SCHULEN Nur Nothelfer
Dem Hamburger Schulsenator Joist Grolle (SPD) ist etwas eingefallen, was ihm so »großartig« vorkommt, daß er sich »wundern muß, daß da nicht jemand vorher drauf gekommen ist«.
Doch so originell, wie der sozialdemokratische Bildungsexperte vorgibt, ist der Einfall nun auch wieder nicht, er hat »nur eine Nothelferfunktion« (Senat): Wer seine Schulpflicht erfüllt hat, aber
keine Lehrstelle findet, soll künftig weiter zur Schule gehen - ein 10. Jahr in einer allgemeinbildenden oder beruflichen Vollzeitschule, gegebenenfalls auch noch ein 11. Jahr in einer berufsbildenden Schule anhängen.
Grolles Programm, für das der Hamburger Senat 2,7 Millionen Mark ausgeben will, ist vornehmlich für jene gedacht, die bisher einmal in der Woche in sogenannten JoA-Klassen (Jugendliche ohne Ausbildungsplatz) unterrichtet werden und anschließend dennoch ohne Job dastehen. Es sind Jugendliche, die meist lustlos und auch nur sporadisch zum Berufsschulunterricht kommen, die nach drei Jahren ohne besondere berufliche Fertigkeiten entlassen werden, mit einer Zukunftsperspektive, die sie von vornherein zu Außenseitern macht.
Grolle hofft auf einen massiven Motivationsschub bei den »Durchhängern«, weil sie die um zwei Jahre verlängerte Schulpflicht sinnvoll nutzen können. Ausgebildet wird »werkstatt- und praxisorientiert« in modern ausgestatteten Gewerbeschulen, mehr Betrieb als Schule. Eine zusätzliche Attraktivität versprechen sich die Hamburger von der Ausbildungsvergütung, die sie an lehrstellenlose Schüler zahlen wollen, monatlich rund 200 Mark.
»Ohne Kohle«, hat der Senatsbevollmächtigte für den Ausbildungsmarkt, Ex-Senator Günter Apel, von Jugendlichen immer wieder gehört, sei eben »nichts los«. Die Schüler meiden die Programme der beruflichen Schulen, weil sie schulmüde sind und keinen Pfennig Geld bekommen. »Drei, vier Jugendliche müssen wir anschreiben«, klagt Horst Backes, kommissarischer Leiter der Hamburger Berufsberatung, »damit wenigstens einer kommt.«
Das soll nun anders werden. Die Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz erhalten einen Ausbildungsvertrag, eine Ausbildungsvergütung und nach weiterem zweijährigen Besuch der »Fachstufe« genannten überbetrieblichen Werkstätten, einen Gehilfen- oder Gesellenbrief, sofern sie sich erfolgreich den Prüfungskommissionen der Handels- oder Handwerkskammer gestellt haben. Rund tausend Schüler, schätzt Grolle, könnten pro Jahr untergebracht werden. »Wir verhindern damit«, hofft der Senator, »daß sie als lebenslange Arbeitslose herumlaufen.«
Dauerarbeitsplätze werden allerdings auch künftig schwer zu finden sein. Mit der Rationalisierungswelle in Büros, auf dem Bau oder im Hafenbetrieb sind die Jobs für Jungarbeiter rar geworden. Wurden vor zehn Jahren ungelernte Kräfte noch vom Bosporus herangekarrt, nimmt derzeit besonders die Arbeitslosigkeit der Hilfsarbeiter überproportional zu. »Die Arbeitslosen«, so Backes, »kommen in der Regel aus ungelernten und angelernten Berufen.«
Zwar werben die Hamburger mit dem staatlich garantierten Ausbildungsplatz und einem von den Kammern anerkannten Abschluß. Aber eine Garantie auf Festanstellung nach der Berufsausbildung liefert der Senat nicht, trotz Gesellenbrief und Arbeitstugenden wie Disziplin, Fleiß und Durchhaltevermögen. »Die vernünftigste Alternative«, darin sind sich Arbeitsamt, Schulbehörde und der Senatsbeauftragte einig, »ist und bleibt die betriebliche Ausbildung« (Apel) - da gibt es nach wie vor die größte Chance auf Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis nach der Lehre.
Allein im Vorjahr blieben in Hamburg rund 2500 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz, in diesem Jahr werden es kaum weniger sein. Auch deshalb plant Hamburgs Regierungschef Klaus von Dohnanyi, »die JoA-Klassen in den nächsten Jahren so zu reduzieren, daß ab 1987 kein Jugendlicher mehr in eine JoA-Klasse eintreten muß« - der geht dafür ins neue Pflichtschuljahr.
Mit Skepsis sehen freilich die Handels- und Handwerkskammern die Senatsaktivitäten. Sie fürchten um das »duale System von Lehrlingsausbildung in Betrieb und Schule«. Doch Grolle beruhigt: »Ich bin ein dezidierter Anhänger des dualen Ausbildungssystems.« Wenn die Notsituation mit den geburtenstarken Jahrgängen durchgestanden sei, soll das Bildungsprogramm wieder gestoppt werden. »Der Staat soll nicht Dinge machen, die die Wirtschaft besser kann.«
Für eine andere bedrängte Gruppe, in der die Zahl der Beschäftigungslosen steigt, gibt es ohnehin keine Hoffnung. Zusätzliche Lehrer werden für die verlängerte Schulpflichtzeit nicht eingestellt.