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FRANKREICH Opfer der Wahlschlacht

Der mögliche Wahlsieg der Linken verunsichert Frankreichs Besitzbürger, Banker und Unternehmer. Das Mißtrauen gefährdet den Franc.
aus DER SPIEGEL 8/1978

Der Kurier des französischen Außenministeriums Daniel Hué, 57, reiste in fremdem Auftrag.

Als Hué auf dem Pariser Nordbahnhof in den TEE nach Brüssel steigen wollte, forderten Zollfahnder ihn höflich auf, sein Gepäck zu öffnen. Zum Vorschein kamen mehrere Pakete mit der Aufschrift »Geschenkpapier«. Die allerdings waren prall gefüllt mit 500-Franc-Noten insgesamt 855 000 Franc (rund 368 000 Mark).

Der Regierungsbeamte. der sich offenbar durch allzu häufige Reisen ins Ausland verdächtig gemacht hatte, gab an, er habe die Gelder im Auftrage eines Effektenhändlers an der Börse außer Landes schaffen sollen -- übrigens schon zu wiederholtem Male.

Der Börsenmakler bestritt diese Behauptung, griff sieh bei der Vernehmung ans Herz und fuhr zur Behandlung ins Krankenhaus. Da liegt er nun nicht mehr, er verschwand.

In wessen Auftrag der Kurier des Quai d'Orsay auch immer reiste: Derlei Geldtransfer ist in Frankreich illegal. Weil Kapitalflucht immer wieder den Kurs des Franc gefährlich schnell nach unten drückte, verordneten Frankreichs Währungshüter schon vor Jahren strenge Devisenkontrollen.

Nur bis zu 1500 Franc dürfen französische Bürger ohne Genehmigung ins Ausland überweisen. Die Einrichtung eines Kontos -- etwa in der Schweiz ist verboten. Die Franzosen müssen auf Auslandsreisen mit einer Pauschale von 5000 Franc auskommen, Geschäftsleute dürfen mit zusätzlich 500 Franc pro Tag wirtschaften.

Aber immer dann, wenn's den Reichen, Bankern und Bossen, Spekulanten und Sparern zu brenzlig wird, versagt auch die Devisenzwangswirtschaft.

Aus Angst vor einer Machtübernahme der Volksfront nach den Wahlen am 12. und 19. März inszenieren die Franzosen -- wie stets vor den Wahlen

ihr »Psychodrama des Franc« ("Le Monde"). Vermehrt schaffen sie ihre Franc illegal ins Ausland, die »passeurs«, professionelle Geldschmuggler, haben Hochkonjunktur.

Mit 1,5 Millionen Franc -- in der Federung seines Wagens versteckt

wurde ein ehemaliger Radrenn-Profi an der Schweizer Grenze festgesetzt. Am belgischen Grenzübergang Bettignies nahmen die Fahnder einen Belgier mit 607 250 Franc fest. Auch er gestand: Es war nicht die erste Tour.

Auf diese Weise trieben in den letzten Wochen sonst so nationalbewußte Franzosen die heimische Währung an den internationalen Devisenbörsen auf Rekordtiefen, Banken in den USA, der Schweiz und der Bundesrepublik zogen mit. »Der Franc im Tief -- erstes Opfer der Wahlschlacht«, verkündete »Le Figaro«.

Eilends wies Staatspräsident Giscard d?Estaing seinen Premierminister Raymond Barre an, »alles zu tun, um eine weitere Abschwächung unserer Währung zu verhindern« -- und verunsicherte so vorerst die Spekulanten.

Regierungschef Barre beteuerte denn auch, daß der Schwächeanfall des Franc auf den Devisenmärkten »sich nicht durch objektive Faktoren erklären läßt. Unsere Wirtschaft ist gesund.« Jacques Ferry, Vizepräsident des Unternehmerverbandes CNPF, sekundierte: »Die Situation der französischen Wirtschaft rechtfertigt den Vertrauensverlust nicht.«

Tatsächlich drückte Barre die Inflation jetzt wieder auf die einstellige Ziffer von neun Prozent. Das Defizit in der Handelsbilanz halbierten die Franzosen im letzten Jahr auf elf Milliarden Franc, und in den letzten Monaten erwirtschafteten Frankreichs Außenhändler sogar mehrmals einen Überschuß. Zwar ist die Zahl der Arbeitslosen mit über einer Million noch immer sehr hoch. Aber seit gut drei Monaten geht die Arbeitslosenquote beständig zurück -- was nach Ansicht der Opposition allerdings auf reine Manipulation der Statistik zurückzuführen ist.

»Wenn man Vertrauen in die Zukunft hat«, befand Barre, »ist auch die Währung stark. Aber«, empörte sich der Regierungschef, »es genügte, daß sich der Schatten des Gemeinsamen Programms (von Sozialisten und Kommunisten) über Frankreich ausbreitet« und sofort sagen sich die Franc-Besitzer' »warum sollten wir das Geld noch behalten«?«

Denn Frankreichs Kommunisten und Sozialisten schockten das Finanz- und Wirtschaftsestablishment mit umfassenden Verstaatlichungsplänen -- auch wenn sie über Ausmaß und Ziel der Verstaatlichungs- und Sozialpolitik inzwischen zerstritten sind.

Kommunistenführer Georges Marchais erläuterte der Nation im Fernsehen, was sie nach einem Wahlsieg der Linken zu erwarten hat:

»Als erstes erhöhen wir den Mindestlohn (um 37 Prozent) auf 2400 Franc im April. Sodann erhöhen wir die Löhne, je niedriger sie sind, desto stärker. Die Familienbeihilfen werden sofort um 50 Prozent erhöht, ebenso die Altersrenten auf 1300 Franc. Im ersten Jahr werden 500 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die wöchentliche Arbeitszeit wird auf 40 Stunden in fünf Tagen vermindert. Wir gewähren die volle Rente mit 60 Jahren, für Frauen mit 55. Es wird fünf bezahlte Urlaubswochen geben und 18 Wochen im Rahmen des Mutterschutzes.«

Im Einklang mir den Kommunisten wollen auch die Sozialisten unter Francois Mitterrand den Mindestlohn auf 2400 Franc anheben. Weil gegenwärtig in Frankreich jeder dritte Arbeitnehmer weniger als diese Summe verdient, würden von dem Lohnzuschlag rund sechs Millionen Franzosen profitieren.

Gleichzeitig sollen freilich auch die nächsthöheren Lohn- und Gehaltsgruppen nach oben gedruckt werden. Die Lohn- und Gehaltskosten würden somit drastisch steigen -- ein vermutlich verheerender Inflationsschub soll durch einen befristeten Preisstopp abgeblockt werden.

Allein die -- gegenüber kommunistischen Absichten gemäßigteren -- Wirtschaftsmaßnahmen der Sozialisten würden den nächsten Staatshaushalt um ein Drittel von derzeit angesetzten 398 Milliarden Franc auf 520 Milliarden Franc aufblähen, rechnete das Wirtschaftsblatt »Les Echos« vor. Das bedeutet »eine Verdoppelung der Steuern für alle Franzosen«,ängstigte sich das Blatt.

Zumindest einen Teil der Wirtschaftspläne der Linken sollen Frankreichs Großverdiener und Betuchte über höhere Einkommensteuern (von Marchais anvisierter Steuersatz für Spitzeneinkommen 85 Prozent) und eine erstmals eingeführte Vermögensteuer finanzieren.

Schon sehen manche Besitzbürger Frankreichs die letzte Chance gekommen, ihre Gelder vor staatlichem Zugriff über die Grenzen in Sicherheit zu bringen. Sie erinnern an 1936, als der Sieg der Volksfront mit einer kräftigen Franc-Abwertung endete und die freie Umtausehbarkeit der französischen Währung aufgehoben wurde.

Und wenn die Wohlhabenden nicht zur Kapitalflucht ins Ausland ansetzen, dann verwandeln sie ihr Geld in Gold. »Gold per Kilo« zu kaufen, empfahl »L'Expansion« seinen Lesern, und auch Diamanten seien eine gute »defensive Anlage«. Der Preis je Kilobarren Gold kletterte in Paris um etwa 40 Prozent auf rund 30 000 Franc. Die 20-Franc-Goldmünze »Napoléon« war selten so teuer wie jetzt: fast 300 Franc.

Einer der großen Pariser Juweliere an der Rue de la Paix bekannte: »Wir haben im Januar mehr umgesetzt als im gesamten Jahr 1977.«

In den Tageszeitungen wie etwa dem »Figaro« oder der International Herald Tribüne« häufen sich die Anzeigen für »vertrauliche Anlageberatung« bei Grundstückskäufen in den USA, werden U.S.A.-Farms, $ 1.3 millions, $ 770 000 dollar cash down« angepriesen.

Bei den Volksfrontverängstigten half auch der Appell ans Nationalbewußtsein wenig. »Es gibt keinen Franc der Rechten, es gibt keinen Franc der Linken«, beschwor Sozialistenchef Mitterrand seine Landsleute, »es gibt nur den Franc Frankreichs.«

Wie auch immer -- sicher ist, daß selbst Frankreichs Regierende das Vertrauen in die Währung unterspülten. Denn seit Wochen malen sie der Nation den drohenden Wirtschaftsruin aus.

Das., wirtschaftliche Chaos« sah Staatspräsident Giscard d"Estaing für den Fall eines Sieges der Linken voraus, für Regierungschef Barre »stürzt die Wirtschaft in den Abgrund«, werden »von heute auf morgen 30 Jahre Anstrengungen des Wiederaufbaus hinfällig«.

Unternehmer und Bankiers stehen da kaum nach.« Nur Diktaturen und Entwicklungsländer«, schimpfte etwa Georges Hervet, Chef der Banque Hervet und Leiter des Koordinationsbüros französischer Privatbanken, über linke Pläne, »haben das Kreditwesen völlig verstaatlicht.« Der Präsident des französischen Patronats Francois Ceyrac warnte, »die kleinen und mittleren Unternehmen werden die ersten Opfer sein im Räderwerk (der Linken)«.

In den Direktoren-Etagen der Privatbanken wie Rothschild und Paribas rätseln die Manager, ob sie »zu Ostern wohl schon Staatsfunktionäre oder noch Privat-Bankiers« sein werden. Ambroise Roux, Aufsichtsratsvorsitzender der Compagnie générale d'électricité, dessen Unternehmen auf der Verstaatlichungsliste steht: »Wenn die Linke gewinnt, laß ich mich pensionieren und gehe angeln.«

Bei den Geheimdiensten, die über Jahre etwa Gespräche kommunistischer Gewerkschaftskonferenzen mitschnitten und Leitungen anzapften, bangen Agenten vor Entlassung.

Bereits im letzten Jahr, als nach den Kommunalwahlen sich ein kommunistisch-sozialistischer Sieg abzuzeichnen begann, kritisierte »Le Monde«-Kommentator Pierre Viansson-Ponté überdies jene »hohen Beamten, die nun fieberhaft die Absolution der Linken wollen«.

Nicht selten informieren Funktionäre nunmehr beispielsweise die Sozialisten über Pläne und Projekte in ihren Behörden. Die rechtsradikale »Minute« schuf einen »Ratten verlassen das Schiff«-Preis.« Plötzlich erinnern sich Leute daran«, staunte Mitterrand-Intimus Claude Estier, »daß sie einen sozialistischen Großvater hatten.«

Derlei Wankelmütigkeit, Mißtrauen und Groll gegenüber der Linken sind auch für die Finanzchefs internationaler Großkonzerne Anlaß genug, sich genau wie ihre französischen Kollegen gegen Währungsverluste abzusichern.

Sie kalkulieren mit dem »Franc Mitterrand«, so das Wirtschaftsblatt »Le Nouveau Journal": »Das ist eine Währung, die zwangsläufig und kurzfristig um etwa 20 bis 25 Prozent abgewertet werden muß.«

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