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BONN / KIESINGER Pauken und Trompeten

aus DER SPIEGEL 31/1967

Abends um acht lastete immer noch tropische Hitze über dem Rheintal. Unter den Bäumen im Regierungspark des Schaumburg-Palais flanierten Kanzler Kiesinger und sein Amtsvorsteher, Staatssekretär Werner Knieper, und suchten Entspannung nach den ersten Unwettern, in die das schwarz-rote Regime von Bonn wegen der Krise in den Staatsfinanzen geraten war.

Entspannung tat auch ihren persönlichen Beziehungen not. Eineinhalb Stunden sang verabredete das ungleiche Duo -- der lange, lasche Regierungschef und der drahtige Aktenaufbereiter mit der Jockeyfigur -- für die Zukunft eine bessere Zusammenarbeit.

Auf der Terrasse des Kanzler-Bungalows erneuerten die beiden in der Abenddämmerung des Dienstags letzter Woche ihren Arbeits- und Beistandspakt vom letzten Dezember, der schon nach knapp acht Monaten in Gefahr geraten war, zu zerbrechen.

Schroffe Behandlung durch den Kanzler hatte den Staatssekretär verleitet, sich zu vorgerückter Stunde im Kantinenkeller des Amtes vor Untergebenen über den Chef zu beklagen: »So wie von Kiesinger bin ich schon lange nicht mehr angeschissen worden.« Die Zeitungen spekulierten deshalb auf Kniepers Demission.

Doch das sollte nun alles vergessen sein. Beim Tête-à-tête auf der Gartenterrasse entschied Kiesinger: »Ich werde und Sie werden ganz hart dementieren.«

Dann gab der Kanzler seinem Staatssekretär, bei dem er bislang politisches Mittlergeschick vermißt hatte, einen Bewährungsauftrag: Binnen zwei Tagen solle er ihm für den bevorstehenden Kampf gegen den widerborstigen Verteidigungsminister Schröder munitionieren. Kiesinger suchte Material, um Schröders Aufsässigkeit gegen Etat-Einsparungen bei der Bundeswehr zu brechen.

Die Weiterverpflichtung Kniepers bewahrte Kiesinger vor dem Mißgeschick, wie sein Vorgänger Erhard (bei Rücktritt des Kanzlerministers Westrick) plötzlich ohne Amtswalter dazustehen.

Parallelen zu Erhards schwachem Regime drängten sich ohnehin schon im Übermaß auf. Wie einst Kanzler Erhard, so hatte auch Kanzler Kiesinger bei den Beratungen über die Bonner Finanzmisere in den letzten Wochen durch Wankelmut erste Zweifel an seiner Regierungskunst geweckt.

Erhard war zum Gespött geworden, als er -- im ersten Kanzlerjahr -- langfristig geplante Rentenerhöhungen nach Kriegsopfer-Protesten sofort vornehmen ließ und eine beschlossene Erhöhung der Telephongebühren, von »Bild«-Schlagzeilen erschreckt, halb zurücknahm.

Kiesinger wich -- ein gutes halbes Jahr nach Amtsantritt -- ebenfalls dem Druck der Kriegsveteranen. Und nach dem Sturm einwöchiger Pressekritik am Kabinettsbeschluß. die Mehrwertsteuer zu erhöhen, schob er den Termin hinaus.

Nachdem der photogene Schwabe sich siebeneinhalb Monate lang den Anschein gegeben hatte, anders als der schwache Erhard ein führungskräftiger Regierungschef zu sein, erinnerte sein Verhalten nun an weniger günstige Urteile aus früherer Zeit. Das Bonmot aus den Wochen der Regierungsbildung im letzten November ging wieder um: »Kiesinger ist der beste Erhard, den es je gab.«

Die Grolle Koalition von Kiesinger und Wehner im letzten Jahr begründet, um die Schicksalsfragen der Nation kraft breiter Mehrheit ohne Popularitätshascherei lösen zu können -erwies sich als eine immobile Vereinigung sich gegenseitig neutralisierender Kräfte.

Hatte man geglaubt, die schwarzrote Majorität werde stets stark genug sein, um Partikular-Interessen in den eigenen Reihen zu überstimmen, so zeigte die Bonner Haushaltsmisere auf, daß die Interessengruppen in den beiden Großen Koalitionsfraktionen stark genug sind, notwendige, aber unangenehme Entscheidungen zu blockieren.

In der festen Absicht, der Großen Koalition seinen Sparwillen aufzuzwingen, hatte Kiesinger das Finanzmarathon mit einer Rücktrittsdrohung eingeläutet. Der Kanzler Ende Juni in Bremen: Er werde keine halben Sachen machen, sondern notfalls »meinen Platz einem Willigeren räumen«.

Denn: »Unsere außergewöhnliche Situation duldet keine faulen Kompromisse mehr.«

Den starken Worten folgten schwache Taten. Als der Kanzler nach drei Tagen Kabinettsberatung ausruhte und das Kompromißwerk besah, sah er, daß es nicht gut war.

Kiesinger schien es ratsam, das schwarz-rote Proporz-Produkt über die Fernsehmattscheibe vor dem Volke zu beschönigen.

Doch die Formulierung bereitete dem sonst so wortgewandten Regierungschef so außergewöhnliche Schwierigkeiten, daß er seine Tele-Begegnung mit dem Volk zuerst von Samstag auf den folgenden Dienstag und dann von Dienstag auf den nächsten Freitag verschieben ließ.

Und selbst an diesem Freitag (vorletzter Woche) mußte der Kanzler gegen die Uhr kämpfen. Zur festgesetzten Aufnahmezeit um 17 Uhr bat er um Aufschub für weitere zwei Stunden.

Um 19.30 Uhr endlich erschien er zum Schminken im Bonner Studio des ersten Fernsehens. Die elektronische Konserve, die dem Publikum Punkt acht zur Abendbrotzeit serviert werden sollte, mißriet: Kiesinger nannte fälschlich 36 000 statt 32 000 Mark Jahreseinkommen als Untergrenze für die geplante Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer.

Lageberatung: Darf ein Kanzler sich versprechen? Kiesinger: »Nein.«

Für die Wiederholung der Ansprache steuerte Studioleiter Günter Müggenburg den Rat bei, der Kanzler solle sich doch nicht so ernst, sondern etwas gelockert darstellen.

Kiesinger beherzigte den Hinweis und legte vor der Kamera zum ernsten Spar- und Steuerthema ganz unmotiviertes Lächeln auf.

Doch das Lächeln verging dem demoskopiegläubigen Kanzler, als er in der letzten Woche die Umfragezahlen über die Gunst des Volkes für seine schwarz-rote Regierung zu sehen bekam -- sie waren zum erstenmal seit Kiesingers Amtsantritt rückläufig.

Zu dieser Stunde, da Kiesingers Stern sichtbar an Glanz verlor, traten sofort wieder die alten Querelen aus unbewältigter CDU/CSU-Vergangenheit zutage. Wie Erhard mußte Kiesinger erleben, daß das in sich zerstrittene christdemokratische Gefolge nur zu bändigen ist, solange ein Star an der Spitze die Gegensätze in der Partei mit Erfolg überkleistert.

Wie einst Franz-Josef Strauß die große Unionsfronde gegen Kanzler Erhard forciert hatte, so mobilisierte der Ende letzten Jahres beim Rennen um die Kanzlerschaft unterlegene Gerhard Schröder jetzt Widerstand gegen seinen Rivalen Kiesinger.

Die vorgesehene Einschränkung künftiger Wehrausgaben nahm Schröder noch am Tage des Kabinettsbeschlusses zum Anlaß, schwere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik zu prophezeien.

Kanzler Kiesinger, sekundiert von Schröders Erzfeind Strauß, war außer sich. Erregt bezichtigte er den Bundeswehrchef drei Tage später vor der versammelten Regierungsmannschaft« er habe »großen Schaden für die deutsche Politik« angerichtet.

Hinter dem Rücken seines Verteidigungsministers hatte Kiesinger inzwischen die pensionierten Generäle Speidel und Heusinger um Lage-Beurteilung gebeten; ohne Rücksprache mit Schröder informierte er sich später auch noch bei den deutschen Nato-Generälen Kielmansegg und Baudissin,

Der Kanzler warf Schröder vor, durch seine voreilige Ankündigung, die Finanzbeschlüsse würden zu einer Reduzierung der deutschen Truppen um 60 000 Mann führen, habe der Minister den Engländern und Amerikanern, die gegen Bonner Widerstand schon lange Truppen an der europäischen Nato-Front vermindern, nachträgliche Rechtfertigung geliefert. Kiesinger: »Jetzt stehen wir so da, als seien wir selbst die Schlimmsten.«

Des Kanzlers Berater befürchteten. aus diesem internen Zank zwischen Kiesinger und Schröder könne es zu so schweren Zerwürfnissen im CDU-Lager kommen wie zu Erhards Zeiten. Kiesinger begriff und fand sich am letzten Dienstag zu einer Versöhnungsschau in der Lüneburger Heide bereit. Seit an Seit mit Schröder nahm Kiesinger eine Truppenrevue mit Panzern, Pauken und Trompeten ab.

Zwei Tage später, am letzten Donnerstag, begann im Palais Schaumburg der Kampf um Macht oder Ohnmacht der Bundeswehr von neuem. Kiesinger empfing Schröder nebst militärischem und zivilem Gefolge zur längst überfälligen Beratung eines neuen deutschen Wehrkonzepts.

Die Kontrahenten mußten einen Kompromiß suchen, da der Kanzler den Eklat einer Entlassung Schröders fürchtete und der Minister nicht an Demission dachte. Die Stimmung blieb frostig.

In Bonn wurde derweil in der Christen-Union ein dem Verteidigungsminister zugeschriebenes Wort herumgereicht: Ein alternder Burgschauspieler ist auch nicht besser als ein Gummilöwe.«

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