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RELIGIONSUNTERRICHT Ohne Netz

Die Bremer Universität bildet Lehrer für konfessionslosen Religionsunterricht aus. Zweifelhaft ist noch, ob die Pädagogen auch an Schulen lehren dürfen.
aus DER SPIEGEL 10/1978

Bei uns«, kündigt der Bremer Religionspädagoge Ulrich Kurth, 48, an, »wird die Konfessionalität in den Schulen ad acta gelegt. Bei uns wachsen die Religionslehrer für kommende Generationen heran.«

»Bei uns«, das ist der Studienbereich 1 der Bremer Universität, in dem Religionspädagoge Kurth zusammen mit seinem Kollegen Jürgen Lott, 34, seit Beginn des Wintersemesters 1977/78 Neues versucht.

Die beiden Professoren bilden knappe zehn Studenten im Studiengang »Religionswissenschaft/Religionspädagogik« zu Lehrern für einen von den Kirchen nicht kontrollierten, überkonfessionellen Religionsunterricht in »Biblischer Geschichte! Religionskunde« aus.

Dieser Unterricht soll Schüler an staatlichen Schulen »nicht mehr um jeden Preis für das Christentum gewinnen wollen« oder ihnen gar »vermeintliche »Glaubenswahrheiten« aufzwingen«. Vielmehr soll er die Schüler anleiten, sich »die Phänomene »Religion« und »Christentum« aus der Distanz und vorwiegend unter sozialwissenschaftlichem Aspekt zu erklären« -- wie der Bremer Lott findet, »die fairste Art, Schülern zu einem angemessenen Verhältnis zur Religion zu verhelfen« das ihnen unter Umständen auch den Abschied von traditionellen Glaubenspositionen ermöglicht«.

Daß solche Aufklärung nicht in kritiklose Christen-Schelte abrutschen muß, dafür stehen die beiden Bremer Wissenschaftler grade. Kurth, Mitglied der Bremer Evangelischen Kirche, bezeichnet sich als gläubigen Protestanten. Lott ist ein aus der hessen-nassauischen Landeskirche stammender ordinierter evangelischer Pfarrer. Vor seinem Amtsantritt in Bremen war er Assistenz-Professor für Praktische Theologie an der Universität Mainz und zählte im dortigen Fachbereich Evangelische Theologie freilich zum aufklärerischen Flügel.

Aufklärerisch fiel denn auch die Studienordnung für den neuen Bremer Studiengang aus, den seit 1972 neben Kurth und Lott so engagierte Links-Theologen wie die Kölnerin Dorothee Steffensky-Sölle ("Atheistisch an Gott glauben") ausgeklügelt hatten. »Allgemeine Studienziele« laut Studienordnung beispielsweise:

* »Kritik der »autoritären« Religion«; > »Weiterführung des urchristlichen Prozesses der kritischen Veränderung des Lebens auf Gerechtigkeit, Friede, Liebe und Freiheit hin«; > »Kennenlernen anderer religiöser Traditionen und Abbau von Vorurteilen ihnen gegenüber«.

»Christentum«, sagt der Religionspädagoge Lott, »ist für uns hier nur eine mögliche Form von Religion.« Und das christliche Glaubensbekenntnis ist »ein Beispiel dafür, wie Religionsgemeinschatten zu Vergewisserungsformeln finden

Die distanziertere Sicht des Christentums schrieben die Bremer bereits 1947 in Artikel 32 ihrer Landesverfassung fest und ließen sich das 1949 auch im Artikel 141 des Bonner Grundgesetzes -- »Bremer Klausel« -- bestätigen: daß in den »allgemein bildenden öffentlichen Schulen« Bremens ein »bekenntnismäßig nicht-gebundener Unterricht in biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage« erteilt werden müsse.

Daran hielt auch der Bremer Staatsgerichtshof gegen die Klagen der katholischen wie protestantischen Kirche fest. Deren Vertreter wandten ein, das Bremer Modell führe zur Verzerrung christlicher Bekenntnisse und zu einer staatlichen Phantasie-Konfession. Überdies sei ein interkonfessioneller Religionsunterricht »undurchführbar«.

Der Bremer Staatsgerichtshof jedoch fand das nicht und entschied 1965, daß Artikel 32 »nicht als christlicher Gesinnungsunterricht auf evangelischer Grundlage zu verstehen« sei, wie das Bremens Protestanten interpretieren wollten. Mit dem Bremer Religionsunterricht, so die Richter, werde überhaupt »keine religiöse oder weltanschauliche Unterweisung der Kinder bezweckt«, »weder eine religiöse noch eine antireligiöse«.

Doch zwölf Jahre nach diesem Urteil klaffen Verfassungsnorm und Wirklichkeit in dem liberalen Stadtstaat noch immer auseinander.

Obwohl Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Bremen seit 1959 konfessionsfrei gelehrt wurde, vermochte dies den Bedarf an Religionslehrern in Grund-, Haupt- und Realschulen wegen des mangelnden Interesses der Pädagogik-Studenten nicht zu decken.

Und bis heute wird an Bremens staatlichen höheren Schulen Religionsunterricht entweder gar nicht oder zumeist von evangelischen Theologen erteilt. Konfessionsfreie Religionswissenschaft wird zwar seit langem an einigen deutschen Universitäten gelehrt, aber bislang stets ohne die Möglichkeit zu einem staatlichen Abschlußexamen für das Lehramt an höheren Schulen.

Das wird sich in Bremen ab 1981 ändern. Dann nämlich legen die ersten nichtkonfessionell ausgebildeten Religionspädagogen ihr Staatsexamen ab. Aber ob sie dann auch von einem Bundesland in den Schuldienst übernommen werden, ist ungewiß.

Denn selbst Bremer Protestanten, die dem Bremer Modell schriftlich zugestimmt hatten, äußerten mündlich Mißmut. Und Helmut Hermann Wittler, für einen Teil Bremens zuständiger katholischer Bischof von Osnabrück, dekretierte unnachsichtig: »Die Erteilung der Missio canonica (Lehrerlaubnis) an dort (in der Bremer Uni) ausgebildete »Religionslehrer« ist ausgeschlossen.«

Nicht einmal der Bremer Staat sah sich bisher in der Lage, den Bremer Religionsstudenten feste Zusagen zu machen. »Wer bei uns studiert«, sagt der Bremer Professor Kurth, »balanciert vorerst ohne Netz.«

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