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RECHTSRADIKALE Panzer von links

Getreu nach linken Vorbildern überfallen auch Neo-Nazis neuerdings Banken und rauben Waffen. Erstmals ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen eine terroristische Vereinigung von rechtsaußen.
aus DER SPIEGEL 20/1978

Im Café Odal in der Ballaertstraat 80 zu Antwerpen tagte eine internationale Gesellschaft. Bei belgischem Bier, Marke Canpina, und deutschem Korn ging es um Bomben und Banken, Mord und Totschlag.

Unter dem Zeichen der nordischen Odaisrune gingen die Teilnehmer des konspirativen Treffens ins Detail. Die Rede war von Aktionen gegen Strommasten und Straßenkreuzungen, Axel-Springer-Verlag wie Rauschgifthändler, vor allem aber gegen »Juden«, »Besatzerschweine« und »Volksverräter« wie etwa die deutsch-französische Nazi-Verfolgerin Beate Klarsfeld.

Was Rechtsradikale aus Frankreich, Großbritannien, Belgien und der Bundesrepublik am ersten März-Wochenende beim Odal-Wirt alles orakelten -- es schien wieder mal überwiegend kriminelles Geschwätz und militante Prahlerei neonazistischer Sektierer zu sein.

Doch drei Wochen nach dem braunen Bierabend sprengten unbekannte Attentäter die Wohnung der Klarsfeld-Schwägerin Georgette im Pariser 16. Arrondissement, Ende April deponierten anonyme Täter eine Brandbombe bei Springers »Berliner Morgenpost«. Und daß im Café Odal, einem einschlägig beliebten Treffpunkt, nicht nur Spinner große Sprüche machen, vermuten nun auch bundesdeutsche Verfassungsschützer und die Karlsruher Bundesanwaltschaft.

Denn Spuren, die in die Antwerpener Ballaertstraat führen, entdeckten Fahnder auch bei einer rechtsradikalen Bande aus Norddeutschland, gegen die die Karlsruher Ermittler nun die Anklageschrift vorbereiten: Zum erstenmal sollen sich Kriminelle aus dem rechten Untergrund wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verantworten -- ein Delikt, das erst vor zwei Jahren im Strafgesetzbuchparagraphen 129a fixiert und bislang nur Terroristen vom Schlage der Baader-Meinhof angelastet wurde.

Ein knappes Jahrzehnt nach den ersten Terroranschlägen der »Rote Armee Fraktion« (RAF) machen nun auch rechte Systemüberwinder im Untergrund mobil gegen den »Volkskrebs Demokratie« und für eine »Staatsform mit Führerstruktur«. Nach Hakenkreuzschmierereien und Friedhofsschändungen gehören neuerdings Überfälle auf Banken und Bundeswehrposten zu ihrem kriminellen Repertoire. Zwar sinkt die Zahl organisierter Rechtsradikaler seit Jahren (1971: 27 900, 1977: 17 800). Aber Staatsschützer zählen immerhin rund 1000 Sympathisanten eines »harten neonazistischen Kerns« von 150 Aktivisten. Zwar »neigen« von diesen wiederum »nur ein paar Dutzend zu terroristischen Gewalttaten«, wie ein Verfassungsschützer analysiert. Aber im vergangenen Jahr registrierten Fahnder 613 Anschläge -- doppelt soviel wie im Jahr davor. Und »bei jeder zweiten Festnahme«, so ein hoher Verfassungsschützer, »entdecken wir Waffen, Munition und Sprengstoff«.

Lange Zeit stuften westdeutsche Staatsschützer die rechten Ultras im Vergleich mit Terroristen aus der linksextremen Ecke meist als Klein-Kriminelle und Verbal-Radikale ein. »Doch jetzt«, sagt einer von ihnen, »ist nicht mehr auszuschließen, daß die Gewalt der RAF auch die Rechten so hochgeschaukelt hat, daß von da jetzt der gleiche Terror kommt.«

Wie es im rechten Untergrund zugeht, wo sich Neo-Nazis Bares und Waffen beschaffen, erhellen die Ermittlungen der ersten gegen Rechtsradikale eingesetzten Sonderkommission des niedersächsischen Kriminalamtes. Die Kommission kam einer fünf Mann starken norddeutschen Aktivistengruppe auf die Spur -- Raubüberfälle, bewaffneter Bankraub, Waffendiebstahl.

Wegen des Verdachts, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, ermittelt die Bundesanwaltschaft, die das Verfahren an sich gezogen hat, gegen >den technischen Kaufmann Uwe Rohwer, 41, NPD-Kreisvorsitzender in Schleswig-Flensburg und Gauführer der »Wiking-Jugend«, Gau Nordmark.

* den Bautechniker Manfred Börm, 27, stellvertretender Gauführer der Wiking-Jugend,

* den Photokaufmann Lutz Wegener, 21, Mitbegründer einer »NSDAP Gau Hamburg«, > den wegen Untergebenenmißhandlung suspendierten Stabsunteroffizier Lothar Schulte, 25, und > den Hamburger Schlosser Klaus Dieter Puls, 36.

Ins hergebrachte Verfassungsschutz-Bild von der rechtsradikalen Szene paßte es noch, wenn an Wochenenden militante Neo-Nazis auf Rohwers »Wiking-Hof« im schleswig-holsteinischen 600-Seelen-Dorf Dörpstedt unter fachkundiger Anleitung ihren Wehrwillen stärkten: Die jungen Kämpfer gegen »Rotfront« warfen sich auf Kommando ("Panzer von links«, »Tiefflieger von rechts") in den Staub, robbten unter Stacheldraht hindurch und marschierten im Gleichschritt durchs Dorf. Zum Theorieunterricht ließ der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Karl-Ernst Lober, heute Kreisjugendpfleger in Schleswig-Flensburg, die Jungmannen auch mal ins Kreisjugendheim.

Doch als Rohwer und seine Wehrsportgruppe Theorie und Training in der Nacht zum 5. Februar in die Praxis umsetzten, ging das auch nach Ansicht von Staatsschützern »weit über das hinaus, was Rechtsradikale bisher so angestellt haben«. Gegen Mitternacht, so die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, fuhr ein Fähnlein von fünf Mann mit zwei Wagen 200 Kilometer Richtung Süden. Um 2.40 Uhr stiegen drei schwarzvermummte Kämpfer am Biwakplatz »Landsberg« auf dem Nato-Truppenübungsplatz Bergenfahne aus und stürmten das Wachzelt einer niederländischen Einheit: »Aufsthen, Hände hoch!«

Mit Maschinenpistolen im Anschlag zwangen sie die Soldaten. sich auf den Bauch zu legen, sackten schnell die Waffen ein und überwältigten zwei Holländer. die den Überfallenen zu Hilfe kommen wollten. Nach zehn Minuten war alles vorbei.

Für die mutmaßlichen Terroristen Lothar Schulte und Lutz Wegener war der Sturm auf Landsberg nach Kripo-Erkenntnissen nicht die erste Nachtübung. Schon Anfang Dezember hatten sie, so die Ermittlungen, einen Kölner Kaufmann gegen Mitternacht unter dem Vorwand, die Reifen seines Jaguar seien zerstochen, aus der Wohnung gelockt, in den Keller gesperrt und dann Waffen, Munition und Bargeld mitgenommen -- alles in allem 65 000 Mark Beute.

Auf das Konto der Wiking-Bande gehen nach Ansieht der Ermittler noch ein Munitionsdiebstahl und ein versuchter Raubüberfall auf eine Bundeswehrstreife im Lager Ostenholz. In der Bismarck-Kaserne in Wentorf bei Hamburg erbeuteten sie beim Überfall auf den Gefreiten vom Dienst noch mal ein G-3-Gewehr samt Munition.

Und womöglich wird den Wikingern der erste Bankraub einer rechtsradikalen terroristischen Vereinigung nachzuweisen sein. Mit einem Komplizen, so das Geständnis des verhafteten Wegener, habe er am 19. Dezember die Filiale der Hamburger Sparkasse am Volksdorfer Damm beraubt. Nachmittags gegen vier stürmten die beiden maskierten Männer mit Pistole und MP die Kasse ("Keine Bewegung, Geld her") und flüchteten mit 66 000 Mark.

Das Geständnis offenbart eine neue Qualität rechtsradikaler Kriminalität. Nach dem Vorbild der RAF ("In die Bank und durchgeladen") beweisen neuerdings auch Rechtsradikale ihre kriminelle Energie -- und oftmals so echt dem linken Vorbild nachempfunden, daß Fahnder zunächst nicht recht wissen, welchem Untergrund eine Straftat nun zuzuordnen ist.

Im dunkeln tappen die Ermittler etwa bei der Aufklärung von Banküberfällen auf die National-Bank in Essen (Beute: 462 870 Mark) und die Volksbank im Mainzer Vorort Laubenheim (Beute: 12000 Mark).

In einem Anruf bei der Deutschen Presse-Agentur bekannte sich ein anonymer »Sprecher der Nationalen Front« zu den Überfällen in Essen und Mainz, ein Bekennerbrief der rechtsradikalen Vereinigung mit Hamburger Poststempel gab über die Verwendung der Beute Auskunft: »Unser Ziel ist es, die in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen linken Gruppen und den sie unterstützenden Staat mit allen Mitteln und allen Konsequenzen zu bekämpfen.«

Von der RAF abgekupfert sind auch andere Merkmale des rechtsextremen Untergrundkampfes. Wer als Neo-Nazi per Haftbefehl gesucht wird, taucht ab, geradeso wie Terroristen von links. Analog der »Roten Hilfe«, die die Logistik abgetauchter Terroristen aufrecht erhält, haben sich auch die Rechtsextremen eine »Braune Hilfe« zugelegt. Von Konten, die von braunen Helfern meist im Ausland geführt werden, durfen rechtsradikale Aktivisten zehren, die im Untergrund ohne eigenes Einkommen sind. Der per Haftbefehl gesuchte Ex-Rechtsanwalt Roeder etwa zehrt von einem »Euro-Sie-Trans«-Konto, das auf den Namen Walser beim Postscheckamt Bern unter der Nr. 30-53436 eingerichtet ist. »Die haben«, faßt ein hoher Staatsschützer die neue Taktik zusammen. »neben Hitlers »Mein Kampf« jetzt auch den Bakunin im Bücherschrank.«

Und was im linken Untergrund die »Revolutionären Zellen« sind, heißt auf der rechten Szene auf gut deutsch »Werwolf«- oder »Wehrsport«-Gruppe. Solche militanten Minizirkel. die untereinander lose Kontakte pflegen und mal konspirativ, mal demonstrativ zu Werke gehen. haben Fahnder im Rhein-Main-Gebiet, Berlin, Hamburg und im Ruhrgebiet ausgemacht.

Gleichwohl sind die militanten Aktivisten nur eine ebenso kleine wie radikale Minderheit im rechten Spektrum. Und fast immer, so scheint es, sind es dieselben, die auffällig werden. Offener Terror ist bislang noch die Ausnahme; das Gros der rechten Aktivisten begnügt sich -- schlimm genug -- weiterhin mit Hakenkreuzschmierereien und Aufmärschen im NS-Look.

Zwar konstatierten Niedersachsens Staatsschützer, daß auf Rechtsaußen verstärkt Intellektuelle in Führungspositionen gelangen, »die von den Universitäten kommen«. Doch die meisten rechten Straftäter rekrutieren sich indes nach wie vor aus gefährlichen braunen Sonderlingen, die, wie Hamburgs oberster Verfassungsschützer Hans Josef Horchem meint, »'ne Menge träumen

Einer von ihnen, der Kieler Mineralogie-Student Frank Stubbemann (Abitur-Durchschnittsnote: 1,3), Gauführer einer »Aktionsfront nationaler Sozialisten« und Rohwer-Freund, hat schon ausgeträumt. Beim Unterschlagen von 600 Gramm Zyankali wurde er erwischt und zu Geldstrafe verurteilt. Geplatzt war ein angeblicher Plan, die Wachmannschaft des Rudolf Hess im Spandauer Kriegsverbrecher-Gefängnis über die Wasserleitung zu vergiften.

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