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OTTO GROTEWOHL

aus DER SPIEGEL 40/1964

Einen Winter lang - zwischen dem 12. Oktober 1945 und dem 21. April 1946 - war Otto Grotewohl eine Schlüsselfigur der deutschen Politik. Er war ein Schlüssel ohne Bart.

Am 12. Oktober hatte Walter Ulbricht in einer Rede in Berlin eine »verstärkte Aktionseinheit« zwischen KPD und SPD gefordert. Am 21. April, rund sechs Monate später, war die Forderung verwirklicht. An diesem Tag vereinigte sich die sowjetzonale SPD unter Grotewohls Führung mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).

Schauplatz des Ereignisses, das die gesamtdeutsche SPD zerriß und den ersten tiefen Schnitt darstellte, der am Ende zur deutschen Teilung führte, war der Berliner Admirals -Palast. Die Fidelio-Ouvertüre Beethovens war eben verklungen, als Grotewohl, von rechts kommend, und Wilhelm Pieck, von links auftretend, die Bühne betraten. Feierlich schritten sie aufeinander zu. Unter tosendem Jubel schüttelten sie einander die Hände. Grotewohl: »Wir kamen aber beide, um uns in der Mitte zu treffen.«

Was Grotewohl in jenem Winter von 1945/46 tat, mehr noch: worin er sich damals fügte, sicherte ihm - so oder

so - einen Platz in der deutschen Geschichte.

Es war ein düsterer Winter, wohl der trübste der deutschen Geschichte seit Jahrhunderten. Und doch, gab es auch Hoffnungen. Vielen schien der Horizont deutscher Politik, gerade weil sie am Ende angekommen war, voller Möglichkeiten neuer Lebensgestaltung.

Im Juni 1945 hatte Grotewohl zusammen mit anderen Berliner Sozialdemokraten - darunter sein Freund Erich Gniffke, mit dem er die Hitlerzeit überstand und der drei Wochen vor ihm in Westdeutschland starb - den Zentralausschuß« der SPD gegründet.

Wie der CDU-Führer Andreas Hermes, der ebenfalls in diesem Jahr begraben wurde, 1945 hoffte, von seiner »Reichsgeschäftsstelle« in der Ost-Berliner Jägerstraße aus eine Klammer deutscher Reichseinheit in Gestalt einer gesamtdeutschen CDU zu schaffen, so arbeitete Grotewohl in der Behrensstraße daran, seinen »Zentralausschuß« zu einer Reichsführung der SPD heranzubilden.

Wie Hermes in dem Kölner Konrad Adenauer einem überlegenen und schließlich von der Entwicklung begünstigten Rivalen begegnete, so traf Grotewohl auf Kurt Schumacher, der in Hannover eine westdeutsche SPD-Führung formiert hatte.

Bereits im Juni 1945 hatte Grotewohl den Kommunisten die Vereinigung von SPD und KPD zu einer gesamtdeutschen Arbeiterpartei vorgeschlagen. Ulbricht lehnte damals

ab. Erst als im Herbst 1945 die Wahlniederlage der österreichischen Kommunisten zeigte, daß der Kommunismus im deutschen Sprachgebiet keine demokratische Chance hat, stellte Ulbricht seine Forderung nach »Aktionseinheit«. Hauptpunkt seines Vereinigungsprogramms: »paritätische« Besetzung sämtlicher Führungsstellen.

Was das bedeutete, sah Schumacher voraus: Die SPD sollte als »Blutspender« der Vereinigungspartei dienen; die faktische Führung dieser Partei würden, zumindest in der Zone, die Kommunisten mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht an sich reißen.

Schumacher lehnte Ulbrichts Plan deshalb schneidend ab. Grotewohl schwankte. Dreimal versuchte Schumacher den Berliner Genossen zu bewegen, Widerstand gegen die sowjetischen Lockungen und Drohungen zu leisten - notfalls die sowjetzonale SPD aufzulösen.

Am Ende entschloß sich Grotewohl, dem sowjetischen Druck nachzugeben - vermutlich aus Ehrgeiz, vielleicht, weil Schumachers Hohn darüber, daß er sich und seine Unterführer von den Sowjets mit »Pajoks« (Geschenkpaketen) aushalten ließ, ihn verletzte, jedoch sicher auch,

weil er hoffte, schließlich doch, wenn erst einmal die Russen abgezogen sein würden, im Kampf mit Ulbricht der Stärkere zu sein und dann eine echte Verständigung Deutschlands mit Sowjetrußland durchsetzen zu können.

Was Grotewohl vor diesem Winter war - Parteifunktionär und Minister im Lande Braunschweig, Gewerkschaftssekretär und Reichstagsabgeordneter -, reicht allenfalls für biographische Handbücher; was hinterher kam, steht entweder in der kommunistischen Devotionsliteratur oder in den apokryphen Schriften jener Kommunisten und Sozialisten, die er als Ministerpräsident der DDR vor Ulbricht zu retten versuchte und die wissen, wie er den Stalinismus Ulbrichts zu mäßigen bestrebt war.

Einem von ihnen - dem damaligen Chefredakteur des kommunistischen Deutschlandsenders und jetzigen »Stern«-Redakteur Leo Bauer - sagte er kurz vor dessen Verhaftung: »Leo, du siehst nicht gut aus. Ich glaube, dir würde eine Luftveränderung guttun.«

Wie er Bauer zur Flucht riet und wohl auch seinem Freund Gniffke 1948 empfahl, nach Westdeutschland zu gehen, emigrierte auch er: in die Schreibtischarbeit, in die Malerei, in das Familienleben mit seiner zweiten Frau und schließlich in den Tod.

Er starb, gelähmt und des Sprechens nicht mehr fähig, als ein Zerrissener in einem Deutschland, an dessen Zerreißung er, von falschen Hoffnungen getrieben, einen Winter lang mitgewirkt hat.

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