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Waffenhandel Ortstermin in Samarra

Den deutschen Lieferanten der irakischen Giftgasproduktion wird jetzt der Prozeß gemacht.
aus DER SPIEGEL 10/1991

Bei einem Besuch in Washington Anfang Februar wirkte Otto Graf Lambsdorff sichtlich geschockt. Seit 20 Jahren, berichtete der FDP-Chef, reise er regelmäßig in die USA, aber so problematisch sei noch nie ein Besuch gewesen: Die »Hilfe Deutscher« bei der Produktion von Giftgas im Irak sei ein »schwieriges Thema«.

Das Thema ist noch lange nicht durch. Auch nach dem Ende des Golfkrieges wird die Beteiligung deutscher Wirtschaftsunternehmen an der Aufrüstung des Irak in den nächsten Wochen erneut in die Schlagzeilen diesseits und jenseits des Atlantik kommen.

Denn nach gut drei Jahren Ermittlungsarbeit wird die Darmstädter Staatsanwaltschaft in diesem Monat unter dem Aktenzeichen 21 Js 35285/87 zum erstenmal Anklage gegen die mutmaßlichen Lieferanten des irakischen Giftgasarsenals erheben. Und der 309 Seiten starke Schlußbericht der »Sonderkommission Irak« des Zollkriminalinstituts (ZKI) in Köln, auf den sich die Anklage stützt, enthält bislang unbekannte _(* Im Februar vor der Firma Kolb in ) _(Dreieich. ) Vorwürfe gegen westdeutsche und ausländische Manager.

Neben Kaufleuten der einschlägig bekannten Unternehmen Karl Kolb und Pilot Plant aus dem hessischen Dreieich sowie der Water Engineering Trading (W.E.T.) aus Hamburg werden wahrscheinlich auch ein Manager der Preussag AG aus Hannover und mehrere Mitarbeiter kleinerer Firmen angeklagt. Sie alle, rund ein Dutzend, sollen am Bau der Giftgasanlagen von Samarra mitgewirkt haben.

Doch trotz der massiven Anklagevorwürfe drohen in Darmstadt lächerlich geringe Strafen. Die Anklage muß sich auf die Straftatbestände des milden Außenwirtschaftsgesetzes beschränken. Das sieht in diesem Fall höchstens drei Jahre Haft vor.

Für einige Angeklagte könnte es allerdings happiger kommen. Sie müssen sich zudem wegen Untreue oder Betrug verantworten. Die Ermittler werfen ihnen vor, den Streit um die Genehmigung der Exporte in die Wüste für ein profitables Poker mit der Bundesregierung um Schadensersatzforderungen genutzt zu haben.

Bei dem mutmaßlichen Schwindel ging es um die Ausfuhrlizenzen für die Export-Firma Kolb. Die Firma betrieb seit 1982 den Aufbau der Chemiefabriken im irakischen Samarra, in denen Senfgas, Tabun und Blausäure hergestellt wurden.

Obwohl die Amerikaner bereits im Januar 1984 auf die Existenz der Giftgasanlagen in Samarra hinwiesen, lief die Ausfuhr illegal bis 1987 weiter. Als Bonn Teillieferungen untersagen ließ, meldeten die Kolb-Leute, empört über den Export-Stopp, Schadensersatzforderungen in Höhe von 1,6 Millionen Mark an.

Das Bonner Wirtschaftsministerium ließ sich von soviel Frechheit überrumpeln und verhandelte ernsthaft mit den Chemielieferanten über eine Entschädigung. Die Bundesregierung stellte für einen außergerichtlichen Vergleich sogar eine Millionen-Summe zurück.

Fachleute wie beispielsweise der Frankfurter Ingenieur Joachim Schulz oder Heinrich Plinke aus Bad Homburg hatten sich nicht so naiv gezeigt. Sie lehnten 1982 und 1984 die Mitarbeit am Samarra-Projekt ab. Schulz: »Für mich war völlig zweifelsfrei, da sollten Nervenkampfstoffe hergestellt werden.«

Die Regreßforderung von Kolb sehen die Ermittler nun als »versuchten Betrug zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland«. Ein Schaden könne den Lieferanten schon deshalb nicht entstanden sein, weil sie heimlich, um im Irak weitermachen zu können, ausländische Firmen eingeschaltet hätten.

Solche Umweglieferungen wickelte Kolb über die Wiener Neuberger Holz- und Kunststoffindustrie GmbH ab. Kolb-Manager Klaus-Joachim Fraenzel, ein Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik mit Zweitwohnsitz in Bagdad, stieg im August 1987 noch mit einem Anteil von 13 Prozent (rund 200 000 Mark) beim Helfer Neuberger als Gesellschafter ein. Fraenzel ist zugleich Kommanditist bei Kolb.

Ein wichtiger Export-Helfer in Frankreich war die kleine Firma Protec. Pilot-Plant-Techniker Ewald Langer, 64, heuerte im Februar 1987 sogar bei Protec an, offensichtlich, um von dort die Ausfuhren zu steuern.

Mit solchen Umweggeschäften ernteten die Drahtzieher aus Dreieich auch ohne Schadensersatz Millionen-Gewinne. Ermittler beziffern alle Lieferungen deutscher Unternehmen für die Kampfstoffproduktion auf einen Wert von 90 Millionen Mark, der Gewinn wird insgesamt auf 18 Millionen Mark taxiert.

Nicht weniger gewinnträchtig war das Export-Geschäft, das nach Unterlagen der Ermittler eine Clique ehemaliger Preussag-Angestellter offenbar ohne Wissen der Konzernspitze aufgezogen hatte. Schlüsselfigur ist Nazar Al-Kadhi, der von 1976 bis 1982 Repräsentant der Preussag im arabischen Raum war und später zum Handlungsbevollmächtigten avancierte.

Zusammen mit dem Mittelost-Spezialisten der Preussag, Peter Leifer, und dem Export-Sachbearbeiter Otto Holzer ließ Al-Kadhi im Namen seiner Firma in 32 Teillieferungen vier Abfüllanlagen für chemische Kampfstoffe inklusive Ersatzteile und Zubehör in den Irak schaffen. Der Auftrag hatte einen Wert von 7 477 795 Mark; der Gewinn wird auf rund 1,5 Millionen Mark geschätzt.

Im April 1984 ließ das Trio zwei Tanklastfahrzeuge in den Irak bringen - Wert: rund 809 000 Mark. Mit den Wagen sollen in Samarra chemische Kampfstoffe zwischen Produktionsstandort und Abfüllanlage transportiert worden sein.

Unter dem Preussag-Briefkopf beschafften die Beschuldigten außerdem zwei thermische Abluftreinigungsanlagen inklusive Brennstofftanks und Zubehör im Wert von 800 000 Mark. Bei dem Ibbenbürener Unternehmen Schwender orderte Leifer für 3,2 Millionen Mark Teile einer Fertigungsstraße, auf der in Samarra Fliegerbomben produziert wurden. Angeblich sollten auf der Anlage Feuerlöscher gebaut werden.

Der Image-Schaden für die Preussag, die ihre Leute offenbar zuwenig kontrollierte, ist gewaltig. Doch die strafrechtlichen Vorwürfe gegen das Preussag-Management beschränken sich auf Friedrich Bohling, 63. Der Ingenieur war im Konzern zeitweise verantwortlich für die Kontrolle der Region Mittelost, und ihm hätten, nach Ansicht der Kölner ZKI-Ermittler, bei ordnungsgemäßer Ausübung seiner »Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten« die Verstöße auffallen müssen.

Frühzeitig war Bohling vom Leiter der Region Mittelost, einem Syrer, auf Unregelmäßigkeiten Al-Kadhis hingewiesen worden. Daß er nichts unternahm, rechtfertigt der Manager mit Arbeitsüberlastung und dem Hinweis, er habe wegen der traditionellen Feindschaft zwischen dem Syrer und dem Iraker Al-Kadhi an eine falsche Bezichtigung geglaubt.

In Darmstadt werden wahrscheinlich auch die Verantwortlichen kleiner Klitschen vor Gericht stehen. Die Reininghaus-Chemie aus Laatzen gehört dazu. Sie soll Chemikalien geliefert haben, die nach einem Gutachten des Göttinger Wissenschaftlers Dieter Hallmann für die Herstellung von Zwischenprodukten chemischer Kampfstoffe verwendet werden können. Der Versicherungsvermittler Andreas Schwarz, ebenfalls aus Laatzen, soll dem Reininghaus-Mitinhaber Jürgen Stockmeier die Chemie-Transfers vermittelt haben.

Schwarz, ein früherer Wohnwagenhändler, war wiederum von Al-Kadhi angeheuert worden: Man kennt sich in der Giftmischer-Branche.

Das Team Al-Kadhi/Leifer wirkte später bei der Hamburger W.E.T. Diese Firma lieferte Nährböden für biologische Waffen und eine Fabrik zur Vorproduktion von Nervenkampfstoffen.

Von W.E.T. stammt auch jene Chemieanlage mit der Projektbezeichnung MC 1, die irgendwo in der arabischen Wüste verschwunden ist - die Ermittler wissen nur, daß die Fabrik einen Wert von mehr als neun Millionen Mark hat.

Es muß eine gewaltige Anlage sein. Die Lieferung erfolgte 1987 und 1988 in 39 Chargen. In dieser Zeit hatten Außenwirtschaftsprüfer bei W.E.T. bereits Geschäftspapiere gefilzt - ohne etwas Anstößiges zu finden.

Kein Wunder. So harmlos, darauf berufen sich nun auch die beschuldigten W.E.T.-Manager, hätten die Bestellungen geklungen, daß nicht mal sie selbst auf eine kriegerische Verwendung ihrer Lieferungen gekommen seien.

Doch so kann es nach Ansicht der Ermittler nicht gewesen sein. Zeuge der Anklage für die Bösgläubigkeit der Beschuldigten ist Manfred Ruck, der Mann, der einst beim Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn die Lieferung der scheinbar harmlosen Anlagen genehmigte. Referent Ruck fühlt sich reingelegt.

Nach der Genehmigung seien Teile der Anlage in Samarra wesentlich verändert worden, auch habe er Al-Kadhi im Oktober 1984 auf einem Rückflug aus dem Irak auf die Genehmigungspflicht verschiedener Exporte ausdrücklich hingewiesen.

Der Prozeßbeginn wird für den Herbst erwartet. Falls Iraks Diktator Saddam Hussein dann nicht mehr an der Macht ist, wäre sogar ein Gerichtsausflug drin - Ortstermin in Samarra. o

* Im Februar vor der Firma Kolb in Dreieich.

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