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Volkskammer Olle Pappe

DDR-Parlamentarier fahren schicke Westautos - geliehen oder günstig gekauft.
aus DER SPIEGEL 34/1990

Trabifahrer, die auf den Autobahnen der DDR von dunklen BMWs oder schnellen Audis überholt werden, haben es nicht unbedingt mit PS-protzenden Westbürgern zu tun. Möglicherweise ist gerade einer ihrer eigenen Volksvertreter an ihnen vorbeigerast.

Viele Mitglieder von Parlament und Regierung der DDR sind bereits vor der Währungsunion vom Trabi umgestiegen auf westliche Autos - früher als das gemeine Wahlvolk und zu besseren Konditionen. Allen voran versorgte sich die CDU-Fraktion mit 125 günstigen Gebrauchtwagen, hauptsächlich VW Golf, Audi 80, Audi 100 oder Polo.

Möglich wurde der Deal durch die Bekanntschaft der Parlamentarischen Geschäftsführerin der CDU, Birgit Kayser, mit dem Wolfenbütteler Likörfabrikanten Günter Mast ("Jägermeister"). Die DDR-Politikerin hatte Mast im niedersächsischen Landtagswahlkampf kennengelernt, als sie gemeinsam mit Rita Süssmuth um Stimmen für die Union geworben hatten.

»Bei einem abendlichen Umtrunk«, so Mast, klagte Birgit Kayser über die Mobilitätsprobleme der Volkskammerabgeordneten. Der Fahrdienst des Parlaments funktioniere nicht, die Reichsbahn sei eine einzige Katastrophe, und die Volksvertreter müßten Unterlagen und Gepäck eigenhändig durch die Stadt ins Büro schleppen.

Mast konnte Hilfe anbieten. »Er habe da ein Autohaus an der Hand«, so schildert Birgit Kayser das Angebot des Alkohol-Industriellen, »mit dem ließe sich was organisieren«. Das Autohaus, von dem Mast redete, nämlich Bischoff & Hamel in Hannover mit seiner brandneuen Magdeburger Filiale, ist eine hundertprozentige Tochter des Jägermeister-Konzerns.

In den Berliner Fraktionsräumen ließ die CDU-Geschäftsführerin noch im April - zwei Monate vor der Währungsunion - eine Liste kursieren, auf der die einzelnen Angebote verzeichnet waren: Die Auswahl reichte vom kleinen Polo bis zum Audi 100 für rund 40 000 Mark, zahlbar vom 1. Juli an in bis zu zehn bequemen Monatsraten aus dem Einkommen der Ost-Berliner Volksvertreter (3600 Mark plus 2300 Mark Kostenpauschale im Monat). Am Magdeburger Fußballstadion standen Ende Mai die Autos für die Volksvertreter bereit.

Die Abgeordneten bekamen gute Ware für relativ wenig Geld: Die meisten Wagen waren kaum ein Jahr alt und _(* Auf dem Volkskammerparkplatz in ) _(Ost-Berlin. ) kosteten rund 20 000 Mark. Heute müssen Gebrauchtwagenkäufer, bedingt durch die größer gewordene Nachfrage, etwa 5000 Mark mehr für einen vergleichbaren Audi 80 auf den Tisch legen.

Birgit Kayser konnte ihre Fraktion aus den Mobilitätsnöten retten, die Abgeordneten anderer Fraktionen müssen sich anders helfen. Den PDS-Mitgliedern sei die Möglichkeit gewährt worden, ehemalige SED-Dienstwagen billig zu reprivatisieren. Und die DSU-Fraktion, so hat Birgit Kayser beobachtet, »fährt überwiegend Golf«. Die Sozialdemokraten hingegen seien »vollkommen gemischt« motorisiert.

Die Minister der Noch-DDR brauchten ihre Autos nicht zu kaufen. Sie zahlen nur eine pauschale Nutzungsgebühr. Die BMW-Zentrale in München hat Mitgliedern der DDR-Regierung 21 repräsentativ eingefärbte Limousinen der 5er und der 7er Reihe geliehen. Prominente Leihwagenfahrer sind Ministerpräsident Lothar de Maiziere, Innenminister Peter-Michael Diestel sowie der Umweltminister Karl-Hermann Steinberg. Der gefeuerte Landwirtschaftsminister Peter Pollack wird seinen BMW wohl zurückgeben müssen. Ohnehin, so sagt der Konzern feinsinnig, »gilt das Angebot nur bis zur Vereinigung«.

Den BMW-Bossen mag es bei der Verleihaktion um den Werbeeffekt gehen, den Ministern um die Repräsentation - der westmotorisierten CDU-Fraktion geht''s um die Sicherheit. Brigitte Kayser mag dem einst volkseigenen Trabant nicht mehr trauen: »Im Audi fühle ich mich einfach sicherer, als wenn ich mit so einer ollen Pappe über die Autobahn rolle.«

* Auf dem Volkskammerparkplatz in Ost-Berlin.

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