PARTEIEN »Ohne politische Substanz«
Thomas Roth, Studioleiter und Chefredakteur der ARD in Berlin, kennt das Ritual. Jedes zweite Mal nach Europa- oder Landtagswahlen hat er die Generalsekretäre der großen Parteien zu Gast.
»Erst ergeht der Dank an die eigenen Reihen, dann wird dem Gegner Versagen attestiert, und erst dann geht es in den Clinch.« Um Inhalte, klagt der Moderator, streiten die Matadore nur selten. Überraschende Analysen? Programmatischer Diskurs? Fehlanzeige.
Stattdessen müde Attacken und verbrauchte Worthülsen. »Das ist auch eine Abwahl von Schröder«, röhrte etwa nach der Saarland-Wahl im vergangenen September der CSU-Generalsekretär Markus Söder. Der christdemokratische Kollege Laurenz Meyer fand es nach der Entscheidung in Sachsen und Brandenburg zwei Wochen später »ein bisschen gut, dass der Höhenflug der Grünen ein bisschen gestoppt ist«. FDP-Frau Cornelia Pieper irritierte mit der rätselhaften Bemerkung »Herz statt Hartz, weil im Kern Hartz richtig ist«.
In solchen Momenten wird deutlich, dass die Generäle abgedankt haben. Auf der Bühne präsentieren sich matte Polit-Funktionäre ohne Witz und Vision. Keine scharfzüngige Angriffslust und nirgendwo wenigstens quirlige Rhetorik.
Die auffällige Schwäche ihrer Spitzenkader nervt inzwischen viele Parteimitglieder - nicht jedoch die Vorsitzenden von SPD, CDU, CSU, Grünen und FDP. Denn Franz Müntefering, Angela Merkel, Edmund Stoiber, Reinhard Bütikofer und Guido Westerwelle haben ganz bewusst ihre obersten Gehilfen ausgewählt. Schließlich waren sie alle einmal selbst Chefmanager ihrer Partei und verfügen folglich über hinreichende Erfahrungen im politischen Machtkampf, um sich in puncto Themenfindung, Strategie und Taktik auf den eigenen Instinkt zu verlassen. Assistenten mit Kompetenz und Profil könnten da nur stören.
Das war nicht immer so. Früher avancierten Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer wie die Christdemokraten Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler oder die Sozialdemokraten Egon Bahr und zuletzt auch Franz Müntefering zu geachteten Vordenkern ihrer Partei. Sie präsentierten sich häufig als rhetorische Haudraufs, waren aber auch stets, wie es Heiner Geißler formuliert, »als Hüter der Identität« ihrer jeweiligen Couleur unterwegs.
Kurt Biedenkopf zum Beispiel entwickelte für die CDU in den siebziger Jahren mit phantasievollen Thesen die »Neue soziale Frage« und suchte - stellvertretend für den Vorsitzenden Helmut Kohl - den offenen Konflikt mit Franz Josef Strauß. Heiner Geißler verordnete der Union 1986 ein »Zukunftsmanifest« und verschaffte ihr mit »weichen« gesellschaftspolitischen Themen ein verändertes Profil.
Der immer noch streitlustige einstige Jesuitenschüler trat zugleich aber auch als gefürchteter Provokateur auf. Die SPD beleidigte er als »fünfte Kolonne der anderen Seite«, und Pazifisten beschimpfte er, sie hätten Auschwitz erst ermöglicht - der »schlimmste Hetzer seit Goebbels«, konterte ein erboster Willy Brandt.
Dessen rechte Hand, Peter Glotz, entwarf eine »neue Theorie des Wohlfahrtsstaates«, arbeitete intensiv an der »Kampagnenfähigkeit« der Sozialdemokraten und eröffnete seiner Partei den Zugang zu den neuen Wählerschichten der »technischen Intelligenz«.
Und heute? Anzuschauen sind staubtrockene Apparatschiks mit wenig Gespür für zündende Themen oder einfache Formeln, die komplexe Zusammenhänge durchschaubar machen. Den harten Schlagabtausch mit dem politischen Gegner übernehmen die Parteichefs selbst und wünschen sich ihre Generäle vor allem als pflegeleichte Gefolgsleute. Franz Müntefering etwa verzichtete ganz bewusst auf den Unruhestifter Sigmar Gabriel und zog stattdessen den stillen Schröder-Freund Klaus Uwe Benneter vor. Edmund Stoiber holte sich mit Markus Söder seinen glühendsten Verehrer in die Münchner Parteizentrale.
Immer wieder fallen die Generalsekretäre der gegenwärtig amtierenden Vorsitzenden durch peinliche Patzer und Pannen auf.
Unionsmann Meyer hatte in der gerade beendeten Gesundheitsdebatte dem Angst machenden Begriff der »Kopfprämie« nichts entgegenzusetzen und verstolperte auch den Versuch, einen neuen »Patriotismus«-Diskurs zu inszenieren: »Wir müssen Reformen machen«, konstatierte er schlaff, »weil wir unser Land lieben.«
Benneter-Vorgänger Olaf Scholz bemühte sich immerhin, den »Demokratischen Sozialismus« aus dem Parteiprogramm zu streichen und Begriffe wie »Patriotismus« und »Elite-Universitäten« mit der SPD
zu koppeln. Das ernüchternde Ergebnis: Er wurde bereits nach 16 Monaten ausgemustert.
Sein Nachfolger geht das Wagnis erst gar nicht mehr ein, brisante Themen zu setzen. Und als er wie kürzlich in Celle versuchte, seinen Genossen die Schröder-Agenda zu erklären, bescheinigte ihm hinterher eine Zuhörerin glattes Unvermögen: »Ich gehe genauso ratlos nach Hause, wie ich gekommen bin.«
Der gelernte Journalist Markus Söder wiederum tut sich vor allem als Bauchredner seines Herrn hervor. Edmund Stoiber habe »eine große Leistung« vollbracht, tönte er am vorvergangenen Freitag, obwohl der Vize Horst Seehofer den Gesundheitskompromiss munter weiter kritisierte. Mit prägnanten Sätzen bedenkt der Verbalakrobat am liebsten sich selbst: »Ich gehe dahin, wo es wehtut.«
Für Jugendliche unter 14 forderte Söder ein Ausgehverbot nach 20 Uhr; Schülern ausländischer Herkunft wollte er das Absingen der deutschen Nationalhymne und allen bayerischen Jungen und Mädchen das Morgengebet vorschreiben. Sogar die katholische Kirche zuckte da zurück, und die konservative »Welt« mahnte: »Nur brüllen reicht halt nicht.«
Weil sie bloß noch beschränkt ins große Räderwerk eingreifen können, haben die Generäle, die allenfalls noch als Parteisoldaten fungieren, nahezu gleich lautend ihre Funktionsbeschreibung selbst reduziert.
SPD-Sekretär Benneter begnügt sich so mit dem fast schon hilflos klingenden Eingeständnis, er wolle »unauffällig dafür sorgen, dass die Partei möglichst weit vorn ist«. Im Klartext: Er soll durchs Land reisen - Strategie, Programm, aber auch die innere Organisation des Willy-Brandt-Hauses bleiben Sache des Parteivorsitzenden Franz Müntefering und seines Bundesgeschäftsführers Kajo Wasserhövel. Und auch CDU-Kollege Laurenz Meyer hat längst die Not zur Tugend verklärt: »Ich kann mehr bewirken, wenn ich nach innen arbeite.«
Selbst wenn sie sich darauf beschränken, kann es eng werden für die Kärrner. Stark gefährdet ist derzeit vor allem FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper. Mit Hingabe arbeitet bereits eine ganze Reihe von Liberalen am Sturz der Ostfrau aus Halle.
»Spätestens beim FDP-Parteitag im Mai«, drängt etwa der Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Jörg-Uwe Hahn, müsse sich Parteichef Guido Westerwelle von seiner Gehilfin trennen. Hahn: »Frau Pieper hat keinen Rückhalt mehr in der FDP.«
Zwar ist ihr Talent weithin akzeptiert, bei Veranstaltungen in Wirtshäusern und lokalen Festsälen für liberale Positionen zu werben - aber »das reicht nicht«, bekräftigt Jan Dittrich, Chef der Jungen Liberalen. Die FDP benötige auf diesem Posten »jemanden, der die Partei inhaltlich und programmatisch nach vorn bringt«.
»Zum Aufschwung Ost hat sie keine Idee entwickelt«, klagt auch der Berliner Landesvorsitzende Markus Löning. »In der Bildungspolitik vertritt Pieper nur ihre Privatmeinung«, mosert Hahn. Schon kurz nach ihrer Berufung an die Parteispitze hatte der Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki gehöhnt: »Der Frau fehlt jegliche politische Substanz.«
Mit leicht sadistischem Interesse beobachten Piepers Kritiker ihren gegenwärtigen Abstiegskampf selbst im eigenen Landesverband. Noch ist sie dort Vorsitzende, doch im September verlor ihr enger Vertrauter im Magdeburger Landtag, Rainhard Lukowitz, seinen Posten als Fraktionschef. Und im April nächsten Jahres droht Pieper die Abwahl zu Gunsten von Finanzminister Karl-Heinz Paqué, dem wahrscheinlich künftigen Spitzenkandidaten.
Auch im Bundestagswahlkampf 2006, den Pieper »sportlich« angehen will, soll sie möglichst keine führende Rolle mehr spielen. Schon droht ein Bundesvorständler aus dem Westen: »Wenn Westerwelle sie noch einmal vorschlägt, gibt es Krieg.« Dann werde er eine derbe Niederlage erleben - »vielleicht sogar sein Waterloo«.
Noch hält der Parteichef trotzig dagegen. »Ich bin sehr zufrieden mit der Arbeit der Generalsekretärin«, lobt er seine Adlata. Sie habe die Wahlen in diesem Jahr eindrucksvoll gemanagt.
Was er nicht sagt: Eigentlich können der Frontmann der Liberalen wie auch alle anderen Parteivorsitzenden auf einen weitgehend autarken Generalsekretär gut verzichten. Die Vorsitzenden arbeiten, beflügelt vom Glauben, den Job selbst am besten zu beherrschen - und das nicht ganz zu Unrecht.
So gewann Franz Müntefering als Bundesgeschäftsführer und Generalsekretär zwei Bundestagswahlen, und Angela Merkel war von 1998 bis 2000 CDU-Chefmanagerin, bevor sie sich an die Spitze der Partei putschte. Edmund Stoiber diente von 1978 bis 1983 als CSU-Generalsekretär unter Franz Josef Strauß, und Guido Westerwelle übernahm von 1994 bis 2001 ebenso forsch wie programmatisch respektiert die gleiche Funktion.
Keiner der heutigen Parteivorsitzenden hat einen Generalsekretär »neben sich, der Ideen entwickelt, Projekte schmiedet und überzeugend kommuniziert«, analysiert der Göttinger Politologe Franz Walter und erkundigt sich besorgt: »Fehlt ihnen das Selbstbewusstsein für große Leute an ihrer Seite?«
Das Fragezeichen ist wohl überflüssig.
PETRA BORNHÖFT, HORAND KNAUP