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Briefe

PASSIVISTEN
aus DER SPIEGEL 31/1967

PASSIVISTEN

(Nr. 23 -- 28/1967, Serie »So groß wie eine Ananas")

Mit atemloser Spannung las ich in Ihrer Serie die Schilderung der tollkühnen und technisch vollendeten Unternehmung der Norwegergruppe, die die Schwerwasser-Anlage in Vemork zerstörte und das kostbare schwere Wasser abfließen ließ. Wahrlich, dem SPIEGEL gebührt aufrichtiger Dank, daß er durch Serialisierung des Buches von David Irving seinen umfassenden Leserkreis mit den Details einer so wichtigen Episode des Zweiten Weltkrieges vertraut machte, die ihm bisher größtenteils unbekannt waren!

London VICTOR KEITNER

Als Nichte des Nobelpreisträgers Professor Walther Bothe las ich mit besonderem Interesse die SPIEGEL-Serie: »So groß wie eine Ananas ...« Aus Familiengesprächen entnahm ich, daß fast alle Atomforscher Kritiker oder Gegner des NS-Regimes waren. Um so weniger vermochten sie ihr rein wissenschaftliches Interesse an der Kernforschung aufzugeben, um Forschungsergebnisse militärischen Gesichtspunkten unterzuordnen.

München HELLA BOTHE

Übrigens -- wie menschlich anerkennenswert, aber national zurückhaltend haben sich die deutschen Wissenschaftler bei der Entwicklung der Atombombe verhalten. Es ergibt sich die Frage: »Was ist mehr zu verdammen: die Entwicklung der Alliierten an der Atombombe ohne Skrupel oder die teilweise auf moralischen Einflüssen beruhende Zurückhaltung der deutschen Wissenschaftler?«

Allmersbach (Rheinld.-Pfalz) ALFRED BAUMGART JR.

Während der Hitlerzeit gab es »die Deutschen« nicht. Ich ging während des Krieges an einem praxisfreien Nachmittag zu Bonhoeffers in die Marienburger Allee (Berlin-Charlottenburg). Der älteste Sohn, der Chemiker Karl Friedrich (Schweres Wasser), war zu Besuch bei seinen Eltern. Die Frau Geheimrat, seine Mutter, fragte ihn besorgt, wie weit die Wunderwaffe, auf die Hitler wartete, gediehen sei. Er beruhigte sie: »Wir treten alle auf der Stelle.«

Zwei Söhne und zwei Schwiegersöhne Bonhoeffers waren verhaftet, hungerten und wurden gefoltert. Jeweils ein paar Stunden, bevor die alliierten Truppen einrückten, wurden sie von den Nationalsozialisten in Flossenbürg, Oranienburg, Berlin umgebracht.

Berlin DR. EUGENIE BORMANN

In Ihrem Gespräch mit Professor Heisenberg taucht wieder einmal die Behauptung auf, ich hätte in meinem Buch »Heller als tausend Sonnen« die These vertreten, »die deutschen Physiker seien sozusagen moralisch besser gewesen als die amerikanischen Physiker«. Das ist eine weitverbreitete Fehlinterpretation meines Buches. Sie ist aus Wunschdenken oder einfach aus Oberflächlichkeit entstanden und durch keine Stelle meines Textes belegbar. Im Gegenteil! Dort zitiere ich einen der deutschen Forscher, der mir sagte: »Wir waren wahrhaftig nicht bessere Menschen oder klüger als unsere ausländischen Kollegen, aber wir hatten bei Kriegsbeginn bereits aus bitterer Erfahrung von fast sieben Jahren unter Hitler gelernt, daß man sich dem Staat und seinen ausführenden Organen gegenüber mißtrauisch und zurückhaltend verhalten muß. Angehörige von totalitär regierten Ländern sind selten gute Patrioten. Die

anderen besaßen damals noch volles Vertrauen in Anständigkeit und Gerechtigkeit ihrer Regierungen.«

Heute hat sich die Situation wieder gedreht. Während führende amerikanische Forscher mit bewunderungswürdiger Eindeutigkeit immer wieder gegen die neuen und neuesten Waffen Stellung nehmen und die Mitarbeitsverweigerung der hervorragendsten Wissenschaftler erst vor einigen Wochen dem Chef der »Weapons Development Evaluation Division« im Pentagon, Georg Rathiens jr., die Klage entriß: »Man kriegt diese Kerle nicht mehr, man kriegt nicht einen von ihnen«, hört man nur noch selten vom Widerstand bundesdeutscher Forscher gegen die Rüstungsziele ihres Vaterlandes. Vor zwölf Jahren, als ich in zahlreichen Interviews das Tatsachenmaterial für »Heller als tausend Sonnen« sammelte, wurden die Akzente ganz anders gesetzt als heute. Damals schien es den Befragten richtig, die

* Autor des Buches »Die Zukunft hat schon begonnen« und leitender Mitarbeiter des von ihm gegründeten »Instituts für Zukunftsfragen« in Wien.

passive Resistenz der Atomphysiker gegen Hitler hervorzuheben. Seither drücken sich ihre prominentesten Wortführer aber so »diplomatisch« aus, daß ihre vorsichtigen Aussagen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oft nur allzu obrigkeitsgläubig klingen.

Als ich in meinem Buch erwähnte, man habe Heisenberg nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland verübelt, daß er sich nicht deutlicher vom Nationalsozialismus distanziert habe, schrieb er mir: »In einer Diktatur kann aktiver Widerstand nur von Leuten ausgeübt werden, die scheinbar beim System mitmachen.« Heute wäre ein offenes Bekenntnis zum »Atom-Passivismus« der Kriegsjahre und eine erneute eindeutige Stellungnahme gegen jede Beteiligung Deutschlands an der atomaren Aufrüstung aus dem Mund von Männern wie Heisenberg und von Weizsäcker nicht nur möglich, sondern auch notwendig.

Wien ROBERT JUNGK

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