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»Öffnen Sie die Schnüffelklappe«

Treibstoffmangel brachte im Zweiten Weltkrieg und in den ersten Jahren danach Tausende deutscher Kraftfahrer dazu, ihre Kraftwagen auf Generatorgas-Betrieb, meist Holzvergaser, umzurüsten. Der Brennstoff kokelte in riesigen Behältern, die seitlich oder im Kofferraum montiert waren. SPIEGEL-Mitarbeiter Dieter Korp beschreibt die Tücken einer Fahrt mit dem Holzvergaser-Auto:
aus DER SPIEGEL 52/1973

Der Kraftfahrer betrat das Wirtshaus, auf dem Rücken trug er einen Sack voll Tankholz, bestimmt zur schwelenden Verbrennung unter Luftabschluß. Es wäre leichtfertiger Umgang mit den Schätzen der Natur, die entrindeten Buchenwürfel draußen auf dem Wagen zu lassen -- andere Verschweler hätten sie ohne Wimpernzucken mitgenommen.

Argwöhnisch seine neben der Garderobe abgelegte Tankfüllung im Auge behaltend, bestellte der späte Gast Kartoffelsuppe und Hagebuttentee, das einzige, was ohne Lebensmittelmarken zu haben war. Rußflocken rieselten ihm vom Scheitel. Traurig und begehrlich zugleich musterte er den gut gewachsten Parkett-Boden. Mit diesem Stoff im Tank wäre er weiter gekommen.

Im Morgengrauen hatte der Reisende in Stuttgart seinen 2,3-Liter-Mercedes angekachelt, um nach Karlsruhe zu fahren. Eine um 40 Prozent verringerte Motorkraft und die bescheidene Reichweite von 60 Kilometern -- danach mußte wieder zu Würfeln gesägtes Baumholz in den Gasgenerator nachgelegt werden -- hatten ihn veranlaßt, früh aufzustehen. Nun, bei Pforzheim, stand die Schnüffelklappe still. Was war falsch gelaufen?

Vorschriftsmäßig hatte er die gewachste Lunte angezündet, durchs Zündloch geschoben und die vorsorglich eingelagerte kleine Dosis Holzkohle entflammt. Weil es kalt war, hatte er auch nicht mit petroleumgetränkter Holzwolle gegeizt. Auf fachmännische Weisung hin war er so oft wie möglich über Schlaglöcher und Katzenköpfe gerollt, um seinen Meiler gut durchzurütteln -- denn nur so ließ sich das von allen Generatorgas-Fahrern gefürchtete Hohlbrennen verhindern.

War es ein Fehler gewesen, bei Ostwind auf die Reise zu gehen? Der achterliche Wind trieb unterwegs teerhaltige Schwaden in die Kabine, so. daß der Fahrer die Gas- und Luftmischerklappe nicht mehr bei vollem Bewußtsein regulieren konnte: So nahm auch, wie bei allen Holzvergaser-Fahrern, seine Kleidung jenen Geruch an, der an faule Eier erinnert.

Schon bald tönten aus dem Heck die gefürchteten, unheilkündenden Geräusche: zuerst Zischeln und Muffeln, die Aussetzer, dann ein Gurgeln. Dann nichts mehr.

Der Maschinist hatte guten Gewissens das Seine getan. Er hatte den Fahrfußhebel im Gefälle nur halb durchgetreten, um den Unterdruck nicht im Gleichgewicht zu stören. Vor der Steigung hatte er das Anfachgebläse schnurren lassen, um die Gasproduktion zu aktivieren. Aber trotz Vor- und Feinfilterung, Prallblechen, Asche-, Ruß- und Teerabscheidern, schien eine Gasader versulzt zu sein. War etwa ein Würfel Lärche oder gar Torf in den Kessel geraten und daher der Teer in der Glutzone nicht vercrackt?

Notgedrungen mußte er den Fülldeckel aufschrauben, zum Schürhaken greifen und im »Badeofen« prökeln. Es war nicht sein Verschulden, daß er dabei ein hochgespanntes Gasnest anstach. Die Verpuffung verdunkelte seine Züge. Asche kam über sein Haupt.

Feste Kraftstoffe, so stand geschrieben, machen unabhängig. Was sie mit ihren Benutzern machten, sah jeder selbst. Schon 1938 hatte sich der Kraftverkehr auf den Holzweg begeben. Erst 1950 ließen die Letzten von Buchenscheiten, die sie allerdings durch braune Kohle, Koks und Anthrazit zu strecken wußten.

Holz war leichter abzubauen, die Säge in der Aktentasche genügte. Aber Holz im Auto war nicht leicht zu berechnen. »In diesem Fall«, so verkündete die Betriebsanweisung, »müssen Sie meilern.« Die Prozedur war so beschrieben: »öffnen Sie .die Schnüffelklappe, klemmen Sie ein Stück Holz dazwischen, damit Luft ungehindert eintreten kann. 30-40 Minuten warten. Dann neuen Kraftstoff auffüllen. Deckel schließen und wie gewöhnlich anfachen und starten.« Gleichwohl war der Start mißlungen. Die Anleitung hatte verschwiegen, daß auf einer Steigung nicht gut meilern ist.

Neuerlich angefacht, vom Gefälle beschleunigt, war der Mercedes mühsam weitergeröchelt -- bis die Verschwelung wieder ein vorzeitiges Ende fand. Der Kesselputzer fuhr schließlich mit der Bahn nach Karlsruhe. Für ihn war wieder mal der Ofen aus.

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