Kanzler Scholz über die Panzer-Entscheidung »Vertrauen Sie mir, vertrauen Sie der Bundesregierung«
Olaf Scholz, Bundeskanzler:
»Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich sehr, dass ich heute hier Ihre Fragen beantworten kann, und ich möchte gerne von der Möglichkeit Gebrauch machen, am Anfang etwas zu sagen. Kurz bevor ich hierhergekommen bin, habe ich noch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj gesprochen und mit ihm die gegenwärtige Lage beraten, aber auch das, was Deutschland tut und tun wird. Meine Damen und Herren! Wenn man die Sorgen und Berichte über das letzte Jahr noch einmal zurück in Erinnerung ruft, dann wird man sicherlich sagen können: Die allermeisten haben gedacht, das wird wohl nicht klappen, dass wenn Deutschland kein Gas aus Russland mehr bekommt, wenn wir Öl und Kohle komplett aus anderen Quellen beziehen müssen, dass das geht ohne eine massive Wirtschaftskrise, ohne Versorgungsengpässe in dem jetzigen Winter und ohne all die Herausforderungen, die damit verbunden sind. Manche haben ja schon gesprochen über einen Wut-Herbst und einen Wut-Winter und ähnliche Dinge, die unser Land dann ereilen würden und mit denen wir uns auseinanderzusetzen gehabt hätten. Die Wahrheit ist: Das ist nicht eingetreten. Wir sitzen hier, es ist warm, und das ist auch überall in Deutschland der Fall. Wir haben die Versorgung mit Energie gewährleistet, auch durch ein ganz, ganz neues Deutschland-Tempo, mit dem wir Infrastrukturen neu errichtet haben. Und wir haben dafür Sorge getragen, dass wir auch die wirtschaftliche Leistungskraft unseres Landes erhalten haben und die hohen Preissteigerungen für Energie zum Beispiel ausgeglichen mit entsprechenden milliardenschweren Unterstützungs- und Entlastungspaketen. Man kann also mit einem Kommentator sagen: Die Bundesregierung hat die Wirtschaftskrise abgepfiffen. Wir sind jetzt in einer besseren Lage. Der heute vorgestellte Jahreswirtschaftsbericht hat das auch noch einmal ganz deutlich gezeigt. Und man kann auch ganz deutlich sagen: Wir haben auch gezeigt, was in uns steckt. Und das ist mir ganz wichtig. Denn es ist ja doch in kürzester Zeit geschehen, dass wir alle notwendigen Maßnahmen ergriffen haben, von der Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken, der Verlängerung der Nutzung der Atomkraftwerke über die Füllung der Gasspeicher und viele Importmöglichkeiten für Gas über westeuropäische Häfen, und dann eben neue Terminals an den norddeutschen Küsten. Die ersten drei haben schon die Schiffe, mit denen das Gas importiert werden kann, gewissermaßen gesehen. Und das ist ein gutes Zeichen für Deutschland. Ich will gerne an dieser Stelle sagen, dass das Tempo, das wir hier gezeigt haben, ein Tempo sein muss, das unser ganzes Land prägt. Dass wir überall, wo es darum geht, die Zukunft zu gewinnen, mit entsprechender Geschwindigkeit vorankommen. Zum Beispiel wenn wir jetzt, wo wir die Krise aktuell bekämpfen mussten, sehen, wie schnell das geht, dass wir das auch machen, wenn es darum geht, die erneuerbaren Energien, Windkraft auf hoher See, an Land, Solarenergie, die Stromnetze auszubauen, wenn es darum geht, die Transformation der Industrie zu begleiten, damit tatsächlich gelingt, was wir uns vorgenommen haben, das erste CO₂-neutral wirtschaftende Industrieland der Welt zu sein, als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt voranzumarschieren und zu zeigen, dass es geht, und anderen damit auch den Mut zu machen, auch diesen Weg zu beschreiten. Bei allem haben wir den Zusammenhalt nicht vergessen und den Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern mit all den Leistungen, die wir auf den Weg gebracht haben. Meine Damen und Herren, Ursache für die Herausforderungen, die wir zu bewältigen hatten, was unsere eigene Volkswirtschaft betrifft, ist der furchtbare imperialistische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Ein furchtbarer Krieg, in dem die Grundsätze, auf die wir uns jahrzehntelang in Europa verständigt hatten, infrage gestellt worden sind. Die Grundsätze, die zum Beispiel diese Aussage beinhaltet haben: Es darf nicht mit Gewalt Grenzen verschoben werden, es dürfen Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden. Das ist das, was Russland aufgekündigt hat. Das ist die Zeitenwende, von der ich hier in diesem Bundestag gesprochen habe. Und deshalb ist es richtig, dass wir eng abgestimmt mit unseren internationalen Partnern die Ukraine unterstützen – finanziell, mit humanitären Mitteln, aber eben auch mit Waffenlieferungen. Das haben wir in einem Bruch mit jahrzehntelanger Staatspraxis in Deutschland getan. Und mittlerweile kann man sagen: In Europa sind wir es und Großbritannien, die die meiste Unterstützung mit Waffen für die Ukraine zur Verfügung stellen. Und wenn man vorrechnet, was wir alles schon für Entscheidungen getroffen haben, kann man sagen: Deutschland wird immer vorne an sein, wenn es darum geht, die Ukraine zu unterstützen. Wir sind das Land, das das mit großer Energie und in großem Umfang tut. Dazu haben wir entschieden, dass wir auch schwere Waffen liefern, die Panzerhaubitze, den Mehrfachraketenwerfer, was Artillerie betrifft. Wir haben den Flakpanzer Gepard zur Verfügung gestellt und tun das weiter. Ein modernes Luftabwehrsystem wie Iris-T, wo gerade neue Flugkörper geliefert worden sind und wir auch weitere Systeme liefern werden. Das Patriot-System, wie ich vor Kurzem zusammen mit der Regierung entschieden habe. Und das sind alles Maßnahmen, die dazu beitragen, dass die Ukraine sich verteidigen kann. Alle diese Entscheidungen haben wir im Einklang und in enger Kooperation mit unseren Verbündeten getroffen. Das ist der Grund, warum sie wirksam sind und warum wir sie auch treffen konnten. Das ist das Prinzip, das diese Regierung hat. Und das werden wir weiter so halten wie jüngst bei der Entscheidung, zusammen mit den USA Schützenpanzer zu liefern – Bradley die USA und wir mit unserem Schützenpanzer Marder. Die Franzosen haben zur gleichen Zeit Spähpanzer bereitgestellt. Man sieht, enge Kooperation und Abstimmung ist das Prinzip. Und es ist richtig, denn es ist wirklich Krieg in Europa. Nicht weit weg von hier in Berlin findet der statt gegen ein großes Land wie die Ukraine. Und deshalb müssen wir bei allem, was wir tun, immer ganz klarstellen, dass wir das Notwendige und das Mögliche machen, um die Ukraine zu unterstützen. Dass wir aber gleichzeitig eine Eskalation des Krieges zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato verhindern. Und dieses Prinzip werden wir auch weiterhin immer beachten. Dabei gibt es für diese Dinge keine mathematischen Gewissheiten. Keiner kann einem erklären, wo genau die richtigen und die falschen Entscheidungen sind. Und deshalb ist es richtig und mit vollem Absicht geschehen, dass wir uns Stück für Stück vorangearbeitet haben. Und dieses Prinzip werden wir auch in Zukunft weiter verfolgen. Es ist das einzige Prinzip, das in einer so gefährlichen Angelegenheit Sicherheit auch für Europa und Deutschland gewährleistet. Und das gilt jetzt auch für die jüngste Entscheidung, die die Bundesregierung getroffen hat. Wir werden der Ukraine auch Kampfpanzer zur Verfügung stellen vom Typ Leopard 2. Das ist das Ergebnis intensiver Beratung erneut mit unseren. Dass wir uns nicht haben treiben lassen, sondern dass wir auf diese enge Kooperation in einer solchen Angelegenheit setzen und sie auch fortsetzen. (Achten Sie auf die Zeit? – Ja.) Unser Ziel ist es, rasch zwei Panzerbataillone zusammen mit unseren Verbündeten bereitzustellen. Das gibt viele Länder, die gerne mitliefern wollen, und wir werden das koordinieren und sie einbeziehen, damit das Schritt für Schritt auch möglich wird. Deutschland wird, wie gesagt, Leopard-2-A6-Panzer zur Verfügung stellen, die aus den Beständen der Bundeswehr stammen. Und wenn die weiteren das machen, werden wir die ukrainischen Besatzungen hier in Deutschland ausbilden. Wir werden Ausbildung gewährleisten, Logistik, Munition und Wartung der Systeme. Und wie gesagt, den Partnerländern ermöglichen, dass sie liefern können. Meine Damen und Herren, das ist das richtige Prinzip. Es geht hier um sehr wirksame Waffensysteme. Und es ist richtig, dass wir diese Waffensysteme niemals alleine, sondern immer in enger Kooperation bereitstellen. Ein Wort zum Schluss: Es gibt in diesem Land viele Bürgerinnen und Bürger, die sich Sorgen machen, auch angesichts einer solchen Entscheidung und angesichts der Dimension, die diese Waffe mit sich bringt. Und deshalb möchte ich diesen Bürgerinnen und Bürgern hier und an dieser Stelle sagen: Vertrauen Sie mir, vertrauen Sie der Bundesregierung. Wir werden weiter, weil wir international abgestimmt handeln, sicherstellen, dass diese Unterstützung möglich ist, ohne dass die Risiken für unser Land darüber in eine falsche Richtung wachsen. Das ist, warum wir das so tun. Und so werden wir es auch weiter machen.«