BULGARIEN Ohren ab
Herr und Hund, die bürgerliche Hausvariante kapitalistischer Machtverhältnisse, sind im Ostblock keine Selbstverständlichkeit mehr. Vor drei Jahren jagten Moskauer Tierfänger vom Gesundheitsministerium unbarmherzig hinter streunenden Haustieren her und sammelten ein, was vier Beine hatte. Nun wollte Bulgarien des Menschen beste Freunde liquidieren.
Der ideologische Grund der Säuberung: Die Schoß- und Streicheltiere seien, so eine interne Partei-Direktive, »unproduktiv und parasitär«.
Eifrige Einsatzkommandos scheuchten den tierischen Klassenfeind in Stadt und Land. Jeder Schütze erhielt pro Tier, nachgewiesen durch Vorlage der abgeschnittenen Ohren, eine Prämie von zwölf Lewa, den Gegenwert von drei Tageslöhnen. Mehr als 300 000 Hunde und noch mehr Katzen verschwanden.
Die Kadaver der exekutierten Tiere wurden zwecks produktiver Verwertung auf Lastwagen abtransportiert. In den staatlichen Pelzläden tauchten wenig später Mäntel aus Hunde- und aus Katzenfell auf, das Stück zu 200 bis 400 Lewa - der Arbeitslohn von zwei bis vier Monaten.
Bedauerliche Irrtümer blieben nicht aus. So fiel ein Blindenhund, dessen Herr sich auf einer Parkbank sonnte, den wilden Jägern zum Opfer, und auch das Knuddelkätzchen einer Fünfjährigen in Sofia wurde erschossen. Das Kind erlitt einen Schock.
Die »Parasiten« der Volksrepublik Bulgarien starben beinahe aus - doch das tierliebende Proletariat setzte sich in letzter Sekunde zur Wehr. Ungezählte Anrufe und Beschwerdebriefe an die Redaktionen unterrichteten die Herrschenden über eine von ihnen bis dahin mißachtete Volksmeinung: »Ohne Verordnungen können wir leben, auch ohne Kommunistische Partei«, lautete der Tenor der Proteste, »doch nicht ohne Hunde und Katzen.«
So massiv klagten die Hinterbliebenen, daß die Aktion schleunigst abgebrochen wurde. Statt dessen legten die tierfeindlichen Behörden eine Hundesteuer von 100 Lewa im Jahr fest - das ist ein durchschnittlicher Monatslohn.
Seither kassiert der Staat 43 Prozent mehr Steuern auf des Menschen treuesten Gefährten als auf ein Auto. Außerdem wurde ein neues Verbot erlassen. Der bulgarische Hund darf nicht mehr auf öffentlichen Straßen ausgeführt werden.
Eine Gruppe österreichischer Touristen führte kürzlich in Bulgarien, vom Hunde- und Katzendekret des Staates beunruhigt, eine Tier-Strichliste: Während ihrer neuntägigen Reise sahen sie lediglich zwei Hunde und überhaupt keine Katzen.