TERRORISTEN »Operation Alberich«
Es war Anfang Juni auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm, es ging um Klimaschutz und Hedge-Fonds. Und dann gab es diesen Moment, als der Terror die Kanzlerin erreichte. Kein Wort davon steht in den Gipfelkommuniqués. Angela Merkel und George W. Bush waren allein, als es um »die Pakistan-Sache« (Bush) ging. Amerika fühlte sich bedroht, und die Bedrohung, so hatten es US-Geheimdienstler ihrem Präsidenten aufgeschrieben, komme aus Deutschland - wieder einmal, wie beim 11. September 2001.
Bush kannte die Namen der Verdächtigen, er war glänzend vorbereitet. Und gegenüber der Kanzlerin machte er deutlich, wie ernst er die Sache nahm. Im Kanzleramt wusste man nur zu gut, wovon der US-Präsident redete: »Operation Alberich«, wie die Dienste den Fall getauft haben, war Chefsache.
Seit Monaten wurde der Fall fast jeden Dienstag besprochen, unter Leitung von Merkels Amtschef Thomas de Maizière. Aus anfänglich vagen Hinweisen hatte sich der größte Polizeieinsatz seit dem Deutschen Herbst 1977 entwickelt - ein Polit-Thriller, wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik nur selten zuvor gegeben hat.
Die Operation begann im vergangenen Oktober, nachdem der amerikanische Abhördienst NSA im Internet verdächtige E-Mails zwischen Deutschland und Pakistan abgegriffen hatte. Und sie endete vergangene Woche mit einem Showdown im Sauerland: mit der Festnahme des Ulmer Arztsohnes Fritz Gelowicz, 28, und des deutschen Konvertiten Daniel S., 22, der bei den Luftlandepionieren in Saarlouis den Umgang mit Kampfmitteln gelernt hatte und in Saarbrücken aufgefallen war, weil er »oft und sehr laut« zu Allah betete, wie sich Nachbarn erinnern. Der dritte Festgenommene ist der Türke Adem Y., 28. Das Trio war gerade dabei, in einem Ferienhaus chemische Ingredienzien zu einer explosiven Masse anzureichern.
In der Wohnung fanden die Fahnder militärische Sprengzünder aus Syrien, die ein Kurier nach Deutschland geschmuggelt hatte, sowie 60 Liter Wasserstoffperoxid. Die Bestandteile waren offenbar für drei Autobomben gedacht, die vielleicht vor einer amerikanischen Kaserne in Deutschland explodieren sollten, vielleicht vor einer Discothek oder einem Flughafen. Als die Elitetruppe GSG 9 das Haus am Dienstag vergangener Woche stürmte, hing bereits eine beißende Wolke chemischer Dämpfe in der Luft. Es hätte, behaupten Ermittler, einer der blutigsten Anschläge der Nachkriegsgeschichte werden können, schlimmer als London, schlimmer als Madrid. Neben dem mutmaßlichen Terrortrio haben die Ermittler mehr als 45 Personen im Visier.
Spätestens seit jenem Gespräch mit Bush am Rande des G-8-Gipfels weiß die Kanzlerin, dass der infernalische Plot wohl nicht allein Menschenleben gefährdet hätte, sondern auch die ihr so wichtigen transatlantischen Beziehungen, wenn etwa US-Soldaten in Deutschland umgekommen
wären. Amerika fürchtet einen neuen, spektakulären Anschlag der wiedererstarkten Qaida - womöglich gar einen zweiten 11. September. Zumindest soll nicht noch einmal von deutschem Boden aus ein Angriff gegen Amerikaner ausgehen.
Es sind diese Erfahrungen und diese Ängste, die erklären, warum die Regie bei »Operation Alberich« nicht nur in Berlin, sondern auch in Washington geführt wurde. In Berlin arbeitete gar eine gemeinsame Arbeitsgruppe deutscher Behörden und der CIA an dem Fall. Die Kooperation sei so »eng wie nie« gewesen, so US-Heimatschutzminister Michael Chertoff vergangene Woche gegenüber dem SPIEGEL.
Aber aus amerikanischer Sicht waren die deutschen Ermittlungen auch eine Bewährungsprobe. Beständig wurde der Druck erhöht, mal sprach der CIA-Chef Michael V. Hayden in der Sache in Berlin vor, mal der amerikanische Botschafter William R. Timken. Chertoff persönlich reiste Anfang Juni nach Gengenbach, in Wolfgang Schäubles Heimatort. Beim Abendessen bat Bushs Minister für Sicherheitsfragen noch einmal, alles Erdenkliche zu unternehmen, um einen möglichen Anschlag zu unterbinden. »We care«, antwortete Schäuble: »Wir kümmern uns.«
Und wie. Spontan berief das Kanzleramt die sogenannte Sicherheitslage zusammen, in dieser Besetzung erstmals seit dem 11. September 2001. Einziges Thema: die »neue, erhöhte Bedrohungslage« (Schäuble). Der Bundesinnenminister entschloss sich zu einem höchst ungewöhnlichen Schritt. Ende Juni alarmierte sein Staatssekretär August Hanning die Öffentlichkeit: Er befürchte eine Situation »wie vor den Anschlägen des 11. September«, Deutschland sei gefährdet wie nie, vor allem wegen der Verbindungen deutscher Extremisten nach Pakistan. Das Land gilt als neues Epizentrum des Terrors, wo al-Qaida heute Rekruten trainiert - Leute wie Gelowicz.
Es ist genau jener Typus, vor dem sich Schäuble und Chertoff fürchten: junge, fanatische Muslime mit europäischen Pässen, die ungehindert reisen können. »Morgen«, sagt Chertoff, »können sie im Flugzeug nach Amerika sitzen« - oder daheim zuschlagen. Konvertiten wie Daniel S., den ein Ermittler als jungen Mann »auf der Suche nach Halt und Werten« beschreibt, spielen dabei eine besonders gefährliche Rolle, heißt es in einem internen Papier des deutschen Verfassungsschutzes. »Europa«, glaubt Chertoff, »ist genauso Teil des Schlachtfeldes geworden wie die USA selbst.« Aus Sicht der US-Administration steht auf dem alten Kontinent eine Art Trojanisches Pferd, das die Europäer noch nicht erkannt haben.
Wie zur Bestätigung griffen am Dienstag vergangener Woche auch im Nachbarland Dänemark die Terrorfahnder zu. Sie verhafteten acht junge Muslime, die einen Anschlag vorbereitet haben sollen.
Schäuble machte nach den deutschen Festnahmen einen »selbstzerstörerischen Hass auf die westliche Zivilisation« als Motiv der Islamisten aus, und Chertoff wusste schon bei jenem Abendessen in Gengenbach, dass es nicht Deutsche, sondern wahrscheinlich Amerikaner treffen sollte. Er wusste auch um die Erkenntnisse der Ermittler, zum Beispiel kannte er jenen Observationsbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), den die Deutschen nach Washington übermittelt hatten.
Es ist noch früh an jenem Silvesterabend 2006, als ein Auto mit mehreren Personen an der Hutier-Kaserne im Hanauer Stadtteil
Lamboy vorbeigleitet. Hanau ist bekannt als größerer Standort der US-Truppen, mehr als tausend amerikanische Soldaten leben hier, die sich an diesem Tag auf den Jahreswechsel freuen. Später wird das Observationskommando des BfV notieren, der Wagen sei mehrfach auffällig auf der Straße vor der Kaserne hin und her gefahren. Die Geheimen lassen das Auto kontrollieren, die Insassen heißen Fritz Gelowicz, Attila S. aus Ulm, Ayhan T. aus Langen und Dana B., ein Deutscher iranischer Abstammung aus Frankfurt, der auf Nachfrage erklärt, man habe nur beobachten wollen, »wie die Amerikaner Silvester feiern«.
Die mutmaßliche Ausspähaktion beunruhigt den Sicherheitsapparat. Am 6. Januar rückt das hessische Landeskriminalamt zur Hausdurchsuchung an, man will wissen, was die Islamisten wirklich planen. Gelowicz wohnt in Ulm in einem schlichten weißen Mietshaus mit sechs Parteien, am äußersten Rand des Donaustädtchens. Weiße Jalousien verschließen den Blick durch das Fenster im Erdgeschoss unten links, wo Gelowicz lebt.
Der Böfinger Weg, eine Sackgasse, in der Fremde schnell auffallen, wird in den nächsten acht Monaten zum Schauplatz einer Rund-um-die-Uhr-Überwachung, wie es sie nur selten gibt. Das Bundeskriminalamt (BKA) wird bald Videokameras installieren, um kontrollieren zu können, ob Gelowicz das Haus verlässt. Aber an diesem Morgen Anfang Januar ist die frisch bezogene Wohnung im Erdgeschoss wie leergefegt.
Bei Ayhan T. werden die Beamten dagegen fündig: Sie beschlagnahmen ein Video, das den Türken in einer Art Vereinsheim irgendwo in Hessen zeigt. In türkischer Sprache stimmen mehrere Männer Dschihad-Gesänge an, sie sitzen zusammen im Kreis, dann tritt T. vor die Kamera und spricht über den Dschihad.
Es sind religiöse Beschwörungsformeln gegen die Ungläubigen, aber ist es auch ein Abschiedsvideo eines potentiellen Selbstmordattentäters?
Der Verfassungsschutz glaubt an diese Märtyrerthese, das BKA glaubt nicht daran. Die Experten können sich nicht einigen, aber durch die Durchsuchungen haben sie neue Erkenntnisse gewonnen. Der Kreis der Verdächtigen wächst stetig, und ab sofort ist es ein Spiel mit offenem Visier: Als einer der Islamisten ein Observationsteam des Verfassungsschutzes bemerkt, steigt er seelenruhig an einer roten Ampel aus, zückt ein Messer und schlitzt die Reifen des Dienstwagens auf.
Die wichtigsten Erkenntnisse aber steuern die US-Geheimdienste NSA und CIA bei: Es sind Kopien der Botschaften der deutschen Islamisten und ihrer Verbindungsleute in Pakistan. Drei Leute aus Deutschland halten offenbar den Kontakt: ein Mann mit dem Pseudonym »Muaz«, hinter dem die Ermittler den Islamisten Attila S., 22, vermuten. Dazu gibt es einen »Zafer« aus Neunkirchen - wohl Zafer S., ein alter Freund von Daniel S., der ebenso wie Attila S. nun beschuldigt wird. Zafer S. absolviert derzeit nach Angaben seines Vaters Hisir S. einen Sprachkurs in Istanbul. Und noch ein Name taucht in den E-Mails immer wieder als Verfasser auf: »Abdul Malik« alias Fritz Gelowicz, angeblich der Rädelsführer der deutschen Zelle, wie die Bundesanwaltschaft glaubt, der »kaltblütig und voller Hass« sei, so Staatssekretär Hanning.
Der gebürtige Münchner ist den Behörden bekannt, seit er vor ein paar Jahren im Umfeld von Yehia Yousif in Neu-Ulm auftauchte. Yousif, ein schlanker Mediziner mit eisgrauem Kinnbart, gehörte lange zu den schillerndsten Figuren der radikalen Islamistenszene in Deutschland: Zeitweilig war er V-Mann des Verfassungsschutzes, charismatisch, streng, eine Figur wie geschaffen als Ziehvater für junge Muslime. Unter Yousif entwickelte sich Neu-Ulm mitsamt dem sogenannten Multikulturhaus zu einem bundesweiten Magneten für Islamisten, besonders für deutsche Konvertiten wie Gelowicz oder Daniel S. Als der Staatsschutz zu ermitteln begann, setzte sich der Vorbeter aus Deutschland ab, das Multikulturhaus wurde geschlossen, der Verein verboten.
Aber Gesinnung lässt sich nicht verbieten, und 2005 muss Fritz Gelowicz, der als Jugendlicher zum Islam konvertiert war und sich seitdem »Abdullah Gelowicz« nannte, schon so radikal gedacht haben, dass es egal war, ob Yousif noch da war oder schon weg.
Vorher hatte Gelowicz an der Fachhochschule Neu-Ulm Wirtschaftsingenieurwesen
studiert. Er war ein guter, ein »unauffälliger Student«, sagt der Kanzler der Fachhochschule, Uli Fiedler. Ein Kommilitone erinnert sich dagegen, dass Gelowicz »schon im ersten Semester einen islamistischen Touch hatte«. Zu jener Zeit gab es ein »Café Istanbul«, wo sich die Studenten trafen und über den Koran diskutierten: »Es ging um die Passagen, in denen steht, dass es richtig ist, Christen und Ungläubige zu töten«, erinnert sich der Mitstudent. Gelowicz habe das mit den Worten verteidigt: »Das ist doch richtig so.«
Zu den Leuten, die in Neu-Ulm ähnlich denken wie er und mit ihm schon früh über die reine Lehre diskutieren, gehört auch ein alter Jugendfreund: Tolga D., den die pakistanischen Behörden im Juni festsetzten und der derzeit in München inhaftiert ist.
Die Uni muss Gelowicz schon bald nicht mehr wichtig gewesen sein, obwohl er das Studium fast abgeschlossen hatte. Seine letzte Prüfung im Wintersemester 2003/2004 in Unternehmensführung bestand er mit einer 3, danach ließ er sich für 18 Monate beurlauben.
Karriere, Arbeit, die westliche Leistungsgesellschaft, all das schien zu verblassen im Vergleich zum Glauben an Allah und seinen Propheten.
In jener Zeit, glauben die Ermittler, hielt sich Gelowicz monatelang im Ausland auf, wohl in Saudi-Arabien, um religiöse Studien zu betreiben. Mit dabei: Adem Y., angeblich zeitweise auch Attila S.
Irgendwann in dieser Zeit muss sich der harte Kern zusammengefunden haben. Irgendwo hier vermuten die Fahnder den Keim jener Gedanken der Gewalt, die offenbar, das glaubt die Bundesanwaltschaft, in der Idee mündeten, möglichst viele Westler zu töten.
Man kann die Stationen nachvollziehen, über die Gelowicz nach und nach in das radikale Milieu hineinglitt - aber eine wirklich schlüssige Erklärung, warum es so kam, fehlt bislang. Gelowicz' Bruder ist ebenfalls zum Islam konvertiert, aber er fiel den Behörden nie als Extremist auf.
Der Vater der beiden Konvertiten betreibt ein mittelständisches Unternehmen für Solartechnik, in dem Fritz gelegentlich jobbte. Die Mutter arbeitet als Ärztin an einer Klinik, die Eltern trennten sich früh. Es ist eine bürgerliche Biografie, wie sie millionenfach in Deutschland vorkommt, und in der nicht viel dafür spricht, nach Pakistan zu gehen, zu einer obskuren Truppe wie der Islamischen Dschihad Union (IJU), um den Umgang mit Waffen im Heiligen Krieg zu üben.
Die IJU, 2002 gegründet, ist eines jener Phänomene, die nach der Eruption der Anschläge vom 11. September weltweit auftauchten. Sie ist ein Derivat al-Qaidas, inspiriert von Osama Bin Ladens Idee eines weltweiten Heiligen Krieges. Und dieser Krieg sollte für die IJU anfänglich hauptsächlich den Ungläubigen in Usbekistan gelten.
Seit der Emir der IJU, ein Mann namens Ebu Jahja Mohammed Fatih, aber in diesem Mai erklärte, die Gruppe kenne »keinen Nationalismus und keine Stammesherkunft«, sie setze sich vielmehr zusammen aus »Gläubigen aus aller Welt«, sind die Sicherheitsbehörden alarmiert. Sie fürchten, dass die IJU auch Europa im Visier hat, ermutigt durch Männer wie Fritz Gelowicz, der, so steht es in einem CIA-Dossier, angeblich im März 2006 in einem IJU-Lager in Nordpakistan eintraf.
Bei Gelowicz ist nach Erkenntnissen der US-Geheimdienste in jenen Tagen auch Adem Y., der die Reise womöglich vorbereitet hat. Y., der sich in Deutschland mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, hat gute Kontakte in die Türkei, zu weiteren IJU-Sympathisanten. Sie organisieren die Reiseroute über Antalya nach Iran, in die Stadt Zahedan. Von dort geht es unauffällig über die Grenze nach Pakistan.
Die Behörden verdächtigen Adem Y., der erstmals 2002 in Frankfurt im Umfeld eines saudischen Wanderpredigers auffiel, schon länger als Schleuser im Namen des Dschihad. Immer wieder verschwinden aus seinem Bekanntenkreis strenggläubige Muslime: Am 5. Januar 2007 taucht Sedullah K. aus Langen ab, im März Sali S. aus Frankfurt, am 10. Mai Ümit S., am 5. Juni die beiden Brüder Bekir und Hüseyin Ö., die derzeit in pakistanischer Haft sitzen. Zeitweilig wirkt es, als gebe es in Langen ein Reisebüro für Abenteuerausflüge in den Heiligen Krieg. Die Liste der Reisekader Richtung Hindukusch, die Schäubles Innenmi- nisterium führt, umfasst gut ein Dutzend Namen.
Wahrscheinlich haben Adem Y. und Gelowicz bei jenem Lageraufenthalt im Frühjahr 2006 auch besprochen, wie Nachrichten von Pakistan nach Deutschland gelangen können, vertraulich, ohne Mitwisser: Der Austausch findet über ein Postfach bei Yahoo statt, die Nachrichten werden nicht verschickt, sondern im Entwurfsordner gespeichert, auf den Gesinnungsfreunde zugreifen können. Die Methode ist seit längerem als al-Qaida-Masche bekannt, so dass CIA, NSA und das BKA wenig Mühe haben, den Dialog zu verfolgen. Auf Seiten der IJU halten zwei Männer mit den Aliasnamen »Sule« oder »Suley« und »Jaf« den Kontakt.
Es ist eine komplizierte Sprache, die die Ermittler analysieren müssen. Mal fragen die Usbeken in Pakistan, ob »das Geschenk« schon angekommen sei, mal wird ein »Praktikant« avisiert und von einer »Hochzeit« gesprochen. Die Kommunikation ist offenkundig kodiert. Was genau gemeint ist, können weder die Experten vom BKA noch die CIA schlüssig erklären.
Als die Islamisten im April melden, sie würden endlich »die Kurden« erwarten, publiziert die US-Botschaft eine Warnung an alle Amerikaner: Für Deutschland wird eine erhöhte Anschlagsgefahr ausgerufen. Die Sorge, dass mit den »Kurden« ein »Hit-Team« gemeint ist - ein Kommando aus dem Ausland, das einen Anschlag ausführen soll -, trügt freilich: Noch ist die Gruppe nicht so weit. Die Männer brauchen noch bis zum Sommer.
Es ist Freitag, der 20. Juli, als sich Gelowicz und Adem Y. zu einem Ausflug treffen. Sie wollen nach Hannover fahren, zu
einem Chemikalienhändler. Es soll die letzte große Fahrt werden, sie sind jetzt bald so weit. Gelowicz hat im Februar mit dieser Art der Beschaffung begonnen, insgesamt werden es fünf Shoppingtouren.
Die Islamisten sind auf der Suche nach Wasserstoffperoxid, einer Chemikalie, die frei verkäuflich ist, wenn sie eine Konzentration von unter 50 Prozent aufweist, und mit der unter anderem Haare gebleicht werden. Einmal, am Anfang, hat Gelowicz versucht, den Stoff in hochprozentiger Form zu erwerben. Aber der Chemikalienhändler fragte nach einem Zertifikat, das Gelowicz nicht vorweisen konnte. Seitdem kauft der Konvertit handelsübliche Ware, 35 Prozent konzentriert, in viereckigen blauen Kanistern.
Es gibt ein Handbuch der IJU, in dem beschrieben wird, wie man dieses Wasserstoffperoxid anreichert. Man erhöht die Konzentration bis auf 65 oder 70 Prozent, man mischt Stärke dazu, die zum Beispiel in Mehl vorkommt. »Abdul Malik« und Adem Y. kennen offenbar das Rezept: Sie haben Mehl in größeren Mengen eingekauft, das haben die Behörden beobachtet.
Wie sehr sie der Hass auf Amerika treibt, zeigt ein Zwischenfall aus dem Mai. Ein Observationsteam beobachtet Adem Y. und ein paar Freunde dabei, wie sie in Darmstadt Streit vor einer Discothek suchen, die vor allem von GIs besucht wird. Als die Provokationen nicht zünden, zieht die Gruppe durch die Straßen und zersticht Reifen von Autos amerikanischer Marken, bis eine Polizeistreife sie stellt.
Bei der letzten Einkaufstour, an jenem Juli-Freitag, fahren Adem Y. und Gelowicz auf der Autobahn nach Hannover. Auf dem Weg überlegen sie, was sie mit all den Ingredienzien anstellen könnten. Flughäfen, sagt einer der beiden. Oder eine Kaserne der Amerikaner. Oder einen Nachtclub, sagt der andere, »eine Disco mit amerikanischen Schlampen«.
Die Beamten des BKA haben das Auto verwanzt, sie hören mit, und die Autofahrt wird zu einer Schlüsselszene dieses Falles.
Jetzt wissen die Ermittler, dass es ernst wird. Und sie reagieren.
Am 30. Juli, zehn Tage nach der überwachten Autofahrt nach Hannover, pirscht ein Kommando des BKA in einer sternenklaren Nacht durch Wittlensweiler, einen Ortsteil des Kurorts Freudenstadt im Schwarzwald. Wittlensweiler ist auf der Landkarte der Ermittler rot markiert, seit Gelowicz, Daniel S. und Adem Y. dort eine Garage gemietet haben, im Immenweg, gegenüber vom evangelischen Kindergarten, mitten im Ortskern.
Das BKA hat den halben Ort im Visier, auf einem Waldweg nahe der Bundesstraße 294 fallen die schwarzen Dienstlimousinen auf. Einem neugierigen Förster müssen Fahnder die Dienstausweise unter die Nase halten. Bei einem der letzten Landwirte im Ort wollen die freundlichen Herren einen Trecker ausleihen, zur Tarnung bei der Observation. Auch im evangelischen Kindergarten im Immenweg, mit bestem Blick auf die verdächtige Garage, hat sich die Truppe einquartiert.
In dem Bau, das wissen die Ermittler, lagern die zwölf Kanister mit Wasserstoffperoxid, 35-prozentig, 730 Kilogramm insgesamt, der Grundstoff für das offenbar geplante Höllenfeuer.
Die Beamten, die in jener Juli-Nacht durch den Schwarzwald schleichen, haben ebenfalls zwölf azurblaue Fässer dabei, die Etiketten weisen den Inhalt als 35-prozentiges Wasserstoffperoxid aus. Sie stammen wie die Originale von der CVH Chemie-Vertrieb GmbH & Co KG Hannover, zwei BKA-Beamte haben sie Ende Juni abgeholt. In Wahrheit liegt die Konzentration in diesen Fässern aber nur bei drei Prozent. Diese Lösung ist nicht sprengstofftauglich, die Gefahr vorerst gebannt.
Im Kanzleramt und im Anti-Terror-Zentrum diskutieren die Spitzen der Sicherheitsbehörden, wann der beste Zeitpunkt für den Zugriff ist. Die Ermittler wollen möglichst lange warten, um weitere Mitwisser festnehmen zu können.
Dann meldet sich Ende August bei Gelowicz ein Mann aus Nordpakistan, der wohl zur IJU gehört. Die Usbeken scheinen ungehalten, der Mann am Telefon drängt, man möge sich beeilen. Er setzt den Deutschen eine Frist von gut zwei Wochen.
Das BKA berechnet den Tag des möglichen Anschlags. Es ist der 15. September.
Dass der Showdown fast zwei Wochen früher stattfindet, liegt auch an zwei Sauerländer Dorfpolizisten: Nichts ahnend kontrollieren die beiden Beamten am Montagabend vergangener Woche das Auto von Gelowicz, Adem Y. und Daniel S., weil das Trio mit aufgeblendeten Scheinwerfern fährt. Als die Polizisten die Papiere der Islamisten durch den Computer ziehen, springt das System an. »Oh«, entfährt es einem der Beamten, »die stehen auf der Liste des BKA!«
Der Dorfpolizist sagt das so laut, dass ihn nicht nur die drei Verdächtigen im Auto hören, sondern auch die BKA-Fahnder, die den Wagen verwanzt haben und live lauschen. Von da an ist es eine Frage von Stunden. Während sich Adem Y. und Daniel S. später im Ferienhaus widerstandslos festnehmen lassen, versucht Gelowicz zu fliehen. Er kommt 300 Meter weit, dann reißt ihn ein Polizist nieder, es gibt einen Ringkampf. Bei der Festnahme löst sich ein Schuss.
Ein Schuss nur statt eines Höllenfeuers - der Erfolg beflügelt nun nach dem glücklichen Ende der Operation jene, die angesichts der nähergerückten Terrorgefahr härtere Saiten aufziehen wollen: Nur Stunden vor dem Finale im Sauerland verschärfte die Kanzlerin beim CDU-Grundsatzkongress in Hanau den Ton. Die SPD müsse nun endlich der geplanten Online-Durchsuchung von Computern zustimmen. Am Freitag bat der Bundesinnenminister seine Länderkollegen zu einer Sondersitzung: »Es geht jetzt darum, was wir aus dem Fall lernen«, sagt der Minister.
Womöglich ist das aber weniger, als es auf den ersten Blick erscheint, denn so eindeutig sind die Lektionen nicht. Bei dem
derzeit wohl heftigsten Streitpunkt der Großen Koalition, der von Schäuble beharrlich geforderten Online-Durchsuchung, geben die Ermittlungen bei der »Operation Alberich« wenig Anlass für politisches Trommelfeuer. Zwar gehört zur Wahrheit, dass die intensive Kommunikation zwischen Pakistan und Süddeutschland die »gewachsene Bedeutung des Internets« belegt, von der Schäuble stets spricht, wenn er seinen Wunsch nach neuen Möglichkeiten begründet.
Der Fall zeigt aber auch, dass die Online-Durchsuchung in der politischen Debatte ein gewichtiges Problem, in der Praxis aber derzeit nur ein Aspekt unter vielen ist: Selbst bei komplexen Ermittlungen wie der »Operation Alberich« können die Behörden ohne Zugriff auf die Festplatten von Verdächtigen wie Gelowicz Erfolg haben. Deren E-Mails und auf Internet-Rechnern gespeicherte Nachrichten können Verfassungsschutz und Polizei längst schon überwachen - ebenso wie sie Telefonate abhören können.
Mit manchen Restriktionen, auch dafür ist das Verfahren ein Beleg, können die Sicherheitsbehörden leben, mögen sie auch hinderlich sein: Das Ferienhaus in Oberschledorn etwa verwanzte das BKA trotz der hohen rechtlichen Hürden beim Großen Lauschangriff - ohne Einwände des Ermittlungsrichters.
Am Freitagnachmittag saß ein müder, aber zufriedener Wolfgang Schäuble in seinem Büro; über Berlin-Moabit schien die Sonne, und der Innenminister wollte das Licht sehen, nicht den Schatten. Beim Treffen mit den Länderkollegen mauerte die SPD, schnell wird er seine Online-Durchsuchung wohl nicht bekommen. Schäubles Parteifreund aus Niedersachsen, Uwe Schünemann, schäumte erwartungsgemäß und nannte die Sozialdemokraten »unverantwortlich«.
Schäuble aber freute sich lieber, dass in einer anderen wichtigen Frage Brigitte Zypries eingelenkt hat, die Kollegin aus dem Justizressort, und dieser Tage vor allem: die Sozialdemokratin. Zypries hat signalisiert, dass sie den Widerstand gegen eine Verschärfung der Terrorismus-Paragrafen in Teilen aufgeben will. Dann könnte auch der Aufenthalt in einem Ausbildungslager unter Strafe gestellt werden. Eine solche Regelung wäre wie maßgeschneidert für Gelowicz und all jene Pakistan-Reisenden gewesen, die sich derzeit noch am Hindukusch aufhalten.
Schäuble legte den Kopf zur Seite, er freute sich auch, dass Chertoff nach dem Zugriff angerufen und sich bedankt hatte. Aber der Minister fürchtet nun, dass die Ruhe nicht von Dauer sein wird. »Wir glauben nicht, dass die Gefahr zu Ende ist«, sagt er. »Diese Zelle ist am Ende, aber vielleicht gibt es bald eine neue.«
SIMONE KAISER, MARCEL ROSENBACH,
HOLGER STARK
* Bundesanwalt Rainer Griesbaum (2. v. l.), Generalbundesanwältin Monika Harms, BKA-Chef Jörg Ziercke bei einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch in Karlsruhe.