WOHNUNGSBAU Nur zum Ansehen
Den ganzen Winter über mußte ein städtischer Heizer die Radiatoren der Etagenheizungen von neunzehn neuen Ein- und Zweifamilienhäusern im Kasernenviertel der Niedersachsen-Stadt Hameln unter Dampf halten. Sie wurden warm und kühlten sich wieder ab, und keine Hand drehte an den blinkenden Chromhähnen, um Badewasser abzuzapfen.
Es war alles wie nur zum Ansehen gemacht - die 89 Zimmer, die blitzblanken Küchen, die gekachelten Bäder, die WCs und die Garagenboxen. Der städtische Gaskoks verbrannte, ohne einen Menschen außer den pflichteifrigen Heizer zu erwärmen. Am wenigsten die Stadtväter im Rathaus, die mit der Unterbringung der Flüchtlinge große Sorgen haben. Die 19 Häuser stehen seit ihrer Fertigstellung am 1. September 1949 bis auf den heutigen Tag unbenutzt.
Sie gehören zur eisernen Wohnungsreserve der Besatzung, die im vergangenen Jahr den Bau dieser Häuser verfügte. Damit die Quartierabteilung im Bedarfsfall nicht noch fünf Jahre nach Kriegsschluß weitere Hamelner Bürgerfamilien exmittieren muß. Wohnungsbeschlagnahme machte böses Blut.
Also ließ sich die Hamelner Besatzung eine eigene kleine Siedlung auf Besatzungskosten bauen. DenSchrebergärtnern im ehemaligen Exerziergelände der 74er Grenadiere blieb keine andere Wahl, als ihre Parzellen an die mit dem Bau beauftragte Wohnungsbaugesellschaft zu verkaufen. Sonst hätte Enteignung gedroht.
Die Handwerker erfüllten ihr Soll vorfristig. Noch vor dem geforderten Termin flatterten über dem Gebälk die Richtkronen. Die prompte Bezahlung hatte Eifer gemacht. Weniger erfreut waren die Ausquartierten der nach 45 beschlagnahmten Häuser, als sie im Laufe der nächsten Wochen und Monate ihre Hoffnung auf Rückkehr in ihre alten Wohnungen schwinden sahen. Der erwartete Austausch war eine Seifenblase
Wie Modelle einer großen Siedlungsgesellschaft stehen die neuen Häuser jetzt in der Landschaft. Stadtgärtner vervollständigen den Luxus mit Rabatten und Grünflächen, während die Stadtväter an einem bescheidenen Sanierungsplan knobeln, um mit dem öffentlichen Wohnungsbau zu beginnen. Das Wohnungsamt muß kinderreiche Familienväter vorläufig auf kommende Instandsetzungserfolge vertrösten. Die jahrelang Wartenden möchten sich am liebsten draußen mit den leerstehenden Häusern im Kasernenviertel selber trösten. Wenn das ginge ...
Vorsichtige Anfragen bei den zuständigen Besatzungsstellen. Betretenes Schweigen ist auch eine Antwort. Darauf erneuter Vorstoß aus dem Rathaus: Können die unbewohnten Reservehäuser nicht doch mit den 100 Meter entfernt liegenden beschlagnahmten deutschen Privathäusern ausgetauscht werden? Das brächte nur neuen Verdruß, sagte die Kaserne. Zum großen Teil sind die von den britischen Dienstgraden und ihren Familien benutzten Wohnungen bei der Beschlagnahme gleich mit Möbeln und Hausrat übernommen worden. Was würden die ausquartierten Besitzer sagen, wenn die Quartiernehmer mit diesem ganzen Inventar Wohnungswechsel machten? Ein Umzug wäre erst dann diskutabel, wenn das sogenannte Housing-Programm abgeschlossen sei. Das beschafft den Besatzungsfamilien die notwendigen Möbel aus neuer Produktion.
Versöhnlich kam nach langen Verhandlungen der Kompromiß: Die neuen leeren Wohnungen können von Deutschen bezogen werden. Unter dem Vorbehalt kurzfristiger Räumung binnen 24 Stunden, sobald weitere britische Truppenteile nach Hameln verlegt werden. Ueber diese Brücke wollen die Hamelner Wohnungsbedürftigen nicht gehen. Sie fürchten trotz Housing-Programm üble Ueberraschungen.
Diese Klausel verdarb auch der niedersächsischen Landesregierung ihr soziales Konzept. Sie hatte in Anbetracht der vielen Flüchtlinge fürsorglich angeordnet, daß bei einer möglichen Freigabe »nur Staatsbeamte für diese Wohnungen vorzusehen sind«.
Nach dieser Enttäuschung rührt jetzt nur noch die Hamelner Zweigstelle der »Interessengemeinschaft der Beschlagnahmegeschädigten« an den Reserve-Wohnungen. Das tut diese Gemeinschaft fast überall, wo ebenfalls beschlagnahmte Häuser leer stehen.
Die aktivsten Gemeinschaftler fuhren nach Bonn, und Kanzler Adenauer versprach auf ihr Drängen, eine »Oberbehörde einzurichen, die sich mit allen Fragen des Besatzungsrechts beschäftigen wird«. Von dieser Oberbehörde erwarten die Hamelner nun einen salomonischen Beschluß in Sachen Reservehäuser.