Historiker über Fukushima, die AfD und Greta Thunberg Was von diesem Jahrzehnt bleiben wird

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SPIEGEL: Herr Professor Nolte, woher weiß man, ob ein politisches Ereignis im Hier und Jetzt historisch bedeutend ist?
Nolte: Es gibt bei vielen entscheidenden Ereignissen sofort ein Bewusstsein dafür, dass es sich um einen historischen Moment handelt. Dann wird das auch so beschrieben, wie damals von den Zeitgenossen der Französischen Revolution. Es war klar, dass das unerhört ist, was sich mit diesem Umsturz vollzieht. Natürlich reichte die Fantasie nicht so weit, dass auch gut 200 Jahre später in Paris noch große Paraden über die Straßen ziehen und die Plätze danach benannt sein würden. Man wusste aber, dass es ein großer Umbruch, eine Zäsur ist. So war es auch 1989, als der Eiserne Vorhang aufging.
SPIEGEL: Was hat die deutsche Politik der 2010er-Jahre zur Geschichtsschreibung beigetragen?
Nolte: Anfangen könnte man bei der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 - die bleibt nicht nur selbst im Gedächtnis, sondern hat mit dem Atomausstieg auch in der deutschen Politik viele Hebel umgelegt. Oder nehmen wir den Sommer 2015: Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise war schnell klar, dass Angela Merkels "Wir schaffen das!" und die Offenheit der Grenzen historisch sind. Kleinere Zäsuren waren etwa, ebenfalls 2015, die Einführung des Mindestlohns oder der Beschluss des Bundestags zur Ehe für alle im Jahr 2017. Man kann sich im Grunde schon vorstellen, wie in 30 Jahren in den Geschichtsbüchern steht: "Und dann gab es einen Zug hin zur gesellschaftspolitischen Liberalisierung."
SPIEGEL: Womit wird das Kapitel zu den 2010er-Jahren enden?
Nolte: Fukushima im Jahr 2011 und 2019 als Greta-Jahr sind die beiden Pole dieses Jahrzehnts. Davon ist etwas ausgegangen: die Transformation in eine nicht fossile, CO2-neutrale Gesellschaft. Die 2010er-Jahre waren insofern ein Jahrzehnt des Aufbruchs und der Weichenstellungen.
SPIEGEL: Erst die Eurokrise, dann die Flüchtlingskrise, jetzt die Klimakrise: Haben wir ein wahrhaftiges Krisenjahrzehnt erlebt?
Nolte: Diese Krisen werden im Moment überbetont. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sind wir in einer Art Dauerkrisenmodus und nehmen dadurch alles unter negativen Vorzeichen wahr. Wenn Sie heute die Geschichtsbücher zu den Sechzigern und Siebzigern in Deutschland lesen, sind die großen Stichworte: Optimismus, Aufbruch, Wendezeiten. Dazu gehören die Proteste, die gesellschaftspolitische Liberalisierung und die erste Phase der sozialliberalen Koalition. Dabei waren das zugleich Zeiten großer Verunsicherung. Denken Sie nur an die Diskussion über die Notstandsgesetze, an die Erfolge der NPD und damit, Parallele zu heute: die Sorge, die Demokratie sei in Gefahr.
SPIEGEL: 2012 haben Sie dem SPIEGEL einmal gesagt: "Ich finde es beruhigend, dass niemand eine radikale Alternative zur Demokratie sieht." Würden Sie das heute, auch angesichts des Aufstiegs der AfD, noch so formulieren?
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