Zur Ausgabe
Artikel 31 / 58

PLASTIK / GIGANTINISMUS Ofensetzender Professor

aus DER SPIEGEL 15/1950

Eine kurze Meldung der österreichischen Austria-Presse-Agentur stieg wie ein Versuchsballon auf: »Salzburger Freunde des Bildhauers Thorak beabsichtigen, alte und neue Werke des Künstlers auszustellen.«

Der Ballon platzte nicht. Aber er wurde in sauerstoffarmer Atmosphäre schlaff und sank zu Boden. Die Presse schwieg die Meldung tot.

In Wien schüttelte man den Kopf: »Was, der Thorak ist wieder da? Der soll ganz ruhig sein. Er kann sich gratulieren, daß er seine Hitler-Millionen in Ruhe genießen darf.«

Hitler-Thorak genießt seine Millionen in der Nähe von Salzburg, unmittelbar an der österreichisch-bayrischen Grenze, eine halbe Wegstunde von Großgmain. Das Haus, in dem er wohnt, sieht aus wie ein Eisenbahnerhäuschen. Es liegt direkt am Grenzbach und ist rosa gestrichen, in der Farbe des billigen Puders der Mondänen vom Land.

Thorak, 62, lebt mit seiner Frau, 36, seinem Sohn, 6 Monate, und einem Jagdhund in einem einzigen Raum von etwa vier mal fünf Meter. Einige wundervolle alte Möbel, Bilder und Schnitzereien, gerettet aus einer besseren Zeit, machen das Zimmer wohnlich.

Thorak zeigt auf einen Holzstall, in dem Möbelpyramiden stehen. Ein Huhn mit barocker Federkrause hockt auf einem gotischen Schrank. »Dort verfault der Rest meines Besitzes, der jämmerliche Rest!« seufzt Thorak.

Der Eingang in das Wohn-Schlaf-Empfangs-Arbeitszimmer führt durch eine Garage, die als Atelier benutzt wird. In die Garage kommt man direkt von der Landstraße. »So sehen meine Millionen aus!« sagt der 62jährige Thorak und zeigt auf die Garage und das 20-Quadratmeter-Zimmer.

Hitler ist mir mehr als zweieinhalb Millionen Mark schuldig geblieben. 1943 wurde mein Atelier in München ausgebombt. Da habe ich ein Schloß in der Nähe von Zell am See gekauft. Einen verfallenen Kasten mit zerfressenen Fußböden. Der Spaß hat mich 650000 Mark gekostet: 50000 Mark Kaufpreis an das Land Salzburg, und 600000 Mark mußte ich hineinstecken. Die sind futsch.

»Das Schloß hat man mir 1946 weggenommen, denn es war jüdischer Besitz. Aber schließlich habe ich es vom Land Salzburg gekauft, das es wieder vom Reich hatte. Und wo sind meine 600000 Mark?

»1946 war ich ein Bettler. Kein Besitz, kein Geld, keinen Verdienst, keine Aufträge. Um nicht zu verhungern mit meiner Familie, habe ich als Ofensetzer gearbeitet. Mit diesen meinen Händen habe ich den Bauern Lehm in ihre schlecht funktionierenden Oefen geschmiert.«

Professor Joseph Thorak, der Bildhauer des Dritten Reiches, wie ihn seine Gegner in Wien nennen, der Ofensetzer der Bauern in der Hungerperiode, zeigt seine Hände: kräftig, fest, die Innenflächen von tausend Linien durchzogen.

Der Kopf Thoraks: groß, mächtig, auf einem gedrungenen Körper sitzend, ein Löwenkopf. Die Haare fallen lang in den Nacken, die Löwenmähne. Einundsechzig Jahre haben ihr Tagebuch und Nachtbuch in das Gesicht geschrieben.

Hinter den Brillengläsern blicken ernste Augen, mißtrauisch, abwägend. Erst nach langem Gespräch werden sie maßvoll freundlicher.

»Man wirft mir den Gigantinismus vor!« meint Thorak. »Ich weiß. Warum aber? Das Reichsautobahndenkmal, das die Amerikaner gesprengt haben, stand in einer heroischen Landschaft, mitten in den Bergen. Es mußte groß sein.

»Und wenn ich auf einen 80 Meter hohen Baukörper eine Figur zu setzen habe, muß sie eben 20 Meter hoch sein. Das entspricht dem rechten Verhältnis. Nur im Atelier sieht das so gigantisch aus.

»Die Amerikaner haben schließlich noch ganz andere Einfälle, denken Sie nur an das Washington-Denkmal, das aus einem Bergprofil ausgehauen wurde. Wenn ich das gemacht hätte!«

Thorak hat eine einzige Hitler-Büste hergestellt. 1936 wurde sie in Basalt gehauen, dem härtesten Material. Ein einziger Abguß wurde davon gemacht, in Bronze, der auf dem Reichssportfeld stand. Hitler war mit der Büste nicht zufrieden.

»Das verstehe ich«, bekräftigte Thorak. »Er hat die mangelnde Aehnlichkeit gerügt. Aber ich bin kein Porträtist. Ich habe sie künstlerisch geformt und die Charaktermerkmale des Kopfes hervorgehoben. Das waren die Kauwerkzeuge. Ich habe Mussolini, Pilsudsky, Hindenburg modelliert, das waren Köpfe! Aber Hitler?«

Die einzige Hitler-Büste Thoraks, sechzig Zentimeter groß, wurde vor drei Jahren in London versteigert. Sie hatte die Auktionsnummer umhängen, und der Auktionator klopfte mit dem Hammer kräftig auf den Basaltkopf, als er sie dem Käufer zuschlug.

»Das habe ich in der Wochenschau gesehen«, erzählt Thorak und blickt versonnen. »Komisches Gefühl, seine Werke so wiederzufinden.«

Als die deutschen Armeen vordrangen, im Jahre 1940, erhielt Thorak den Auftrag, eine Siegesgöttin zu entwerfen. Sie war für das Märzfeld in Nürnberg gedacht. In der Zeit der Sondermeldungen, des »Wir fahren gegen Engelland« und der Millionen versenkter Bruttoregistertonnen arbeitete Thorak an dem Triumphmal des Sieges.

»Da, sehen Sie sich meine Siegesgöttin an, betrachten Sie sie gut!« eifert Thorak. Er reicht das Photo.

Die Göttin hält einen Kranz hoch. Der Kopf ist in Demut gesenkt, als trüge er schwer unter der Last des Sieges. Der Ausdruck des steinernen Gesichts ist verschlossen, herb.

»Und wo ist das Hakenkreuz?« bohrt Thorak. »Wo? Sehen Sie nicht, daß der Kranz geradezu nach einem Ornament schreit? Und wo ist der Triumph, wo die Fackel, wo?

»Wieso hat der Hitler-Thorak der Siegesgöttin 1940 kein Hakenkreuz spendiert? Ich kann es Ihnen sagen: weil ich die Siegesgöttin so und nicht anders empfunden habe. Mit diesem gesenkten Haupt, mit diesem Gesichtsausdruck, mit dem Kranz ohne Hakenkreuz!«

Thorak sieht in seiner Siegesgöttin ein Alibi seiner reinen Kunstauffassung, die nicht von Sondermeldungen getrübt wurde. Mit Hitler sei er überhaupt schlecht ausgekommen, in Unterhaltungen über die Kunst. »Er war ein absoluter Laie«, charakterisiert Thorak.

»Dazu war er auch in der Kunst ein Diktator. Also bestimmte er, was Kunst ist. Der Erfolg war das Haus der Deutschen Kunst in München. Ein Alpdruck war es.

»Seiner fixen Idee von dem einzigen Weg zur Kunst konnte man nicht widersprechen. Es gehörte schon Mut dazu, ihm zu sagen, daß man doch auf der Suche nach dem rechten Weg irren könne. Und daß die jungen Künstler, die Suchenden, mit Güte und Nachsicht zu behandeln seien. Von Güte und Nachsicht wollte Hitler nichts wissen. Sein Weg oder kein Weg, das war sein Wahlspruch.

Seit dem Vorjahr geht es Thorak finanziell besser. Er erhielt Aufträge. Für ein Kloster in Linz arbeitete er eine Statue. Der Pfarrer schrieb mit Tränen in der Feder: »Ihr Werk, großer Meister, lehrt wahre Demut.«

Wahre Demut vermißt Thorak hingegen bei der modernen Kunst. Er ist solange nicht gegen den Surrealismus, als er erkennbare Formen zeigt. Er selbst allerdings bleibt bei seinem Leisten: »Ich lasse mich nicht von meiner Arbeit abbringen. Für mich gibt es keine moderne Verführung. Ich arbeite, spare mir das Geld vom Mund ab. Und im übrigen werde wir ja sehen.«

Im Atelier Thoraks, der Ex-Garage, die vielleicht einmal ein Stall war, stehen einige seiner neuen Arbeiten. Eine, 1948 vollendet, ist schon in Salzburg: Die Stunde Die große Stunde der Mutter, da sie die Ewigkeit weiterreicht. Nach altem Thorak-Brauch: fünf Meter hoch.

»Die Stunde« wird auf der Salzburger Thorak-Ausstellung zu sehen sein, zu der es im Frühsommer dieses Jahres kommen wird. Der Veranstalter ist, wie Thorak sagte, der Stadtsenat von Salzburg, der sich einstimmig dazu entschloß.

Die Marmorplastiken werden im Mirabell-Garten ausgestellt, die rohen Arbeiten in einem Pavillon. Der Gottsucher. Paracelsus, Ikarus, Mutter und Kind, Hanneles Himmelfahrt. Die Sitzende Kopernikus, Die Suchende, Das Licht - insgesamt werden fünfzig Plastiken zu sehen sein

Frau Erna, sehr charmant, dunkelhaarig, liest ihrem Gatten jeden Wunsch von den Augen ab. Sie hilft ihm in den Mantel, zählt die Bohnen für den Kaffee ("Das Herz, das Herz!"), sorgt für Schatten bei zuviel Sonne und für Sonne bei zuviel Schatten. Sie seufzt zufrieden:

»Jetzt geht es ihm ja schon besser. Aber es war arg. Ich dachte, er würde sich eine Kugel vor den Kopf schießen. Er hätte es nicht überlebt, wenn man ihn als Nazi eingesperrt hätte. Nun hat er wieder seine Kunst, seinen Sohn und mich. Er braucht die Jugend.«

Und dann: »Entschuldigen Sie, ich muß eilen.« Der Mann mit dem Löwenkopf hatte aus dem Atelier gerufen: »Ernaaa!«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 31 / 58
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren