Parteien Offene Wunde
Als Theo Waigel, der Bonner Diskussion um seine Steuerpolitik für ein paar Stunden entkommen, am vergangenen Mittwoch zu einer Stippvisite im heimatlichen München landete, schlug ihm auch aus der eigenen Partei heftige Empörung entgegen - Mitglieder des CSU-Vorstands legten ihrem Vorsitzenden sogar den Rücktritt nahe.
Landtagsabgeordnete und Bezirksfürsten hielten dem Bundesfinanzminister vor, die »mit plumper Selbstverständlichkeit« durchgeführten Steuererhöhungen hätten die CSU-Politik »aufs schwerste erschüttert«, die Partei stehe »vor einem Scherbenhaufen«.
Im Ministerrat der bayerischen Staatsregierung herrschte »blankes Entsetzen« (so ein Kabinettsmitglied) über Waigels Steuerkurs. Nun könne man, hieß es, auch die CSU mit der »Steuerlüge« abwatschen, so wie einst der SPD in Bonn die »Rentenlüge« um die Ohren gehauen worden sei.
In der Kabinettsrunde entlud sich der schon lange aufgestaute Ärger über Waigels Führungsstil. Der Parteivorsitzende leide an »Führungsschwäche« und »Autoritätsverlust«, er habe die »Bodenhaftung« verloren. Waigel sei schuld, daß die CSU auf das Niveau einer »Provinzpartei« abzugleiten drohe.
Der Vorwurf zielt nicht zuletzt auf das verkorkste Experiment, der CSU im neuen Deutschland mit Hilfe der Schwesterpartei Deutsche Soziale Union (DSU) in der Ex-DDR mehr bundespolitisches Gewicht zu verschaffen. Waigel-Kritiker kreiden der Parteiführung an, sie habe das Problem, ob das sieche Patenkind DSU weiter gepäppelt oder endgültig abgeschrieben werden soll, unentschlossen vor sich hergeschoben.
Die Abrechnung mit dem Vorsitzenden kam einem aus der Ministerrunde besonders gelegen: dem Umweltminister und Münchner Bezirksvorsitzenden Peter Gauweiler.
Der ehrgeizige Strauß-Enkel hofft, gegen den angeschlagenen Parteichef im Streit um die Expansion der CSU in den neuen Ländern erstmals Unterstützung zu bekommen. Gauweiler drängt zumindest in Sachen DSU auf eine Entscheidung: »Das muß geklärt werden, ja oder nein, es ist eine offene Wunde.«
Eine einstimmig beschlossene Resolution des Münchner Gauweiler-Verbands brachte das heikle Thema letzte Woche erstmals offiziell auf die Tagesordnung. Der Parteibezirk verlangt vom Präsidium der CSU eine neue »grundlegende Positionsbestimmung« in Fragen der »politischen und organisatorischen Arbeit in den neuen Bundesländern«. Gauweilers Ziel ist klar. Anstelle der DSU soll sich die CSU in Ostdeutschland etablieren.
Gauweiler, seit langem der hartnäckigste Expansionsbefürworter, sieht Chancen, die Parteifreunde mit einem CSU-Ablegermodell zu überzeugen, das voriges Jahr, als noch Hoffnungen in die DSU gesetzt werden durften, verworfen worden war. »Es kommen«, sagt er, »jeden Tag neue Stellungnahmen, alle verlangen eine neue Strategie.«
Stratege Gauweiler stellt sich zunächst die Gründung einer »CSU in Sachsen« und einer »CSU in Thüringen« als eigenständige Regionalparteien neben der Mutterpartei in München vor. Diese Neuschöpfungen, programmatisch wie organisatorisch »nach dem Webmuster« der Bayern-Partei, wären deren »natürliche Bundesgenossen«.
Wie der CDU verklickert werden könnte, daß derlei Filialen keine treuwidrige Ausdehnung der CSU über die bayerischen Stammlande hinaus wären, darüber macht sich Gauweiler keine Sorgen. Daß Helmut Kohls Christen-Union die Ableger als Kriegsgrund zwischen den beiden Schwestern mißverstehen könnte, ficht ihn nicht an: »Wenn wir erst überlegen müssen, ob die CDU das duldet, dann hamma schon verloren.«
Die CSU-Landesleitung folgt dem forschen Gauweiler (noch) nicht. In der CSU-Spitze teilt die Mehrheit nach wie vor Waigels Auffassung, jede Expansion, ob offen oder verdeckt, führe zum Krach mit der CDU.
Hätten sich Gauweilers Vorschläge im letzten Jahr durchgesetzt, konterte CSU-Landessprecher Peter Hausmann den Münchner Vorstoß in der Strategiedebatte, dann wäre Gauweiler heute nur Chef eines »ganz kleinen CSU-Verbands« und auch nicht bayerischer Umweltminister, sondern »möglicherweise zuständig für den Hausbrand in Mecklenburg-Vorpommern«.
Zur Präsidiumssitzung am Montag dieser Woche jedoch sind, auf Gauweilers Drängen, auch alle Bezirksvorsitzenden eingeladen worden, denn eins der Themen ist das Schicksal der DSU.
Viel Zeit für Streit allerdings war von vornherein nicht vorgesehen. Eine halbe Stunde, so ließ Waigel letzte Woche mitteilen - länger könne er nicht bleiben.