1970 Öffnung nach Osten
Die um Beruhigung, die auch hier um Entspannung besorgte, fast mehr dämpfende als dankende Handbewegung Willy Brandts am Fenster des Erfurter Hotels, vor dem DDR-Bürger »Willy, Willy« rufen und die Absperrung durchbrechen -- diese Geste, wahrhaftig kein Triumphator-Winken« und diese Szene verdeutlichen viel vom Hoffnungs- und Befürchtungspotential, vor der Schwierigkeit, aber Notwendigkeit dessen, was als »Neue Ostpolitik« oder »Öffnung nach Osten« das Jahr 1970 wohl nicht nur für die Deutschen markiert. Es ist, von Erfurt und Kassel bis Moskau und Warschau und unumgänglich sogar für jene depravierten Haufen, die gegen ihn zum Mord hetzen, vor allem das Jahr des Außenpolitikers Willy Brandt; eines Politikers, dessen Selbstbeherrschtheit durchlässig geblieben ist für den Ausdruck spontaner Emotion. 1970: Die neue Bonner Ostpolitik tut Schritte zur Entspannung, kaum umkehrbare Schritte; am Ziel ist sie noch nicht. Die großen Konflikte außerhalb Europas dauern an -- trotz Deeskalation in Vietnam, trotz Waffenstillstand am Suez-Kanal und Tod Nassers. Die Konflikte ergreifen neues Gelände und neue Methoden: in Kambodscha und Jordanien, mit Flugzeugpiraterie und Geiselentführung (in Lateinamerika, in Kanada und schließlich auch in Europa, in Spanien). Die ökonomische und soziale Szene der Bundesrepublik wird 1970 von vehementen Preis- und Lohnsteigerungen bewegt. Einer neu sich entfaltenden theoretischen Anfechtung des Privateigentums korrespondieren praktische Aktionen: Studenten und Arbeiter besetzten leerstehende Wohnhäuser. 1970: Die größte Naturkatastrophe des Jahres trifft Ostpakistan: eine Oberschwemmung, in der Hunderttausende umkommen. Der spektakulärste Verkehrsunfall: die Apollo-13-Panne im All. Abseits politischer und sozialer Konflikte, wenn auch nicht abseits von Technik und Okonomie, bröselt die Kunst -- oder was trägsinnig immer noch so genannt wird -- weiter vor sich hin, mal munter, mal weniger. 1970 im übrigen: Maxi.