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»Nutten und Bastarde erschlagen wir«

In Westdeutschland machen Gewalttäter mobil gegen Ausländer
aus DER SPIEGEL 27/1982

Was ist der Unterschied zwischen einem Türken und einer durchgezogenen Linie?« zitierte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« jüngst einen der in Westdeutschland zu Hunderten grassierenden Türkenwitze. Antwort: »Die durchgezogene Linie darf nicht überfahren werden.«

Derlei als schwarzer Humor kaschierte Aufforderungen zu Mord und Totschlag sind Symptome einer Stimmung, deren Folgen in Westdeutschland lebende Ausländer seit Monaten verstärkt zu spüren bekommen. Brutale Gewalt gegen Fremde wird von Rechtsradikalen nicht nur »zunehmend befürwortet«, wie Bundesinnenminister Baum feststellt, sondern auch angewandt.

Schlagzeilen machen Fälle wie der Nürnberger Dreifach-Mord oder die Brand- und Bombenanschläge der »Deutschen Aktionsgruppen« um Manfred Roeder, dessen Anhänger Sybille Vorderbrügge und Raymund Hörnle wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs an Asylbewerbern (Roeder: »Halbaffen") jüngst zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt wurden; Roeder kam mit 13 Jahren Haft davon.

Solche spektakulären Ereignisse freilich verstellen den Blick auf die rapide zunehmende alltägliche Gewaltanwendung und -androhung gegenüber Ausländern. Während Fremdenhaß sich noch im vergangenen Jahr vor allem in Parolengeschmier und Pöbeleien manifestierte, wird nun immer häufiger rabiat zugeschlagen, spontan gestochen und auch schon mal geschossen, keineswegs nur von organisierten Neonazis.

In Berlin verurteilte im Mai ein Schöffengericht zwei Arbeiter zu sechs und acht Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung, die in der U-Bahn einen Türken beschimpft ("Früher hat man so was vergast") und zusammengeschlagen hatten. In Frankfurt stürmten rund 250 Fußballfans mit »Kanaker raus«-Rufen die Mai-Kundgebung des DGB und zettelten Prügeleien mit ausländischen Arbeitnehmern an. Im Stadtteil Preungesheim sperrte ein Bundesdeutscher, weil »das Dreckvolk raus muß«, ein dreijähriges Türkenmädchen in einen Müllcontainer.

Als »Ausländerschwein, das nach Dachau gehört«, beschimpften zwei Münchner einen türkischen Jugendlichen, dem sie einen abgebrochenen Flaschenhals in die Kehle stießen; ein Münchner Schwurgericht verurteilte die beiden im März zu acht und drei Jahren Gefängnis.

Ein halbes Jahr auf Bewährung erhielt, am selben Tag, ein Münchner Feinmechaniker, der, ohne provoziert worden zu sein, einem Türken ins Gesicht geschlagen hatte: »Schmutziger Ausländer, du nimmst uns die Arbeit weg.« Im niedersächsischen Garbsen erstach Mitte Mai ein 49jähriger Mann seinen indischen Nachbarn, weil das »Kanakerpack« einen Kinderwagen im Kellergang abgestellt hatte.

Im nordrhein-westfälischen Witten warfen Unbekannte die Scheiben von drei türkischen Lebensmittelläden ein. Schüsse ließen ein Fenster des »Türkischen Arbeiter- und Jugendvereins Witten« zersplittern, ebenso die Scheiben des »Jugoslawischen Bürgervereins«. An Wittener Wänden steht: »Die Juden haben es hinter sich, die Türken noch vor sich.«

Im Raum Stuttgart bedroht seit Jahresbeginn eine »Aktionsgruppe Albert Leo Schlageter«, benannt nach einem Freikorpskämpfer, der während der Ruhrkrise 1923 von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt wurde, zahlreiche Firmen: Brauereien sollen keine Gaststätten an ausländische Wirte vermieten, andere Firmen ausländische Arbeiter entlassen. Polizei und Staatsanwaltschaft nehmen die Drohungen »äußerst ernst«.

In Hamburg werden türkische Lehrer durch Telephonanrufe und Briefe terrorisiert: »Rassenschänder, Nutten und Bastarde erschlagen wir.« Bei Worten bleibt es nicht. Als vorletzte Woche ein Türke seinen Wagen an einer Ampel im Hamburger Stadtteil Hamm stoppte, stürmten mehrere Deutsche das Auto, schrien »Kanaker-Schwein« und schlugen den Fahrer zusammen.

Unter den Tätern waren Anhänger einer Jugendbande namens »Savage Army«, die zur Neonazi-Szene um den Rechtsradikalen Michael Kühnen, 27, zählt, der zur Zeit wegen mehrerer Überfälle eine vierjährige Freiheitsstrafe verbüßt.

Wie schnell Fremdenhaß zu Mord und Totschlag führen kann, hatte sich bereits in der Neujahrsnacht 1981 gezeigt, als eine rechtsradikale Motorrad-Bande mit dem Namen »Stander Greif« im Kreis Ludwigsburg den Türken Sydi Battal Koparan, 44, erschlug. Er hatte auf der Suche nach seinem Sohn das Stammlokal der Ledermänner betreten. Nach der Tat zog der Trupp, gegen den noch ermittelt wird, grölend durch den Ort: »Wo wohnen hier noch Scheißtürken?«

Vor einer Diskothek im holsteinischen Norderstedt schlugen letzten Monat mehrere Deutsche, »Ausländer raus« schreiend, den Türken Tevik Gürel, 26, tot. Grund: Gürel hatte, so ein Zeuge, vor dem Eingang der Disko ein deutsches Mädchen, das nichts dagegen einzuwenden hatte, »umgefaßt«.

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