinigten Roten Armee« Zigaretten, Streichhölzer und Zeitungen kauften, rief die Krämersfrau wenig später die Polizei. Die ungewaschenen Kunden waren ihr verdächtig erschienen.
Fast 1500 Polizisten, darunter sieben Scharfschützen, belagerten daraufhin zehn Tage lang die Bergvilla eines Musikalienfabrikanten im Kurort Karuizawa nordwestlich von Tokio: Fünf Studenten der japanischen Baader-Meinhof-Version hatten sich dort -- mit der Hausmeisterin Yasuko Muta als Geisel -- auf der Flucht vor einer Großfahndungsaktion der Polizei nach linksradikalen Studenten verbarrikadiert.
Erst als die Polizei mit einem Kran das halbe Haus zertrümmert hatte, ergaben sich die Studenten. Ihre Geisel lebte, doch ein Restaurantbesitzer, der sich als Austauschgeisel angeboten hatte, und zwei Polizisten waren im Feuer der Rotarmisten gestorben. Der Vater des Studenten Kunio Bando erhängte sich.
Die Bergjagd nach den roten Revolutionären, an der insgesamt 5000 Polizisten teilnahmen, führte bisher zur Festnahme von neun führenden Mitgliedern der linksradikalen Studenten. Die nationale Großfahndung geht noch weiter; denn in den Bergen um die vornehmen Villenkurorte der Tokioter Prominenz und ausländischer Diplomaten vermuten die Polizisten Verstecke, Waffen und Vorräte der Aktionisten.
Bisher entdeckten Sonderkommandos der Polizei eine Bombenfabrik, Sprengkörper und Funkgeräte, Nahrungsvorräte und Dosen mit Milchpulver -- das Baby des inzwischen festgenommenen Fraktionsführers Tsuneo Mori ist zehn Wochen alt.
Die Mitglieder der »Vereinigten Roten Armee, haben der japanischen Gesellschaft den offenen Kampf angesagt. Ihr Motto frei nach Mao: »Nur Gewehre können die Welt verändern.«
Die Eskalation zur Gewalt vereinigte die beiden militantesten Gruppen in einer Studentenschaft, die schon vor Berkeley und Berlin und dem Pariser Mai gegen die Regierungspolitik auf die Straße gezogen war: die »Rote Armee« (sie erregte 1970 weltweites Aufsehen, als sie eine japanische Linienmaschine nach Nordkorea entführte) und die »Keihin Ampo Kyoto« (sie demonstrierte vor allem gegen den amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag). Beide Gruppen studierten gemeinsam Maos Guerilla-Taktik und entwarfen Putschpläne, für die sie freilich keine Massen begeistern konnten -- auch nicht die Kommunisten, von denen sie sich vor Jahren abgespalten hatten.
Die Studenten lieferten der Polizei blutige Straßenschlachten, als sich letzten September Bauern gegen die Enteignung ihrer Felder für den Bau des neuen Tokioter Flughafens Narita wehrten. Sie demonstrierten gegen die Ratifizierung der Okinawa-Verträge und warfen dabei Molotow-Cocktails auf Polizisten. Die studentischen Rotarmisten stahlen ihren Eltern Geld für ihre Organisation, brachen in Banken
* Mit einer Stahlkugel (Kreis) am Kran zerstört die Polizei die Fluchtvilla, in der sich Studenten verbarrikadiert haben.
ein, entwendeten Waffen und schickten eine Bombe an den Chef der japanischen Polizei.
»Die Geheimpläne der Radikalen können jeden Augenblick realisiert werden«, warnte Polizeisprecher Shingoro Adachi. Nach diesen Plänen sollten Politiker, Diplomaten und reiche Geschäftsleute entführt werden.
»Geistig sind sie überzeugte Revolutionäre«, urteilte ein Polizist über die Radikalen. »Doch ihnen fehlen die Mittel für ihre Organisation. Kidnapping wäre für sie der schnellste und einfachste Weg, um Geld zu bekommen und das Establishment zu beunruhigen.«
Die Razzia und die Gefangennahme der Rotarmisten versetzten den linksextremistischen Studentengruppen einen schweren Schlag -- zumal sich die Belagerten am Ende widerstandslos unter Bettdecken hervorzerren ließen.
Schon 1969 hatte der rechtsradikale Harakiri-Schriftsteller Mishima die linken Studenten geschmäht: »Ihr habt zwar groß geredet, habt Steine und Benzinflaschen geworfen, aber ihr habt eure Barrikaden geräumt, ohne daß ein einziger von euch sein Leben gelassen hätte. Sind eure Ideen euch nicht mehr wert?«