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Öfter mal was Menschliches

aus DER SPIEGEL 1/1977

Um 15.15 Uhr an Heiligabend, drei Viertelstunden bevor er die DDR verlassen haben mußte, kam Lothar Loewe aus dem Haus Schadowstraße 6, in dem das Ost-Berliner Studio der ARD untergebracht ist, und ging im leise rieselnden Schnee allein auf einen Bummel. Ein Rudel parkender Ost-Berliner Autos setzte sich sogleich in Bewegung -- ihm nach, ihm entgegen. an ihm vorbei.

Loewe ging bloß »um den Block«. Schadowstraße, Clara-Zetkin-Straße, Otto-Grotewohlstraße, ein Stück Unter den Linden, und überlegte sich die Sätze, die er bei Ankunft in West-Berlin vor der Kamera sagen würde, ernste Sätze. Und zwischendurch stellte er sich vor, was seine ständigen Begleiter von der Staatssicherheit jetzt wohl dachten: Will der Loewe womöglich hierbleiben? Sich protestierend vors Brandenburger Tor setzen? Werden wir den am Ende einfangen müssen?

Lothar Loewe beschloß, solchen Zweifeln ein Ende zu machen, als er bemerkte, daß ihm nicht nur, wie üblich, die Stasi motorisiert nachkam, sondern auch einer jener Bewacher zu Fuß, die er (ihrer Stereotypen Synthetik-Bekleidung wegen) »Spezitex-2000-Männer« getauft hat. Loewe machte abrupt kehrt, steuerte den verdutzten Spezitex-Mann an und sagte, man möge unbesorgt sein, er werde um vier Uhr ordnungsgemäß ausreisen, seinetwegen brauche sich niemand nasse Füße zu holen, und »Ihren Kollegen«, die jetzt gewiß auch lieber daheim den Weihnachtsbaum putzen würden, wünsche er trotzdem frohe Feiertage. »Da rang sich der Mann die Worte ab: »Vielen Dank, ich werde es ausrichten.« Und stieg in ein Auto.«

So ist er dann auch wieder -- der schlimme West-Mensch, dem sonst schon eher ein Wort wie »Lümmel«, zwecks Bezeichnung seiner Stasi-Schatten, leicht, allzu leicht wohl, über die Lippen gekommen ist.

Aber böse ist dieser Loewe (Jahrgang 1929) bestimmt nicht, selbst wenn »gut gebrüllt« gelegentlich durchaus die passende Benotung für seine Fernseh-Auftritte gewesen sein mag. Sogar die Härte des Profis verschwimmt, bei näherem Hinsehen, im Blau seines Blicks. Ein hehrer Spruch wie »Furchtlos und treu« ließe sich ebenso angemessen unterbringen über dem namenspendenden Wappentier wie der Schriftzug von Metro-Goldwyn-Mayer. Jenseits des Bildschirms aber hat dieser Fernsehstar eher Ähnlichkeit mit Wum, jenem fröhlichen Frechdachs, dem öfter mal was Menschliches widerfährt, ohne daß es ihm je die Sprache verschlüge: Schlappohr mit Schnauze.

Lothar Loewe sagt »Ich bin ein Reporter« mit der nämlichen Betonung, mit der er (ungeniert von einem bedeutenden Vorredner) »Ich bin ein Berliner« sagt -- und beides ist, sowohl biographisch als auch in der Gewichtung, richtig so.

Sein Verhältnis zur Nachrichtenbeschaffung ist ausgesprochen erotisch. Wo eine Story ist, da muß der Reporter »dranbleiben«, oder »er hat seinen Beruf verfehlt« -- und das gilt, jedenfalls für Lothar Loewe, in Washington wie in Ost-Berlin.

Kommentieren, objektivieren -- das ist wieder was anderes; mindestens erfordert es ein anderes Engagement. Der Kommentator beschreibt die Grenze des Möglichen, der Reporter nickt gegen sie vor.

Das Engagement des DDR-Korrespondenten und Berliners Loewe hat, abgesehen von solcher Berufsauffassung, ganz unvermittelt und geradezu romantisch dem Land und den Leuten gehört. Er war »fasziniert von diesem

* Bei seiner Ankunft in West-Berlin am 24. Dezember

weißen Fleck auf der Landkarte«, so wie die »Arbeiter und Bauern« offenbar fasziniert waren von ihm, weil er wie kaum ein anderer weiße Flecken in ihrer Kenntnis des eigenen Landes bildschirmfüllend zu kolorieren wußte.

Aber »wo ich hingehöre« -- das ist für den Reporter Loewe. anders als für den einen oder anderen Korrespondenten-Kollegen aus der Bundesrepublik, nie auch nur im Ansatz eine Frage gewesen. Bei aller Liebe zu Land und Leuten: »Bürger der DDR möchte ich nie im Leben sein. Dies ist mein Land, aber dies ist nicht mein Staat.« Jene Grenzsituationen, in denen er sich beruflich immerzu bewegt, wie ein Rennfahrer in etwas zu schnell genommenen Kurven -- die sind ihm ideologisch gänzlich fremd.

Dennoch hat er es »nie darauf angelegt, ausgewiesen zu werden«, so provokant seine Selbstdarstellung im politischen Spannungsfeld auch gewirkt haben mag (und gegen Wirkung, vollends gegen persönliche Wirkung, hat er wahrhaftig nichts). Aber daß, sub specie DDR, »der Zahn Loewe raus muß« -- auch das hat er wohl gewußt; spätestens seit dem 27. Oktober.

An diesem Tage wurde dem NDR-Intendanten Martin Neuffer im Ost-Berliner Außenministerium eine lange Liste mit vermeintlichen Verstößen Loewes gegen alle möglichen DDR-Gesetze (geschätztes Strafmaß in summa: 23 Jahre Gefängnis) vorgelesen, verbunden mit der Aufforderung, diesen Korrespondenten abzuberufen. Das unterblieb natürlich, wurde konterkariert mit politischen Protesten. Aber sollte Loewe nun lieber leisetreten? Er tat es nicht, im Gegenteil. Nach Biermanns Ausbürgerung zog er, ungeachtet massiver Stasi-Begleitung, ein hochbrisantes Havemann-Interview an Land.

Während Biermanns Kölner Auftritt von der ARD vier Stunden lang, erklärtermaßen mit »Richtstrahlern« in die DDR, gesendet wurde, ereignete sich in Loewes Ost-Berliner Wohnung ein unaufgeklärter Einbruch. Gestohlen wurde nichts. Aber Loewe stand fortan unter Streß und unter verschärfter Stasi-Observierung. Auch die folgende Meldung der Ost-Berliner Nachrichtenagentur, das gesamte ARD-Büro könnte alsbald geschlossen werden, wirkte, obwohl sie (wiederum nach massiven politischen Protesten Bonns) »Spekulation« blieb, nicht gerade wie ein Nervenberuhigungsmittel.

Den Rest mag man, wie Loewe selber, eine »Verkettung von unglücklichen Umständen« nennen: Hannelore Loewe hatte Ecke Leipziger Straße! Otto-Grotewohlstraße eine Auto-Karambolage, während ihr Mann gerade einen Tagesschau-Bericht über die Vereisung der deutsch-deutschen Beziehungen konzipierte. Loewe eilte, telephonisch alarmiert, zur Unfallstelle, wo er, außer Blechschaden, auch einen Spezitex-2000-Mann vorfand, der

wie aus dem Boden gewachsen -- Hannelore Loewes Führerschein konfisziert, sich aber dennoch nicht ausgewiesen hatte. Und das, so Loewe, »halte ich einfach nicht mehr für einen Zufall«.

Jedenfalls erreichte er seinen »boiling point«, legte sich mit dem Spezitex-Mann an und redete sieh in Rage. Den fälligen Tagesschau-Bericht hätte er natürlich absagen können. Statt dessen reagierte er »wie ein journalistisches Zirkuspferd -- Musik erklingt, du trabst durch die Manege«. Loewe ließ sein Kamerateam kommen und sprach, noch an der Unfallstelle, unter anderem jenen Satz, mit dem dann seine Ausweisung begründet wurde.

Mag sein, er hätte den Satz anderwärts so nicht gesagt. Aber richtig »die Fassung verloren« hat er erst, als er Heiligabend kurz nach vier Uhr in West-Berlin ankam und dort den »Heldenempfang« sah -- ungefähr achtzig Menschen, die in lauten Beifall ausbrachen. ihm auf die Schultern klopften, »als wäre ich aus Sibirien oder aus dem Löwenkäfig rausgekommen. Ich war darauf nicht vorbereitet«. Emotionen übermannten ihn. Die Augen wurden feucht. Ums Haar hätte er seinen »Aufsager« geschmissen. »Einen zweiten Take hätte ich nicht geschafft.«

So ist er dann auch wieder -- der kesse Lothar.

Hermann Schreiber
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