BONN / DDR-ANERKENNUNG Olympia im Vatikan
Aus Furcht vor Ulbrichts Zwei-Staaten-Theorie soll ein dritter deutscher Staat geschaffen werden: das souveräne Olympia-Territorium München.
Innenminister Ernst Benda soll auf Wunsch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion »beschleunigt prüfen«, ob und wie der bayrische Olympia-Schauplatz von 1972 als Ausland deklariert werden kann.
Die staatsrechtliche Burleske geriet auf den Bonner Spielplan, nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOC) am vorletzten Wochenende in Mexico City beschlossen hatte, Nationalfahne und -hymne der DDR künftig zuzulassen.
Spätestens bei den Münchner Olympischen Spielen in vier Jahren werden die Sportler aus dem Osten unter dem Schild »Deutschland-DDR« und der schwarzrotgoldenen Fahne mit Hammer und Zirkel in Westdeutschlands heimlicher Hauptstadt einmarschieren. Gewinnen sie Goldmedaillen, dann muß in München die DDR-Hymne von Johannes R. Becher ("Auferstanden aus Ruinen") gespielt werden.
Denn nach den IOC-Grundregeln darf kein Land und keine Person aus Gründen der Hautfarbe, der Religion oder der Politik vom olympischen Mitwirken ausgeschlossen werden. Sogar Territorien, die nicht als selbständige Staaten existieren (Beispiel: die Fidschi-Inseln) dürfen in der heilen IOC-Olympiawelt Selbständigkeit genießen.
Der Schlag alarmierte Bonns unentwegte Alleinvertreter im christlichen Lager. Das Münchner Schauspiel, so sehen sie es, könnte Millionen Sport-Fans vor den Fernsehschirmen in aller Welt den Eindruck vermitteln, die Bundesrepublik habe die DDR als zweiten deutschen Staat anerkannt.
National-Barde Eugen Gerstenmaler nannte die Entscheidung »miserabel«. Ernst Benda, als Beobachter in Mexiko, sprach von einem »unfreundlichen Akt gegenüber der Bundesrepublik« und drohte »Konsequenzen« an.
Fünf Minuten nach zwölf wollten Bonns Einheitspolitiker immer noch nicht eingestehen, daß ihr 17 Jahre währendes Rückzugsgefecht um die sportliche Alleinvertretung Deutschlands endgültig verlorengegangen war.
Begonnen hatte der Krieg im Jahre 1951. Damals beantragten Bundesrepublik und DDR, ihre Nationalen Olympischen Komitees (NOK) anzuerkennen. Bonn wurde aufgenommen, Ost-Berlin fiel durch, und Ulbrichts Olympia-Athleten traten 1952 in Helsinki nicht an.
Die Sport-Funktionäre der DDR bohrten unermüdlich weiter, und 1955 wurde ihr NOK provisorisch anerkannt. An den Spielen 1956 in Cortina d'Ampezzo und Melbourne nahmen erstmals Ostdeutsche teil, allerdings in einer Mannschaft mit den Westdeutschen.
Im Oktober 1959 kreierte die DDR ihre Staatsfahne mit dem Hammer- und-Zirkel-Emblem. Das neue Tuch, in Westdeutschland sogleich zur »Spalterflagge« verteufelt, wollten die DDR-Funktionäre auch ihren Prestige-Sportlern voranflattern lassen, aber sie mußten sich vorerst einem olympischen Kompromiß des IOC beugen: 1960 in Rom marschierte eine gesamtdeutsche Mannschaft hinter Schwarzrotgold mit den olympischen Ringen, ihre Sieger wurden mit Beethovens Hymne »An die Freude« geehrt.
Bei anderen Wettkämpfen jedoch konnten Ulbrichts Sport-Politruks ihre nationalen Farben und Töne zur Geltung bringen. Über 50 internationale Sport-Fachverbände haben bereits die DDR anerkannt, und im Ausland gehen westdeutsche Sportler auch angesichts der DDR-Flagge willig an den Start.
Dagegen sträubte sich bei Konrad Adenauer »gesundes Nationalgefühl«. Auch deutsche Athleten, so rügte der Kanzler den mangelnden Widerstandswillen der westdeutschen Sport-Funktionäre, seien »zuerst einmal Deutsche und erst dann Sportler«. Adenauer erschien es unerträglich, »wenn in unserer Situation deutsche Sportler an einer Veranstaltung teilnehmen, bei der die Zonenflagge gehißt wird«.
Die Konferenz der Länder -- Innenminister beschloß, das Zeigen von DDR-Flaggen und -Emblemen auf westdeutschem Boden verstoße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung und sei deshalb mit Polizeigewalt zu verhindern.
Als die DDR 1961 die Berliner Mauer baute, brach der bundesrepublikanische Deutsche Sportbund den spärlichen innerdeutschen Sportverkehr ganz ab.
Vier Jahre später gelangten die ostdeutschen Sport-Funktionäre zu olympischem Erfolg. Das IOC, der ständigen Querelles allemandes überdrüssig, erkannte
Ulbrichts NOK endgültig an und verfügte: zwei deutsche Mannschaften, aber gemeinsame Olympiafahne und Beethoven-Hymne bei den Spielen in Mexiko.
Zum letzten Olympia-Gefecht formierte sich die DDR im vergangenen Jahr. Der Leipziger Verleger Heinz Schöbel, zugleich NOK-Präsident, brachte eine dickleibige Biographie zum Ruhme des greisen IOC-Präsidenten Avery Brundage heraus und überreichte dem Amerikaner ein ledergebundenes Exemplar zu dessen 80. Geburtstag.
Millionär Brundage war gerührt, und obwohl er sich den Fortbestand der gesamtdeutschen Olympia-Schau lange als persönliches Verdienst zugerechnet hatte, stellte er Schöbel nun die volle Anerkennung der DDR in Aussicht.
DDR-Schöbel sammelte weiter Verbündete unter den IOC-Mitgliedern. Mit Meißner Porzellan und harten Devisen machte er eine Südamerika-Tour; den mexikanischen NOK-Präsidenten General Jesùs Clarke-Flores lud Schöbel zu einem Gala-Diner ein.
Als am vorletzten Wochenende Brundage in Mexico City eine Sondersitzung des IOC einberief, wurde der DDR ohne Diskussion mit 44 gegen vier Stimmen die politische Goldmedaille der Anerkennung zugesprochen.
In Bonn mußten die aufgeschreckten Alleinvertreter am vergangenen Mittwoch ihre Hilflosigkeit erkennen. Innen-Staatssekretär Karl Gumbel trug dem Kabinett vor, die Bundesrepublik habe die Olympischen Spiele für 1972 unter der Bedingung zugesprochen bekommen, daß sie die dann geltenden IOC-Regeln akzeptiere. Der Gesamtdeutsche Minister Wehner im Kabinett: »Man sollte es jetzt schon laufen lassen.
Der Kanzler erkannte zudem die Gefahr, daß die Bundesregierung nur den »Anerkennungswütigen« (Kiesinger) in die Hände arbeite, wenn sie den Flaggenstreit erst zur politischen Prestigefrage mache und dann doch klein beigeben müsse. Kiesinger: »Völkerrechtliche Anerkennung bedeutet das sowieso nicht.«
Dennoch muß Innenminister Benda einen Einfall des Olympia-Beauftragten der CDU/CSU-Fraktion, des Prinzen Konstantin von Bayern, juristisch begutachten: Der CSU-Prinz will »den historischen Gedanken der Bannmeile um die Olympiastadt« wieder beleben.
Zwei Denkmodelle hat er bereits entwickelt: Das Stadtgebiet Münchens könnte für die Dauer der Spiele zum exterritorialen Gebiet erklärt werden. Souverän, der die Spiele eröffnet, wäre dann der Oberbürgermeister, und dem Bundespräsidenten bliebe es erspart, die DDR-Flagge grüßen zu müssen.
Auch könnten nur die Kampf- und Wohnstätten der Athleten exterritorial sein »wie der Vatikan in Rom« (Prinz Konstantin); Souverän wäre dann der IOC-Präsident.
Dazu CDU/CSU-Fraktionschef Rainer Barzel: »Das ist doch alles Quatsch.«