HESSEN Oase Frankfurt
Der Minister schien nicht gerade bester Stimmung. Die letzten Urlaubstage in Österreich waren Karlheinz Weimar (CDU) vermiest worden durch ständige Anrufe aus Wiesbaden. Und kaum aus der Sommerfrische zurückgekehrt, musste der hessische Finanzminister ein Verhör im Haushaltsauschuss des Landtages über sich ergehen lassen.
Leicht verspätet und sichtbar genervt erschien Weimar am Morgen des 20. August im Raum 119 M des Wiesbadener Schlosses. Die außerplanmäßige Sitzung war von den Oppositionsparteien Grüne und SPD anberaumt worden, nachdem der SPIEGEL (33/2003) beschrieben hatte, wie die hessische Finanzverwaltung Steuerfahnder bei der Aufklärung von Schwarzgeld-Deals im Ausland ausgebremst und so Millionen verschleudert hatte. Für die Opposition ein glatter Versuch, reiche Steuerhinterzieher durch »die Hintertür« zu amnestieren.
Die Vorwürfe seien »dummes Zeug«, polterte der Minister vor den Abgeordneten. Alles, beteuerte Weimar, sei korrekt gelaufen. Doch inzwischen ist klar, dass die Affäre damit für ihn gefährlich werden kann. Denn der Minister hat dem Parlament offenbar die Unwahrheit gesagt.
Stein des Anstoßes ist eine Verfügung mit der Registriernummer 2001/18, die Jürgen Schneider-Ludorff, Chef des Finanzamtes Frankfurt V, am 30. August 2001 erließ. In dem Papier, das Beamte unter größter Geheimhaltung bekamen, wurde festgelegt, dass die Steuerfahnder künftig nur noch Fällen nachgehen dürften, bei denen anonym mehr als eine Million Mark auf Auslandskonten transferiert wurden.
Der Erlass hatte Ermittler auf die Zinne getrieben, weil Steuerflüchtlinge ihre Schwarzgelder fast immer in kleine Tranchen stückeln und dann erst auf verschiedene Auslandskonten verschieben. Doch Weimar verteidigte den Erlass als notwendige Maßnahme, um »die Steuerfahnder zu entlasten«. Außerdem, so versicherte der Minister dem Ausschuss, seien alle Fälle »auch strafrechtlich verfolgt worden«. Weimar wörtlich: »Kein Verfahren wurde ohne entsprechende Sichtung abgeschlossen.« Die Steuerfahndung sei immer einbezogen gewesen. So jedenfalls hätten ihm das seine Mitarbeiter mitgeteilt, und er habe »keinen Anlass, daran zu zweifeln«.
Doch Zweifel wären angebracht gewesen. Denn interne Unterlagen der hessischen Finanzverwaltung belegen das genaue Gegenteil: In einer ganzen Reihe von Fällen wurden Steuerstrafverfahren nach dem Erlass vom August 2001 gar nicht erst eingeleitet, obwohl Steuerfahnder einen hinreichenden Anfangsverdacht bejaht und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens befürwortet hatten. »Im ganzen Bundesgebiet wird schon gelästert über die Steueroase Frankfurt«, sagt Dieter Ondracek, Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft.
Nicht erwähnt hat Weimar beispielsweise einen Fall, den die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Frankfurt V bearbeitet hatte. Bei den Ermittlungen gegen Kunden der Dresdner Bank waren die Fahnder auf eine Frau aus dem Taunus gestoßen. Per Scheck hatte sie von der Genfer Filiale der Dresdner Bank (Schweiz) 400 000 Mark bekommen - für die Fahnder »ein Rücktransfer«, der vor der Steuer verschwiegen wurde. Nach weiteren Recherchen waren sich die Beamten sicher, einer Steuerhinterziehung auf der Spur zu sein. In einem Vermerk im Januar 2002 hielten sie ihren Anfangsverdacht fest. Der zuständige Sachgebietsleiter stimmte der Bewertung zu.
Aber ein knappes halbes Jahr später wurde der Fall geräuschlos erledigt: »Unter Berücksichtigung der in der Amtsverfügung 2001/18 festgehaltenen Kriterien«, dekretierte die Finanzverwaltung, werde ein strafrechtlicher Anfangsverdacht verneint. Das zuständige Finanzamt sollte nun lediglich die Steuersünderin »zur Nacherklärung der ausländischen Kapitaleinkünfte« auffordern. Die Frau bestritt jedoch kühl, überhaupt in der Schweiz Geld gehabt zu haben.
Ungeschoren kam dank der Verfügung 2001/18 auch ein Mitarbeiter der Dresdner Bank davon, der ausländische Wertpapiere für 175 000 Mark auf ein Konto der Zürcher Filiale der Dresdner Bank (Schweiz) transferiert hatte. Obwohl die Steuerfahnder einen hinreichenden Anfangsverdacht in einem Aktenvermerk festhielten, stoppte die Finanzverwaltung auch dieses Mal die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen.
Dass es in vielen Verfahren genau so laufen würde, hatten leitende Steuerfahnder schon befürchtet, als Weimars Mannen die kalte Amnestie in aller Stille beschlossen hatten. Dabei war es gerade die Aufklärung von Schwarzgeld-Transfers unter einer Million Mark, die dem Fiskus in den Jahren zuvor satte Einnahmen verschafft hatte. So wurde etwa im Verfahren gegen Anleger der Commerzbank in einem Fall ein anonymer Geldtransfer von gerade mal 30 000 Mark entdeckt. Aber: Das war der erste Hinweis auf größere Transaktionen. Am Ende des Verfahrens musste der überführte Anleger über 340 000 Mark an hinterzogenen Steuern nachzahlen.
Mit solchen Erfolgen schmückte sich auch Finanzminister Weimar vor dem Ausschuss. Schließlich sind durch die Verfahren gegen Banken, die ihren Kunden beim Transfer geholfen hatten, bis 2002 allein in Hessen 595 Millionen Euro Steuernachzahlungen zusammengekommen.
Was der Minister freilich verschwieg: Seit der Knebelung der Steuerfahnder durch die Verfügung 2001/18 waren es nach internen Berechnungen des Frankfurter Finanzamtes V gerade mal noch 13,8 Millionen Euro. FELIX KURZ, ANDREAS WASSERMANN