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KIRCHE / LILJE-NACHFOLGE Ohr am Boden

aus DER SPIEGEL 47/1970

Wieder einmal wurde dem hannoverschen Landesbischof Hanns Lilie eine Ehrendoktorwürde verliehen. Es war vergangenen Monat -- in der amerikanischen »Pacific Lutheran University«. Lilie wußte zunächst nicht mehr so recht, der wievielte Ehrenhut es gewesen ist. Sein Sekretär, der Pastor Hans-Wilhelm Hube, zählte elf, Lilie selbst nur zehn.

Wie viele immer: Der Hut, der ihm in Tacoma (US-Staat Washington> aufgesetzt wurde, war wohl der letzte, den der 71jährige Lutheraner Lilie als Bischof entgegennahm. Denn in der nächsten Woche wird die hannoversche Landessynode, das Parlament der zweitgrößten bundesdeutschen Landeskirche (3,9 Millionen Mitglieder), seinen Nachfolger wählen.

In der Göttinger Universität Georgia Augusta überlegt derweil der Theologie-Professor und derzeitige Rektor Eduard Lohse, 46, ob er den Professoren-Beruf aufgeben soll, um selber Bischof zu werden. Der eher stille Gelehrte gilt als Favorit für die Nachfolge Lilies, der -- nicht nur in Niedersachsen -- bekannter ist als ein Ministerpräsident.

Johannes Ernst Richard -- genannt Hanns -- Lilie gilt als niedersächsischer Dickschädel, Ist aber der Welt und vielem Neuen offen. Die »FAZ« deutete es so: »Hanns Lilie hat allezeit das Ohr am Boden gehabt und das Grollen sich ankündigender Bewegung im voraus vernommen.«

Der Hannoveraner von Geburt und nach Wahl genießt wie kein anderer deutscher Geistlicher weltweiten Ruhm. Als einziger evangelischer Oberhirte führt er -- als Abt von Loccum ("Abbas Luccensis"), der er auf Lebenszeit bleibt -- Krummstab und Mitra und zählt seinen Namen römisch: Johannes XI, Als einziger lutherischer Kirchen-Oberer gründete er eine eigene Zeitung, das heutige »Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt«.

Kaum ein »Glaubensbruder von Rang erreicht das Sprachtalent des Hannoveraners, der schon als Pennäler das griechische Neue Testament »wie eine Zeitung« lesen konnte und perfekt Französisch parlierte. Als Twen lernte er »stehend freihändig« Englisch, das er so gut wie seine Muttersprache beherrscht -- was ihm den ersten Nachkriegsjob einbrachte: Als Lilie, von den Nazis 1944 eingesperrt, aus dem Nürnberger Gefängnis befreit wurde, war er für ein paar Wochen gleichsam dessen erster Direktor. Die Amerikaner hatten keinen anderen, der sie so gut verstand.

Zweimal in seinem Leben hat Lilie schnell Karriere gemacht: das erstemal, als er, damals Studentenpfarrer an der hannoverschen Technischen Hochschule, erst Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung und dann -- 1935 -- Generalsekretär des Lutherischen Weltkonvents wurde. Das nächstemal 1947, als der Oberkirchenrat zum Landesbischof gewählt wurde.

Zwischendurch, unter den Nazis, hatte der Lutheraner das »Finstere Tal«, so ein Lilie-Buchtitel, durchschritten, aber auch einen Aufsatz -- »Der Krieg als geistige Leistung« -- geschrieben, den ihm Jung-Christen heute vorwerfen. Lilie stand den Männern des Widerstands nah, aber ein Held war er nicht -- was er aber auch nicht behauptet. Er war »an der aktiven Vorbereitung des 20. Juli 1944 in keiner Weise beteiligt«.

1949 wurde Lilie Mitglied des Zentral-Ausschusses des Ökumenischen Rates, 1952 (bis 1957) Präsident des Lutherischen Weltbundes, und von 1949 bis vor drei Jahren war er stellvertretender Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Und nie verließ Lilie die Lust am Reisen: Im vorigen Monat nach den USA, in der vorigen Woche nach Cambridge. Noch Immer ist in seiner Landeskirche das Stoßgebet sprichwörtlich: »Lieber Gott, segne und behüte unseren Landesbischof, Du allein weißt, wo er sich gerade aufhält.«

Von ihrem neuen Bischof möchten das die hannoverschen Protestanten lieber gern selber wissen. »Die Landeskirche«, sagt Professor Götz Harbsmeier, Prodekan der Theologischen Fakultät in Göttingen und Mitglied der Landessynode, »braucht einen, der als Amateur-Bonifatius durch die Lande zieht.« Lilie sei zwar »in Amerika und sonstwo gewesen, aber nicht in irgend so einem Nest bei Stade oder Buxtehude. Das wird im ganzen Land erwartet: ein Bischof, der sich auch der armen Würstchen von Pastoren auf dem platten Lande annimmt«.

Derartige Vorwürfe hält Lilie jedoch für »in bitterer Weise falsch«, denn: »Ich könnte mit dem Apostel Paulus sagen: Ich habe mehr gearbeitet denn sie alle. Ich habe mein Pensum erfüllt.« Und das nicht nur in Übersee.

Aufs Ganze gesehen jedoch fuhr seine Landeskirche gut mit ihrem Bischof und er mit ihr. Sie ist für ihn immer »eine besonnene, eine noble gewesen«, in der er »nur ganz selten auf Intrigen gestoßen« ist: »Im Vergleich zu anderen Institutionen ist sie von solchen Strömungen frei. Da waren keine krummen Sachen.«

Selbst für Professor Harbsmeier, der nicht zu seinen Anhängern zählt, ist er »bei weitem der beste Vertreter dieser Branche gewesen, denn die meisten sind doch zum Sterben langweilig«.

Langweilig war Lilje nie. Selbst in gelegentlichem eher scheinbarem Hochmut blieb er nie ohne Witz. So, als er einem jungen Theologen in Loccum gegen dessen Widerstreben in den Mantel half mit den Worten: »Lassen Sie man, mir macht's nichts aus, und für Sie ist es vielleicht eine nette Erinnerung.«

Lilje liebt Zitate, nicht nur die eigenen. Gelegentlich lädt er zum kalten Büfett mit einem Homer-Wort. Doch wenn er predigt, spricht er so, daß ihn jeder versteht.

Sein mutmaßlicher Nachfolger, der Göttinger Professor Lohse, wird es schwer haben. Er erlebt keine Anekdoten und ist überdies kein konturierter Theologe, mit dessen Namen sich etwa eine neue Richtung verbände. Aber er ist ein verbindlicher Mensch. »Wenn er irgendwo reinkommt«, so schildern ihn Kollegen, »dann geht die Sonne auf.«

Daß Lohse in der kommenden Woche Chancen hat, zum Lilie-Nachfolger gewählt zu werden, hat -- wie zu erwarten war -- bisher keine Proteste gegen seine Person ausgelöst -- allenfalls gegen den Wahlmodus.

So schlug der Kirchenkreis Wunstorf vor, das Kirchenvolk sollte den künftigen Bischof wählen statt lediglich 94 Synodalen. Das jedoch halt Lilje nicht für erstrebenswert: »Denn dann könnte es passieren, daß eine Woche danach eine Wahl schon angefochten werden kann.«

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