ITALIEN / RECHTSRADIKALE Nur Stilübungen
In der römischen Turnhalle »Folgore« -- zu deutsch: Blitz -- warteten ein paar hundert alte Kämpfer auf das Signal zur Machtergreifung. Doch sie warteten vergebens -- und trösteten sich schließlich bei einer »spaghettata«, einem gemeinsamen Spaghetti-Schmaus.
Die Blitz-Halle war ein Versammlungsort der ultra-rechten »Nationalen Front«. Von hier und zwei anderen Bastionen aus -- so ermittelte die Polizei -- wollten in der Nacht zum 8. Dezember 1970 etwa 1000 »Front«-Männer abmarschieren; sie wollten das Innenministerium besetzen und die Regierung stürzen.
Um keinen Verdacht zu erregen, hatte die Nationale Front das Treffen im Turnsaal als » Filmabend« getarnt. Tatsächlich sahen sich die Putschisten zunächst den von der US-Botschaft ausgeliehenen antikommunistischen Streifen »Berlin, Drama eines Volkes« an. Anschließend sollte das Polit-Drama in Rom beginnen.
Doch nach stundenlangem Warten auf den Einsatzbefehl kam überraschend die Gegenorder: Fürst Junio Valerio Borghese, 64, Mussolini-Fan und Chef der Nationalen Front, blies die Aktion »wegen unvorhergesehener Schwierigkeiten« ab. Mehrere enttäuschte Verschwörer pfiffen ihren Führer aus. Dann kochten sie ihre mitgebrachten Spaghetti.
Bald kam die Polizei dem mißglückten Komplott auf die Spur. Noch im Dezember 1970 begannen Untersuchungen. Erst am vorletzten Mittwoch jedoch sickerten Details an die Presse durch: Die kommunistische Nachmittagszeitung »Paese Sera« schockte Ita-
* Während des Zweiten Weltkriegs.
lien mit der Balkenüberschrift »Verschwörung der extremen Rechten gegen den demokratischen Staat«. Und am gleichen Abend warf auch Innenminister Restivo im Senat der reaktionären Apo Umsturzpläne vor.
Christdemokrat Restivo verwies auf 33 Haus-Durchsuchungen bei Rechtsradikalen und auf die Entdeckung von elf Kilo Sprengstoff im Landhaus eines Verdächtigen. Binnen kurzem schwirrte Rom von Gerüchten. Die Gazetten mutmaßten« mit Blick auf die antidemokratische Clique des »schwarzen Fürsten« Borghese: »Gibt es Kontakte zu den griechischen Obristen und zum (US-Geheimdienst) CIA?« Verschreckte Römer wähnten einen Militärputsch nahe und dachten beim Geräusch schwerer Lastwagen bereits an auffahrende Panzer.
Zwar beschwichtigten Sozialisten wie der Schriftsteller Ignazio Silone ihre Landsleute, in Wahrheit bestehe »nicht einmal der Schatten einer faschistischen Gefahr«. Und die Turiner »Stampa« versicherte: »Italien ist ja keine Bananenrepublik.«
Gleichwohl: Der vereitelte Putsch-Versuch verunsicherte das Land -- und dies um so mehr, als die »Arterienverkalkung der Parteien« (Silone) und die Schwäche der Regierung ohnedies seit Jahren ein Machtvakuum erkennen ließen, das antidemokratischen Kräften nützt.
Italiens Polizei nahm bei der Putschisten-Jagd zwar mehrere Gefolgsleute Borgheses fest -- der Fürst selbst jedoch konnte fliehen. In einem Brief an seinen Rechtsanwalt nannte er den Komplott-Vorwurf »lächerlich«. Die angeblich belastenden Schriftstücke, die man in seinen Papieren gefunden hatte, seien nur »Stilübungen, mit denen man keinen Staatsstreich macht«.
Daß Borghese nichts lieber sähe als den Sturz der parlamentarischen Demokratie, steht freilich außer Frage. Der Grundbesitzer -- Angehöriger einer Familie, die einen Papst, drei Kardinäle und eine Schwester Napoleons in ihrem Stammbaum führt -- hat seine faschistische Gesinnung nie verhehlt.
Der hochdekorierte Ex-Froschmann und U-Boot-Kommandant lehnte den Waffenstillstand von 1943 ab und bekannte sich weiterhin zum Duce. Die bedrängten Faschisten setzten seinen Verband, die »Decima Mas« daraufhin gegen Partisanen ein. Dabei erlangte Borgheses Truppe -- Symbol: ein Totenkopf mit einer Rose -- wegen ihrer Brutalität traurige Berühmtheit.
Nach dem Krieg saß der Nazi-Kollaborateur zeitweise im Gefängnis, wurde 1949 jedoch begnadigt. Jahrelang führte er Italiens neofaschistische Partei, verkrachte sich dann aber mit ihr, weil sie ihm zu schlapp und parlamentarisch erschien.
Borgheses Nationale Front (Mitgliederzahl: angeblich 5000) agiert rechts von den Neofaschisten. Sie kämpft lautstark »gegen das Italien der Demokratie und der Drogen« -- seit kurzem allerdings ohne ihren (flüchtigen) Chef.