Martin Morlock PANZER MARSCH!
Das Taxi, auf dessen Rücksitzpolster ich niedersinke, sieht auf den ersten Blick aus wie ein gewöhnliches Mercedes-Benz-Taxi vom Typ 190 D. Auf den zweiten Blick fällt mir eine Bequemlichkeit ins Auge, deren noch allzu viele Kraftfahrzeuge entraten: ein beleuchteter Aschenbecher. Nein, werde ich belehrt, das sei der »überfallsichere Zahlschalter«.
Dicht vor meinen Knien, in einer Schräge von 30 Grad, erhebt sich eine kunstlederverkleidete Trennwand, darauf sitzt eine trapezförmige Glasscheibe von Toilettespiegel - Dicke. Jenseits dieser Scheibe sitzt der Mietdroschken -Unternehmer Carl Kielmeyer aus Waiblingen bei Stuttgart und erläutert, dem Ohre gut vernehmlich: Alles, was mich, den Fahrgast, von ihm, dem Fahrzeuglenker, trenne, sei hieb-, stich- und schußfest.
Auf der Suche nach dem Grund für die erstaunliche Akustik entdecke ich zwischen Wagenverdeck und Panzerglasscheibe Zwischenräume, die mich am Ersprieß der Vorkehrungen zweifeln lassen. Doch mein gestreckter Zeigefinger, einen Pistolenlauf mimend, bekommt Herrn Kielmeyer trotz aller Mühewaltung nicht ins Schußfeld.
»Machet Sie mal die Tür auf!« tönt es von vorn. Ich versuche es vergeblich. »Und das Fenster!« Es läßt sich nur wenige Zentimeter herunterkurbeln. Ich befinde mich, wohlpräpariert für die Ablieferung beim nächsten Polizeirevier, im ersten und bisher einzigen »Sicherheits-Taxi« der Bundesrepublik.
Hätte er diese kugelsichere Nassauerfalle schon vor Jahresfrist besessen, wäre ihm so manche Mark mehr zugeflossen, glaubt Carl Kielmeyer, 68, verheiratet, Ziehvater von vier, zum Teil bei ihm als Taxifahrer beschäftigten Pflegekindern. Und er schildert in korrektem Schwäbisch einige krasse Fälle von Fahrgeldprellerei. Einmal, als er die Bezahlung von vier Mark mit Hilfe der Polizei zu erzwingen drohte, habe der säumige Gast gar zu ihm gesagt: »S'isch koi Wunder, daß sie die Taxifahrer totschlage.«
Die Gründung seines Beförderungs-Unternehmens fiel zeitlich mit dem Ende seiner politischen Laufbahn zusammen. Kielmeyer, von 1928 bis 1933 Gewerkschaftssekretär und Mitglied des »Christlichen Volksdienstes«, war nach dem Kriege vor den heutigen CDU-Bundestagsabgeordneten Paul Bausch hingetreten und hatte gesagt, »Was isch, mir müsset wieder eine Partei aufziehe«, worauf Bausch den gelernten Werkzeugmacher für die seit kurzem bestehende Christlich-Demokratische Union zu erwärmen wußte.
Tatenfroh half der Geworbene beim Aufbau der CDU in Nord -Württemberg mit, wurde Kreisvorsitzender und hauptamtlicher Kreisgeschäftsführer - ja, wäre gewiß noch höher hinaus gelangt, hätte ihm die, nach der Währungsreform finanzschwache, Union nicht angesonnen, seinen Lebensunterhalt »zu erbettle«. So entließ der Kreisgeschäftsführer sich selber - »frischtlos« - und begann seine neue Erwerbsweise mit einem DKW, Baujahr 1937. Heute trägt der sechsfache Mercedes-Taxi-Eigner als einziges Bekennersymbol den »guten Stern auf allen Straßen« im Knopfloch, im Gedenken daran, daß sein erstes Daimler-Benz-Fahrzeug nach 420 000 Kilometern einem Türken immer noch 1000 Mark wert war.
Das Sicherheitstaxi erhielt der treue Mercedeskunde 1963 »zum Normalpreis«, nachdem das Ausstellungsstück, von Deutschlands Beförderungsgewerblern geringgeachtet, zwei Jahre lang nutzlos auf
dem Werksgelände in Untertürkheim gestanden hatte.
Herr Kielmeyer teilte die Geringschätzung seiner Berufskollegen nicht, wie er auch heute bereit ist, für sein nächstes Panzerauto, sollte der Prototyp jemals in Serie gehen, einen Aufpreis von 1000 bis 1200 Mark zu entrichten. Einziges Erwerbshindernis war Frau Kielmeyer. »Du wirscht doch den Wage nit kaufe wolle, Carl!« hatte sie ausgerufen, doch Carl, den Gedeih seiner Taxifahrer am Herzen, hatte die Vorhaltung in den Wind geschlagen. »Ich will mir hindenach koin Vorwurf mache.«
Sicherheit geht ihm über alles: Irgendwo unter dem Armaturenbrett seines gepanzerten und automatisch verschließbaren Vehikels verwahrt er noch einen Gummiknüppel. Auch ist er - bei allem Wissen um die Notwendigkeit, Mörder vor der Versuchung zum Morden zu schützen - ein Anhänger der Todesstrafe geblieben.
Darüber hinaus hat Carl Kielmeyer der Daimler-Benz AG den serienmäßigen Einbau einer panzergläsernen Trennwand zwischen den Vordersitzen, sowie Sperriegel auch an den vorderen Türen empfohlen. Damit angeheiterte Fahrgäste zu seiner taxilenkenden Pflegetochter Maria, 32, nicht länger unbotmäßig »rumlange könne«.
Das Werk versprach, diese Empfehlung zu prüfen.
Kielmeyer