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INDOCHINA Panik säen

Hanoi legt in den besetzten Nachbarstaaten Kambodscha und Laos Wehrdörfer für vietnamesische Bauern an, um seine Herrschaft über ganz Indochina dauerhaft zu sichern. *
aus DER SPIEGEL 34/1983

Sie tragen spitze Hüte aus Reisstroh und werden von den Einheimischen verächtlich »A Yuon« (etwa: vietnamesische Kanaken) genannt - Vietnamesen im besetzten Kambodscha.

Gemeint sind aber nicht die Besatzungstruppen, von denen noch immer rund 180 000 Mann im Lande stationiert sind, um das Regime des Hanoi-hörigen Präsidenten Heng Samrin zu stützen.

Die neue Welle der vietnamesischen Invasoren sind friedfertige Reisbauern, Fischer und Handwerker. Die Regierung in Hanoi hat sie mit dem Auftrag in Marsch gesetzt, sowohl das strategisch wichtige Zentrum von Kambodscha rund um die Hauptstadt Pnom Penh als auch die Grenzregionen abzusichern.

Einen Plan für diesen organisierten Massentreck in fremdes Land gibt es schon seit vier Jahren. Im August 1979 veröffentlichte Che Viet Tan, einer der führenden vietnamesischen Wirtschaftsplaner, in der theoretischen Zeitschrift Hanois »Tap Chi Cong San« einen Aufsatz zur »Umorganisation der Kampfzonen in neue Wirtschaftszonen«. Tan empfahl, rund zehn Millionen seiner Landsleute zum Schutz der Grenzgebiete umzusiedeln - vor allem nach Kambodscha und Laos. Die Vietnamesierung Südostasiens wäre kaum aufzuhalten.

Allein in Kambodscha liegt nach Aussage des thailändischen Außenministers Siddhi Sawetsila die Zahl der vietnamesischen Wehrsiedler, die mit Familie und Hausrat Schub für Schub über die Grenze kamen, schon bei 400 000 Menschen. Kambodschanische Flüchtlinge haben von Geheimstatistiken der vietnamesischen Besatzungsmacht berichtet, in denen die Zahl von einer halben Million Vietnamesen stehen soll.

Obschon das Khmer-Volk nach dem Sturz des Horror-Regimes von Pol Pot wieder auf sechs Millionen Menschen angewachsen ist, läge der Anteil der eingewanderten Minderheit an der Gesamtbevölkerung bei fast zehn Prozent.

Im gleichfalls von Hanoi ferngelenkten Laos wird die Zahl der bisherigen Neusiedler auf rund 100 000 Vietnamesen geschätzt; 60 000 zusätzliche Fremde sind vietnamesische Besatzungssoldaten.

Daß die befohlene Überfremdung auf den Widerstand der einheimischen Bevölkerung stößt, war auch dem Regime des kambodschanischen Statthalters Heng Samrin klar. Das beweisen zwei geheime Parteidokumente, die Überläufer nach Thailand schmuggelten.

In den Schreiben, unterzeichnet vom kambodschanischen Premier Chan Si und ZK-Sekretär Si Puthang, wird die Unterstützung der »vietnamesischen Brüder und Schwestern« befohlen, die »in der Land- und Forstwirtschaft, im Fischereiwesen, in der Salzherstellung oder als Handwerker tätig sind«.

Gleichzeitig künden die Parteischreiben an, daß die Einwanderer »vertraute Freunde und enge Verwandte zu ihrer Hilfe und Unterstützung« ins Land der Khmer nachholen dürfen.

Die Neuen sollen sich nicht etwa so schnell wie möglich assimilieren. Sie bleiben in einer eigenen »Massenbewegung« organisiert, die Kambodschanern verschlossen ist, und haben sogar eine eigene Justiz.

Die »komplizierte Angelegenheit« könne »leicht vom Feind mit Hilfe der psychologischen Kriegführung ausgenutzt werden, um Panik zu säen und unsere zwei Völker zu entzweien«, warnen die Schreiben. Darum sei »äußerste Vorsicht« geboten.

Was die Immigration zusätzlich kompliziert: Viele der Vietnamesen haben bis in die 70er Jahre als Händler oder Arbeiter auf den kambodschanischen Kautschuk-Plantagen gelebt. Sie sprechen die Landessprache, sind mit den Landessitten vertraut und erst in den Kriegs- und Nachkriegswirren aus dem Khmer-Reich geflüchtet oder des Landes verwiesen worden.

Für die mißtrauischen Kambodschaner macht das freilich kaum einen Unterschied. Sie nennen diese Rückwanderer, in denen sie eine besonders gefährliche fünfte Kolonne des vietnamesischen Erbfeindes sehen, »Khmer mit den Köpfen von Vietnamesen«.

Wie sich Hanoi das Endstadium seiner Siedlungspolitik vorstellt, enthüllte Mitte Juni die thailändische Zeitung »Bangkok Post« unter Berufung auf vietnamesische Geheimdienst-Dokumente. In den strategisch wichtigen Zonen, etwa im thailändisch-kambodschanischen Grenzgebiet, aber auch entlang der Nationalstraßen 5 und 6 sollen sogenannte Entwicklungsdörfer entstehen, deren vietnamasischer Bevölkerungsanteil mindestens 30 Prozent beträgt.

Solchen Dörfern werden je sechs vietnamesische Beamte zugeteilt. Schon jetzt überwachen in den südöstlichen Provinzen vietnamesische Administratoren die neugegründeten Bauerngenossenschaften. Mit dieser schrittweisen Vietnamisierung des kambodschanischen Hinterlandes will die Armeeführung

in Hanoi auch die Guerilla-Aktionen des antivietnamesischen Widerstandes austrocknen. Vor allem die kampfstarken Verbände der Roten Khmer haben sich getreu der maoistischen Bürgerkriegsstrategie immer wieder in den Dörfern versteckt und sich dort sicher wie der Fisch im Wasser gefühlt.

Am weitesten fortgeschritten ist das Wehrdörfer-Projekt in der Reis-Provinz Svay Rieng, aus dem Vietnamkrieg bekannt als »Papageienschnabel«. In diesem tief nach Südvietnam hineinragenden Korridor sind ganze vietnamesische Dörfer aus ebenerdigen Lehmhäusern entstanden, die sich von den traditionellen Pfahlbauten der Kambodschaner schon äußerlich unterscheiden.

Diese militärisch schwer zu sichernde Sumpflandschaft bis 40 Kilometer vor Saigon sehen die Vietnamesen ohnehin längst als ihr Eigentum an; auch die Straßenschilder im Papageienschnabel sind schon zweisprachig: vietnamesisch und kambodschanisch.

Daß aus dem taktischen Plan Hanois am Ende ein territorialer Anspruch auf gut ein Drittel ihres Landes wird, ist eine begründete Furcht der Kambodschaner. Sie haben mit den aggressiven Nachbarn so ihre historischen Erfahrungen.

Schon Ende des 17. Jahrhunderts rückten die Truppen des vietnamesischen Kaisers gegen das schwache Khmer-Reich vor und besetzten Kamputschea-Krom, den Süden Kambodschas. Aus dem alten Khmer-Dorf Prey Nokor wurde die vietnamesische Stadt Saigon.

An die leidvollen Erfahrungen der Geschichte hat auch der verjagte Prinz Sihanouk gedacht, im Bewußtsein der meisten Kambodschaner noch immer der einzige legitime Khmer-Führer.

Sihanouk: »Mein Alptraum ist, daß der uns verbliebene kleine Teil des alten Khmer-Reiches das gleiche Schicksal wie Kamputschea-Krom erleidet.«

[Grafiktext]

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