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KOALITION Operation IV

Der SPD-Führung ist mulmig. Sie weiß nicht, wie sie die FDP zur Koalitionstreue verpflichten soll.
aus DER SPIEGEL 13/1976

Hans Koschnick, Neuling im SPD-Präsidium, hat gelernt, daß er längst nicht mehr alles sagen darf, auch wenn es die Wahrheit ist.

In der Sitzung des SPD-Präsidiums am Dienstag vergangener Woche fielen altgediente Kollegen über Koschnick her, weil er mi SPIEGEL das Ende der sozialliberalen Ära in Bonn für das Jahr 1980 vorausgesagt hatte.

Helmut Schmidt und Herbert Wehner warfen dem Bremer Bürgermeister vor, seine öffentlichen Äußerungen erschwerten ihnen unnötig die Arbeit und böten vielen Liberalen, voran dem FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher, ein willkommenes Alibi. Der bayerische SPD-Chef Hans-Jochen Vögel: »Wer sich jetzt mit der FDP anlegt und das Bündnis in Frage stellt, der stärkt nur diejenigen Liberalen, die zur CDU hin wollen.«

Der baden-württembergische SPD-Vorsitzende Erhard Eppler beklagte sich, Koschnicks »Balkenüberschriften« über das Ende der SPD/FDP-Koalition schadeten seiner Partei im Landtagswahlkampf. Und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn urteilte über seinen Nachfolger im Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden: Der Hanseat habe »nicht überwältigend« klug gehandelt.

Dabei sind sich die Parteioberen insgeheim darüber einig, daß Koschnick die tatsächliche Lage eher noch geschönt hat. Unterderhand geben führende Sozialdemokraten zu, daß sie den FDP-Auszug aus der Allianz schon vor 1980 erwarten. So sah Koschnick denn auch keinen Anlaß für einen Kotau: »Ich habe nichts zurückzunehmen.«

Hinter der Pflichtkritik an dem Partei-Vize versucht die SPD-Spitze ihre Sorgen zu verbergen. In der Parteizentrale macht sich Resignation breit. Denn die Anzeichen für einen knappen Ausgang der Bundestagswahlen mehren sich und mithin die Chancen der Union, die Regierungsführung zu übernehmen. Eine erfolgversprechende Gegenstrategie ist im SPD-Hauptquartier noch niemandem eingefallen.

Wie immer sich die Sozialdemokraten verhalten: Schaden für die Partei scheint kaum mehr abzuwenden zu sein. Kommt die SPD-Führung den Freidemokraten zu weit entgegen, indem sie im Wahlkampf auf Reformaussagen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verzichtet, verprellt sie ihre Stammwähler und riskiert Konflikte an der Basis.

Bisher hatte sich die Parteilinke mit verwaschenen Reformen wie etwa hei der Mitbestimmung und der Steuerreform um der Erhaltung der Macht willen abgefunden. Diese Disziplin aber muß verlorengehen, wenn Helmut Schmidt die Dominanz der FDP im Bündnis zuläßt und in Bonn statt sozial-liberaler künftig liberal-soziale Politik gemacht wird.

Welche Folgen hingegen ein Konfliktkurs gegenüber der FDP haben müßte, ist der SPD-Führung inzwischen ebenfalls klargeworden: Die Erosion der Allianz würde nur beschleunigt.

Der ehemalige Ost-Unterhändler und heutige Entwicklungshilfeminister Egon Bahr bestritt in der vergangenen Woche, daß Genscher und CDU-Chef Helmut Kohl substantielle Nachbesserungen der Polen-Verträge durchgesetzt hätten. Bahr machte sich sogar mit Franz Josef Strauß gemein, indem er ihm recht gab »mit seinem Zweifel« an der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der nachgeschobenen Interpretationen: »Auch wer Strauß nicht liebt, muß ihm recht geben, wenn er recht hat.«

Genscher reagierte heftig und beharrte ebenso wie Kohl darauf, daß die zusätzlichen Erklärungen sehr wohl völkerrechtlich verbindlich seien. Szenenwechsel in Bonn: Genscher und Kohl als Partner Seite an Seite, gegenüber, sitzengelassen, Schmidts SPD und Franz Josef Strauß.

Wenig Sinn macht es da auch, daß die SPD durch drohendes Fuchteln mit dem Knüppel der Großen Koalition die FDP einzuschüchtern versucht. Denn damit liefert sie Genscher das Argument frei Haus, das er braucht, um die aufs sozialliberale Bündnis eingestellte Mehrheit seiner Partei für den Schwenk zur CDU zu gewinnen.

Dennoch setzte SPD-Präside Heinz Kühn letzte Woche in Bonn die Flüsterparole in Umlauf, es könne entgegen allen Erwartungen doch noch zu einer schwarz-roten Koalition kommen -- zunächst an der Saar. Saar-Ministerpräsident Franz Josef Röder habe ihm nämlich in der vorletzten Woche bedeutet: Er. Röder, sei keineswegs bereits auf den Bund mit der FDP fixiert, für ihn komme auch die SPD als Partner in Frage. Kühn: »Ich hatte den Eindruck, Röder ist die eine Lösung nicht lieber als die andere.«

Auch der saarländische CDU-Landesvorsitzende Werner Scherer verunsicherte die Freidemokraten -- um die Preise bei Koalitionsverhandlungen mit den Liberalen zu drücken. Er hielt es »durchaus für denkbar«, daß bei bestimmten Notsituationen eine Große Koalition »für einen befristeten Zeitraum mit wenigen, klar abgegrenzten Sachproblemen« regieren könnte.

Hat das Spiel mit Großen Koalitionen in Bundesländern schon wenig Glaubwürdigkeit, so ist eine Neuauflage der CDU/SPD-Verbindung in Bonn bei der derzeitigen Stimmungslage unter den Sozialdemokraten erst recht unwahrscheinlich. SPD-Vogel: »Wenn in der Partei jetzt über die beiden Möglichkeiten abgestimmt würde, mit der CDU zu regieren oder in die Opposition zu gehen, würde die zweite Alternative breitere Resonanz finden.«

Gleichwohl empfiehlt Vogel seiner Partei umzudenken. Die SPD dürfe nicht mehr sämtliche Unionspolitiker »über einen Kamm scheren«. Strauß müsse auch weiterhin als Bubmann herhalten, bei Unionspolitikern wie Kohl und dem niedersächsischen Ernst Albrecht aber solle künftig auf Gemeinsamkeiten geachtet werden.

Unter koalitionspolitischem Aspekt würde es auch manchem führenden Sozialdemokraten gut passen, wenn sich auf der Unionsrechten eine vierte Partei abspaltete. Dann bliebe nämlich eine von Ultras gereinigte liberale CDU der Mitte übrig -- für die SPD ein durchaus willkommener Partner.

Dagegen stehen die Wahlstrategen in der SPD mit ihrem Argument, eine vom rechten Flügel befreite Union werde sich bis tief in die linke Mitte hinein ausweiten können und Wählerschichten erreichen, die bisher fest auf die SPD eingeschworen sind.

Sorge bereiten den Wahlkampfmanagern der SPD überdies Informationen aus dem CDU-Hauptquartier über eine »Operation IV« (Unions-Kürzel). Danach soll die von dem früheren National-Liberalen Dietrich Bahner gegründete Arbeitsgemeinschaft Vierte Partei (AVP) sich künftig, anders als bisher, mit Duldung der CSU-Landesleitung als Sachwalterin harter CSU-Politik ausgeben dürfen und bundesweit rechte Wähler keilen.

Vier Wochen vor der Bundestagswahl, so der Geheimplan, werde die AVP dann auf die Teilnahme an den Wahlen verzichten und ihrer Klientel empfehlen, für die Union zu stimmen: möglicherweise ein wahlentscheidender Zuschlag für die CDU/CSU.

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