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POLEN Offenes Feuer

Kirchenräuber plünderten den Sarkophag des Heiligen Adalbert und wurden gefaßt. Ihre Richter mußten entscheiden ob Kirchenschätze privates oder öffentliches Eigentum sind. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Die Frommen im Sprengel des Erzbistums Gnesen in Westpolen wünschten dem Trio Tod und ewige Verdammnis. Eine Witwe forderte gar im Kirchenblatt: »Sie sollen das gleiche erleiden, was sie unserem armen Heiligen angetan haben: über offenem Feuer rösten!«

Solche Qualen gönnte das Kirchenvolk drei Dieben, die in der altehrwürdigen Kathedrale von Gnesen den dort aufbewahrten Sarkophag des Heiligen Wojciech mit »unglaublicher Brutalität"« geplündert und geschändet hatten.

Wegen dieses Frevels standen die aus Danzig angereisten Kirchendiebe seit Mitte Juni vor einem Gnesener Woiwodschaftsgericht, das die geständigen Sünder mit irdischem Strafmaß abzuurteilen hatte.

Das Trio, zwei Brüder und ein Kumpan, hatte sich die völlig unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen im Gnesener Dom zunutze gemacht. Über eine Regenrinne kletterten die drei in einer Märznacht bis zum Fenster einer Seitenkapelle, bogen das rostige Fenstergitter ohne große Mühe zur Seite und stiegen in den Kirchenraum ein.

Ihr bereits vorher ausbaldowertes Ziel: der reichlich mit Edelmetall geschmückte Reliquiensarg des Heiligen Wojciech, im Westen besser als Heiliger Adalbert bekannt, ein früher Märtyrer des christlichen Glaubens.

Adalbert, damals Bischof von Prag, hatte sich im Jahr 997 auf eine Missionsreise ins Samland zu den heidnischen Pruzzen gewagt, wurde von denen aber in einen Hinterhalt gelockt und erschlagen.

Der damalige polnische König Boleslaw Chrobry, ein gläubiger Christ, kaufte den Pruzzen die Leiche ab und brachte sie nach Gnesen. Aus Dankbarkeit ernannte der Papst den ermordeten Prager zum Heiligen und erhob Gnesen zur Erzdiözese.

Seither ist das Bischofsgrab für polnische Christen ein Wallfahrtsort; um so mehr, als der polnische Hof 1662 beim Danziger Kunstschmied Piet van der Rennen einen marmornen, silberbeschlagenen Prunksarg in Auftrag gab, in dem die sterblichen Überreste des Märtyrers im Gnesener Kirchenschiff beigesetzt wurden. Der Sarkophag bekam im Unesco-Katalog unverzichtbarer Kunstwerke mit der Zuordnung zur Klasse »O« die höchste Wertung.

Auf den 15 Kilo schweren Sargschmuck hatten es die Kirchenräuber abgesehen. Sie brachen die aus reinem Silber gegossene Figur des Heiligen vom Sargdeckel, schlugen die Engelsfiguren und die Flügel des polnischen Adlers ab und rissen Teile des Beschlags aus den

Fugen. Der reine Silberwert der Beute: etwa fünf Millionen Zloty (67000 Mark).

Weil sich die Figur des Heiligen für den Transport als zu unhandlich erwies, brachen die Räuber ihr Kopf und Glieder ab und vergruben das verstümmelte Kunstwerk in der Nähe der Kathedrale.

Auf die Spur der Diebe kam die Miliz durch einen Mann, der die Einbrecher beim Einschmelzen der Beute beobachtet hatte. Die vergrabenen Stücke der Heiligenfigur fanden spielende Kinder, die dafür eine Belohnung von 200000 Zloty bekamen, von frommen Gemeindemitgliedern gespendet.

Kirchenraub ist in Polen seit Jahren ein einträgliches Geschäft. In dem Land, in dem Tausende nur unzulänglich gesicherter Gotteshäuser stehen, werden jährlich zwischen 500 und 700 Kirchendiebstähle gemeldet. Der Wert der entwendeten Gegenstände - meist Leuchter und liturgische Gefäße aus Edelmetall, aber auch Gemälde und Skulpturen - liegt pro Jahr bei 100 Millionen Zloty.

Im polnischen Kielce wurde vor drei Jahren eine Bande festgenommen, die in acht Monaten in 14 Kirchen eingebrochen war und Kirchengut im Wert von 48 Millionen Zloty erbeutet hatte. Die Räuber warten noch immer auf ihren Prozeß.

Über polnische Kirchenräuber hat der Polizeihauptmann Janusz Kosc-Konarzweski aus Krakau sogar eine Doktorarbeit verfaßt, in der er vor allem die Psyche der Sakral-Diebe ergründen wollte. Mehr als die Hälfte der befragten Einbrecher, so stellte sich heraus, hielt sich für gläubige Christen. Jeder zweite besuchte regelmäßig die Sonntagsmesse, ein Viertel von ihnen ging zudem zur Beichte.

Fast alle gaben Geldnot als Motiv für ihre Tat an, einige sahen den Diebstahl als eine Art Anleihe bei Gott, die sie später mit reichlichen Zinsen zurückzahlen wollten. Andere beteten vor dem Coup zum Heiligen Anton, der nach dem Volksglauben auch die Diebe beschützt.

Bestraft werden Kirchendiebe nach dem polnischen Strafgesetzbuch, daswie in den anderen sozialistischen Staaten - Diebstahl von Privatem, also auch Kircheneigentum, ungleich milder ahndet (höchstens 10 Jahre Gefängnis) als das Stehlen von staatlichem oder volkseigenem Gut (bis zu 25 Jahre).

Für die Freveltat in Gnesen, so fanden sogar polnische Politiker, reiche das vorgeschriebene Strafmaß nicht aus. Das brachte die Richter in eine Klemme: Verurteilten sie die Täter schwerer als für Privat-Diebstahl vorgesehen, würden sie das Kirchengut als öffentlich-rechtlich anerkennen, mithin der Kirche faktisch den Status einer öffentlich-rechtlichen Institution zubilligen - wie es der polnische Episkopat seit langem fordert.

Die weisen Richter von Gnesen fanden auf gut polnische Art eine Lösung: Sie erklärten den Sarg des Märtyrers Wojciech zu einem »Kulturgut, das der gesamten Nation gehört«. Zwei der Kirchenräuber wurden für 15 Jahre, der dritte für 12 Jahre ins Gefängnis gesteckt.

Die wichtige Frage aber, ob die Kirche in Polen fortan eine öffentlich-rechtliche Einrichtung sei, blieb unerörtert.

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