SOWJET-LIEFERUNGEN Ohne Rechnung
Adolf Hitler hat seinem Todfeind
Stalin mehr Kriegshilfe zu verdanken als seinem Bundesgenossen Mussolini: Während die Achse Berlin -Rom dauernd und aufwendig von Deutschland geschmiert werden mußte, karrte der Kreml wertvolle Rohstoffe und Lebensmittel in die deutschen Kriegsmagazine. Erst Hitlers Angriff auf die Sowjet-Union stoppte die rote Versorgungswoge.
Das Ausmaß der Sowjet-Hilfe wurde erst jetzt bekannt: Professor Dr. Ferdinand Friedensburg, Präsident des »Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung«, eruierte aus meist russischen Statistiken, daß der Zweite Weltkrieg früher zu Ende gewesen wäre, hätte die Sowjet-Union nicht anderthalb Jahre lang den deutschen Partnern ein Übersoll an wirtschaftlicher Vertragserfüllung demonstriert und ihnen dadurch die ersten Blitzsiege ermöglicht*.
Nachdem Hitler 1933 die Macht ergriffen hatte, verkümmerten die ohnehin schwachen deutsch-russischen Handelsbeziehungen zusehends. Hatte
das Rußland-Geschäft noch 1933 fünf Prozent des deutschen Außenhandelsvolumens ausgemacht, so war sein Anteil 1939 auf 0,6 Prozent zusammengeschmolzen. Der ideologische Zwist war dem Tauschhandel zwischen den beiden Diktaturen abträglich.
Erst 1938, als in Deutschland schon emsig leere Tuben gesammelt wurden, beschwor Hermann Göring die Diplomaten der Wilhelmstraße, »wenigstens noch einmal den Versuch zu machen, das Rußlandgeschäft, insbesondere soweit die Einfuhr russischer Rohstoffe in Frage steht, wieder zu beleben«.
Der beleibte Fliegerchef hatte im Oktober 1936 das Amt des »Bevollmächtigten für den Vierjahresplan« und damit die Verpflichtung übernommen, Hitlers Kriegswirtschaft für die ersten Feldzüge autark zu machen. Innerhalb der festgesetzten Frist ließ sich dieser Plan jedoch ohne russische Zulieferungen nur mangelhaft erfüllen.
Aber auch der Kreml war Ende 1938 einem Flirt mit den Nazis nicht abgeneigt. Stalin befürchtete damals, die Westmächte könnten ihn in einen Krieg mit Deutschland verwickeln, sich dann aber selbst heraushalten.
Die Sowjets ließen daher im Mai 1939 demonstrativ ihren - jüdischen -Außenparlamentär Litwinow-Finkelstein fallen, weil er in Berlin als Verhandlungspartner nicht genehm war und überdies noch einen Pakt mit England und Frankreich anstrebte.
Statt des anglophilen Juden präsentierte Stalin seinen »engsten Freund und Mitarbeiter« Wjatscheslaw Molotow als Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten.
Am 23. August 1939 unterschrieben der Reichsaußenminister von Ribbentrop und Molotow in Moskau den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. Verbuden mit diesem Vertrag war ein jährlich zu erneuerndes Wirtschaftsabkommen, auf das Göring so erpicht war.
Ehe freilich die Waggons aus Rußland anrollten, mußte Hitler eine Reihe für ihn dornenvoller Bedingungen erfüllen: Durch den Feldzug, den er eine Woche nach Unterzeichnung des Moskauer Paktes begann, bekam Stalin zwei Drittel Polens nahezu kampflos und durfte noch dazu das Baltikum kassieren.
Indes, Stalin revanchierte sich prompt und pünktlich: Rußland lieferte 1940 dreizehnmal soviel Waren wie im voraufgegangenen Jahr. 52 Prozent der gesamten sowjetischen Ausfuhr gingen in das Hitler-Reich.
Diesen Nachschub benötigte Deutschland um so dringender, als Italiens Duce seinen Kumpan in der Reichskanzlei zwei Tage nach dem Moskau-Pakt und unmittelbar vor dem Polenkrieg unter Druck gesetzt und Italiens Eintritt in den Krieg aufgeschoben hatte. Am 25. August schrieb Mussolini, daß er lieber nicht »die Initiative von kriegerischen Handlungen ergreife«.
Aber: »Unsere Intervention kann indessen unverzüglich stattfinden, wenn Deutschland uns sofort das Kriegsmaterial und die Rohstoffe liefert, um den Ansturm auszuhalten, den die Franzosen und Engländer vorwiegend gegen uns richten werden.«
Tatsächlich ließ dieser Ansturm noch auf sich warten. Stalins Güterzüge aber rollten Tag für Tag an die Demarkationslinie und transportierten vom Januar 1940 bis zum Beginn des Rußlandfeldzuges am 22. Juni 1941 unter anderem
- rund 1,5 Millionen Tonnen Getreide,
- 100 000 Tonnen Baumwolle,
- 1,5 Millionen Tonnen Holz,
- rund eine Million Tonnen Mineralöl.
- 140 000 Tonnen Manganerz,
- 26 000 Tonnen Chromerz und
- 2700 Kilo Platin.
Referiert Professor Friedensburg über die Getreideanfuhr: »Mit diesen Lieferungen war die Sowjet-Union in Roggen und Hafer der fast ausschließliche, in Weizen und Gerste aber der wichtigste Lieferant für Deutschland... 1940 gingen 81,4 Prozent der sowjetischen Gesamtausfuhr an Getreide nach Deutschland.«
Ungleich kriegswichtiger als das Getreide waren freilich die mineralischen Substanzen aus dem Osten. Die deutsche Rüstungsindustrie verfügte wieder über die zur Stahlveredelung nötigen Elemente wie Mangan und Chrom, aber auch über Phosphate, Asbest und Erdöl: Seit dem Herbst 1939 waren diese Rohstoffe für Deutschland »anderweitig gar nicht oder nur in unzureichenden Mengen« (Friedensburg) greifbar. Hitlers
Kriegsmaschine konnte jedoch nur mit einem ausreichenden Ölvorrat planmäßig anlaufen. Ein Drittel dieses unentbehrlichen Stoffes aber sprudelte aus roten Quellen.
Beim Auftreiben der von Deutschland benötigten Rohstoffe verfuhren die Russen nicht kleinlich. Was sie nicht aus landeseigenen Vorkommen beschaffen konnten - wie Kupfer, Zinn und Nikkel -, kauften sie im Ausland ein.
Resümiert Friedensburg: »Hier haben also die westlichen Länder über die Sowjet-Union die Kriegführung ihres Gegners in nicht ganz unwesentlichem Umfange unterstützt.«
Aus der Summe der Russen-Zuschüsse folgert der Professor, daß man hier »einen der Gründe für die erstaunliche Widerstandskraft der vom Hauptteil des Weltmarktes abgeschnittenen Kriegsrüstung des nationalsozialistischen Deutschland erblickt«.
Generös zeigten die Sowjets sich auch in Transit-Fragen. So enthüllte der amerikanische Selfmade-Historiker William L. Shirer aus den ihm nach dem Kriege zugänglichen deutschen Akten »eines der bestgehüteten Geheimnisse des Krieges": »Die Sowjet-Union hatte
Deutschland die Benutzung von Häfen in der Arktis, am Schwarzen Meer und am Pazifischen Ozean gestattet, so daß es dringend benötigte Rohstoffe trotz britischer Blockade einführen konnte.«
Mehr noch: Molotow hatte sich im November 1939 sogar damit einverstanden erklärt, daß die deutschen Transitwaren von der russischen Eisenbahn kostenlos befördert wurden.
Und General Thomas, der Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamts im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), pries noch nach Ausbruch des Krieges mit Rußland die sowjetische Kulanz: Die Lieferungen seien »bis zum Angriffsbeginn planmäßig durchgeführt, ja (es wurden) sogar in den letzten Tagen noch Kautschuktransporte aus dem Fernen Osten mit Eil-Transitzügen zur Durchführung gebracht«.
Deutschlands Geschäftsgebaren hingegen nimmt sich gegenüber dem sowjetischen Service vergleichsweise schäbig aus: Das Reich blieb mit seinen Gegenlieferungen dauernd in Verzug und mußte häufig gemahnt werden.
Im Wirtschaftsabkommen hatte sich Deutschland verpflichtet, die russischen Lieferungen vornehmlich mit industriellen Erzeugnissen und Steinkohle zu kompensieren. Aber Hermann Göring durchkreuzte mehrmals die redlichen Versuche der Wirtschaftspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, mit den Sowjets gleichzuziehen.
So ordnete er schon im Sommer 1940 an, »Lieferungen nach Rußland zu vermeiden, die das Kriegspotential Rußlands mittelbar oder unmittelbar stärken«.
Der Gesandte Schnurre von der Wirtschaftspolitischen Abteilung klagte noch Mitte Mai 1941 - einen Monat vor Hitlers Marsch auf Moskau - über unersprießliche Situationen, weil »das Reichsluftfahrtministerium die zugesagten und bereits verkauften Flugzeuge nicht freigibt«.
Gleichwohl hatte Schnurre in demselben Klagebrief auch einen Trost parat: »Allerdings wird sich die Nichteinhaltung deutscher Verpflichtungen erst nach August 1941 stärker bemerkbar machen, da bis zu diesem Zeitpunkt Rußland vorzuleisten hat.« Offensichtlich wußte der Gesandte nichts von dem Angriffsplan seines Führers.
Trotz seiner Trödelei hatte Deutschland in den 18 Handelsmonaten immerhin für 467 Millionen Mark Güter in die Sowjet-Union ausgeführt, darunter den erst halbfertigen Schweren Kreuzer »Lützow«. Dennoch wurden - laut deutscher Statistik - die russischen Lieferungen 1940 nur zu 55 Prozent und 1941 nur zu 82 Prozent mit deutschem Ausfuhrgut honoriert, ohne daß Moskau ernsthaft aufmuckte.
Diese geschäftliche Sanftmut im Handelsverkehr mit dem Reich deutet Professor Friedensburg so: »Man kann daran ablesen, wie stark der Sowjet-Union daran gelegen sein muß, die politischen Hauptbestimmungen des Vertrages, also insbesondere die Annexion der östlichen zwei Drittel Polens, zu erreichen und im übrigen die Hitler-Regierung auch durch Warenlieferungen ohne ausreichende unmittelbare Gegenleistung zu stärken.«
Berlins Schulden in Moskau beliefen sich bei Angriffsbeginn - nach deutscher Berechnung - auf 239 Millionen Reichsmark. Die Russen bezifferten ihre Außenstände allein für das Handelsjahr
1940 mit 318 Millionen Rubel erheblich höher. Eine russische Statistik für 1941 existiert nicht.
Gleichwohl hat der Kreml dem besiegten Deutschland diese Rechnung niemals präsentiert: Der Weltöffentlichkeit sollte verborgen bleiben, was die Sowjet-Union alles für Hitler getan hatte.
* Ferdinand Friedensburg: Die sowjetischen Kriegslieferungen an das Hitlerreich«. Sonderdruck aus den Vierteljahresheften zur Wirtschaftsforschung, Jahrgang 1962; 4. Heft.
Wirtschaftsforscher Friedensburg
Das Öl für Hitlers Blitzkriege...
... kam von Stalin: Tauschhändler Molotow (l.), Ribbentrop (2. v. r.), 1940**
Getreide-Umladung an der deutsch-sowjetischen Grenze (1940): Berlin hinkte nach
*- Bei einem Empfang im Berliner Hotel
»Kaiserhof« mit (v. l.) Innenminister Frick,
Botschaftsrat Hilger und SS-Chef Himmler.