Oelhaltige Akten
Der Aktendiebstahl im Büro des ehemaligen k. und k. Obersten Eduard Keith von Sickle blieb ungeklärt. Auch als Wochen später Auszüge in der Wiener »Volksstimme« und anderen kommunistischen Blättern erschienen, ließ sich ein direkter Zusammenhang nicht feststellen.
Es handelte sich um zwei Berichte über Verhandlungen, die im September 1946 zwischen österreichischen Regierungsvertretern und englischen Oelinteressenten in Wien stattgefunden hatten. Der Oberst, ein gebürtiger Kanadier und Entdecker und Gründer der Zistersdorfer Oelwerke nordöstlich Wien, wandte sich vor allem gegen die Art der Veröffentlichung. Auszüge müßten den falschen Eindruck erwecken, als ob Oesterreich durch eine Intervention des fremden Oelkapitals daran gehindert worden sei, einen günstigen Vertrag mit der Sowjetunion abzuschließen, der Oesterreich 50 Prozent der Besitzrechte an den Zistersdorfer Oelfeldern gewährt hätte.
Das Wiener Handelsministerium äußerte sich im gleichen Sinne. Zwar bestätigte es Verhandlungen über einen Rückkauf der Oelfelder, die mit einer Jahresförderung von einer Million Tonnen den ganzen österreichischen Oelbedarf decken könnten. Aber die russischen Vorschläge habe man ablehnen müssen.
Bei der Gelegenheit machte Heinrich Buchas, Chef der Bergwerksabteilung im Handelsministerium, noch Mitteilungen über den gegenwärtigen Zustand der Oelfelder. Nach dem Abzug eines großen Teils der russischen Truppen hätten 400 österreichische Kommunisten unter Führung russischer Offiziere die Bewachung der Felder übernommen. Mit den Russen seien über 5000 Lastwagen voll Maschinen und Bohrausrüstungen weggebracht worden. Nun sei es kaum noch möglich, die Quellen offen zu halten. Die Anlagen seien »bereits in einem hohen Maße zerstört«.
Noch war diese Diskussion im Gange, als in Wien die Viermächte-Kommission zur Ausarbeitung des österreichischen Staatsvertrages zusammentrat. Ihre Einsetzung war in Moskau beschlossen worden. Auf sie hatten die »Großen Vier« jene Probleme abgewälzt, über die sie sich selbst nicht einigen konnten. Daß darunter an erster Stelle die Frage der deutschen Anlagen in Oesterreich stand, hat inzwischen Englands Außenminister Bevin der Mitwelt mitgeteilt.
Unter diesen sogenannten deutschen Anlagen, auf die Moskau auf Grund des Potsdamer Abkommens Reparationsansprüche erhebt, will Rußland wiederum die Oelfelder an die Spitze gestellt wissen. Sie seien die wichtigsten deutschen Werte, meinte der sowjetische Hauptdelegierte Nikolai Nowikow, einstmals Botschafter Stalins in den USA. Die Vertreter der drei anderen Mächte waren derselben Ansicht. Also wurde der Sachverständigen-Ausschuß, dem es obliegt, die Frage der deutschen Guthaben zu prüfen, angewiesen, das Oelproblem an die Spitze seines Programms zu stellen.
Daß man sich so weit geeinigt hatte, wurde übrigens schon als ein hoffnungsvolles Zeichen gewertet. Tags zuvor war in britischen Delegationskreisen bereits mit dem Beginn eines allgemeinen Kofferpackens gedroht worden.
In diese Wiener Oelgespräche platzten weitere Oelnachrichten aus dem benachbarten Balkan. Nicht von neuen Funden wurde berichtet, sondern von sowjetischen Beteiligungen.
Die erste Meldung kam aus Istanbul. Ursprünglich aber stammte sie aus Bukarest. Sie betraf die rumänischen Oelfelder. Und sie gab bekannt, daß die Russen den Bau einer Oelleitung von Ploesti nach dem rumänisch-bessarabischen Grenzfluß Pruth befohlen hätten. Auf der anderen Seite des Flusses seien Vorbereitungen erkennbar, um die Leitung auch auf russischem Gebiet weiterzuführen.
Die zweite Nachricht war weniger neuartig. Sie bestätigte eigentlich nur einen bestehenden Zustand. Daß nämlich die Russen jetzt völlig die galizischen Oelfelder beherrschten. Ein Sprecher des polnischen Wirtschaftsministeriums wies nochmals auf diese Tatsache hin. Um damit Polens berechtigten Ausgleichs-Anspruch auf die oberschlesischen Kohlenvorkommen noch einmal zu belegen.
Politik der offenen Hand: Nikolai Nowikow