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ENGLAND / MONARCHIE Palast in Pimlico

aus DER SPIEGEL 11/1960

Ein fruchtbares Jahr königlicher Liebe ist angebrochen: Des Perser-Kaisers Neuvermählte Farah Diba sieht - allen Gesetzen pahlevischer Gemächlichkeit zum Trotz - schon jetzt Mutterfreuden entgegen. In Tokio wurde die Kronprinzessin Mitschiko, in London Königin Elizabeth II. von einem Jungen entbunden.

Allein, eine andere Liebesaffäre im Buckingham Palace hat das freudige Ereignis an der Themse noch überstrahlt: Die Schwester der Königin, Prinzessin Margaret, Europas begehrtester Spät-Twen, verlobte sich sechs Tage nach der Prinzengeburt mit dem Hofphotographen Antony ("Tony") Charles Robert Armstrong-Jones.

Die Verlobung wurde von Clarence House, dem Sitz der Königin-Mutter, bekanntgegeben, während die königliche Familie noch um die letzte Vizekönigin von Indien, Lady Mountbatten, trauerte, die keine 48 Stunden nach der Geburt des dritten Königskindes auf einer Rot-Kreuz-ähnlichen Mission in Borneo unter mysteriösen Umständen heimgegangen war. Die Todesursache von Prinzgemahl Philips Tante blieb dunkel; ihr Leichnam wurde im Ärmelkanal den Wellen übergeben.

Damit war die Pforte zum Hinterhof romantischer Spekulationen weit aufgestoßen: Als dreizehn Tage nach der Geburt des neuen Briten-Prinzen nur undeutliche Aufnahmen von ihm in der Presse erschienen waren, das Neugeborene immer noch keinen Namen erhalten hatte und die Nachrichten über den Gesundheitszustand von Mutter und Kind entgegen früheren Gepflogenheiten nur spärlich aus dem Palast sickerten, tauchte das Gerücht auf, der wirklich ungewöhnliche Schritt, noch während der offiziellen Trauerwoche für Lady Mountbatten die Verlobung von Prinzessin Margaret bekanntzugeben, sei gewagt worden, um die Öffentlichkeit durch diese Sensation von Fragen nach der Gesundheit und dem Zustand des königlichen Babys abzulenken.

In der Tat war die Verlobung der Prinzessin mit dem bürgerlichen Hofphotographen wie kein anderes Ereignis angetan, die freie Welt zu fesseln. Seit die Schwester der Königin vor fünf Jahren dem schmucken Group Captain Peter Townsend den Laufpaß gab, weil sie einen geschiedenen Mann nicht heiraten könne, ist jeder Flirt Margarets in Bild, Wort und Ton über fünf Erdteile verbreitet worden. Ihre Zuneigung zu Tony aber, den sie vor zwei Jahren kennenlernte, blieb ein besser gehütetes Geheimnis als die Atombombenformeln eines Klaus Fuchs. Erst im vorigen Monat hatte der »Sunday Express« zu berichten gewußt, es sei »in keiner Weise sicher«, daß die Prinzessin überhaupt je heiraten werde.

Die Überraschung war entsprechend groß - vor allem die Verblüffung über den Bräutigam. Noch im vergangenen Jahr verbrachte Tony Armstrong-Jones seine Ferien in der Schweiz gemeinsam mit dem chinesischen Mannequin Jackie Tochan, das zwei Jahre lang seine Begleiterin gewesen war und zur Zeit eine Prostituierte in der Verfilmung von »The World of Suzie Wong« spielt.

Tony selbst zählte für die Öffentlichkeit nicht zum »Margaret Set«. Allerdings tauchten die Namen seiner Verwandten nicht selten in den Gesellschaftsspalten der englischen Presse auf. Sein Onkel, Oliver Messel, ist einer der besten Bühnenbildner Englands; Tonys Vater, der angesehene Anwalt Ronald Armstrong-Jones, 60, ist mehrmals geschieden und heiratete erst fünfzehn Tage vor der Verlobung seines Sohns die 31jährige Stewardeß Jenifer Unite.

Sie ist die dritte Frau des Ronald Armstrong-Jones und nur ein Jahr älter als ihre zukünftige Stief-Schwiegertochter Margaret.

Seine zweite Frau, der er zur Hochzeit eine kleine Bahama-Insel schenkte, ist heute mit dem italienischen Anwalt Giuseppe ("Beppo") Lopez verheiratet; die erste Frau, Tonys Mutter, ehelichte nach ihrer Scheidung den Earl of Rosse.

Tonys Jugend wurde von dem ständigen Wechsel seiner Mütter nicht allzusehr berührt. Er wuchs nach alter Tradition der britischen Oberschicht in Internaten und

Universität auf - zunächst in Sandroyd, wo auch Ex-Premier Eden, Bühnenautor Terence Rattigan und Churchill-Sohn Randolph die Schulbank drückten, später in Eton und in Cambridge, dessen Achter der infolge einer Kinderlähmung im Wuchs zurückgebliebene (1,58 Meter), aber stimmgewaltige Student Armstrong -Jones 1950 in dem traditionellen Bootsrennen gegen Oxford auf der Themse zum Sieg steuerte.

Daß er den gleichen Schulschlips trug wie der ebenfalls in Eton aufgezogene Herzog von Kent, verschaffte dem jungen Photographen Antony Armstrong-Jones 1956 eine Empfehlung an den Buckingham Palace.

Im zwanzigsten Jahrhundert haben

die Photographen den Platz der einstigen Hofmaler à la Velázquez, Rubens oder Goya an der Tafel der Könige eingenommen. Der bekannteste britische Photograph, Cecil Beaton, dessen Nachfolge Tony Armstrong-Jones im Buckingham Palace antrat, stand mit der königlichen Familie fast auf vertrautem Fuß. Der Photograph Baron, Lehrmeister des Armstrong-Jones, ist wie der australische Kameramann Joe Fallon ein persönlicher Freund des Prinzgemahls Philip. Auch die Churchill-Tochter Sarah war vorübergehend mit dem Society-Photographen Anthony Beauchamp verheiratet, der durch Selbstmord endete.

Tony Armstrong-Jones allerdings wird zum Kummer der Londoner Photo-Verleger seine Beschäftigung als Lichtbildner, in der er Überdurchschnittliches leistete, aufgeben. Auch das Leitartikel-Frohlocken der sittenstrengen »Times«, es sei eine »besondere Tugend« des Bräutigams, daß er - entgegen anderen Ehepartnern der königlichen Familie - kein fremdes Blut in seinen Adern trage, erwies sich bei näherer Betrachtung als voreilig.

Zu allem Überfluß stecken wieder die Deutschen dazwischen: Tonys Urgroßonkel mütterlicherseits, Alfred Messel (1853 bis 1909), gehörte zu den bekanntesten Berliner Architekten seiner Zeit; er baute unter anderem das Kaufhaus Wertheim in Berlin. Und ein Bruder dieses Architekten, der Urgroßvater des künftigen Königin-Schwagers, ist erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus Deutschland nach England eingewandert und hat dort eine Bank gegründet.

Die große Queen Victoria pflegte in jenen Jahren den Buckingham Palace ironisch nach dem nahegelegenen, unfashionablen Stadtteil Pimlico »My Palace in Pimlico« zu nennen. Ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod wird Antony Armstrong-Jones diese Woche in den Buckingham-Palace einziehen - und sein bisheriges Studio in Pimlico Road 20 verlassen.

Mrs. Gladis Muldowney, die dort über ihm wohnte, erinnerte sich an ihren über Nacht aus Pimlico Road in den Pimlico -Palast umgezogenen Untermieter: »Er scheint ein sehr moderner junger Mann zu sein. Er liebt Jazz und er liebt ihn laut ... Er scheint der übliche Typ des fröhlichen, jungen Junggesellen zu sein. Wie ich annehmen muß, bekochte er sich selber. Ich konnte es riechen.«

Außer der gemeinsamen Schwäche für Jazz verbindet die Jungverlobten auch ihr Interesse für Mode: Prinzessin Margaret, die bei Victor Stiebel in London arbeiten läßt und nur aus patriotischen Gründen darauf verzichtete, sich in Paris einzukleiden, bekommt einen Gemahl, der Wildleder-Jacketts und -Stiefel bevorzugt und gelegentlich sogar eine Ein-Mann-Modenschau mit selbstentworfenen Ski-Modellen veranstaltete.

Die Freude seiner Verlobten am Tanzen vermag Tony Armstrong-Jones hingegen nicht zu teilen: Ein steifes Bein ist die Folge seiner Kinderlähmung. Dafür pflegt er »auf Partys den Clown zu spielen«. ("Time")

Mit diesem Mann verheiratet, wird Prinzessin Margaret - wie der »Toronto Star« in Anspielung auf den populären Familiennamen des Bräutigams schrieb - »die berühmteste aller Jones« werden. Amerikas Sprichwort »Keep up with the Joneses« (Halte Schritt mit den Schmidts) hat über Nacht eine doppelsinnige Bedeutung erhalten

Solche und ähnliche Aspekte waren wahrhaftig dazu angetan, die Aufmerksamkeit der Welt von der Königin und ihrem Kind vollkommen abzulenken. Hans Zehrer als »Hans im Bild": »Hier spricht das Leben, wie es nun einmal ist.«

Indes kann es tatsächlich noch einen anderen plausiblen Grund für die Bekanntgabe der Verlobung in der Trauerwoche für Lady Mountbatten geben: Denn zweifellos mußte der Hof befürchten, das Geheimnis der Prinzessin würde - wie andere Flirts - voreilig aus dem Palast in die Presse sickern und damit die Affäre belasten.

Nun hätte man das Geheimnis gewiß noch eine Woche wahren können - allein gerade jener Tag, an dem die offizielle Trauer der königlichen Familie für Lady Mountbatten ablief, war der Schalttag, der 29. Februar. Und an diesem nur alle vier Jahre wiederkehrenden Datum haben nach englischer Tradition nicht die Herren, sondern die Damen das Recht, ihren Auserwählten den Heiratsantrag zu machen.

Der Verdacht, die Legitimierung des Liebesverhältnisses sei so eilig gewesen, daß deswegen das Ende der Trauerwoche nicht abgewartet wurde, konnte vom Hof leicht ausgeräumt werden, indem der Hochzeitstermin erst auf den Sommer gelegt wurde. Das Auftauchen der Vermutung aber, nicht Tony, sondern Margaret habe sich erklärt, hätte sich bei einer Bekanntgabe der Verlobung nach dem 29. Februar ungleich schwerer verhindern lassen.

Prinzessin Margaret, Verlobter: Keep up with the Joneses

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